So ermöglicht Homophobie toxische queere Partnerschaften
Heute ist Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Ein Viertel aller queeren Menschen erlebt Gewalt von ihren Partner:innen. Die ist anders als in heterosexuellen Beziehungen – Betroffene erzählen uns von ihren Erfahrungen.
Gewalt in queeren Beziehungen – bis heute ein Tabu-Thema, gerade auch innerhalb der Community. Unterdrückung, sexueller Missbrauch, Ausbeutung, physische sowie psychische Gewalt – so recht wollen die Schattenseiten einer Beziehung einfach nicht mit einer Gemeinschaft in Verbindung gebracht werden, die sich für Vielfalt, Gleichberechtigung und Akzeptanz einsetzt (so wie diese acht Promis). Doch das Problem ist größer als gedacht: Jeder dritte beziehungsweise vierte queere Mensch erlebt in einer Beziehung Gewalt.
Für Großbritannien hielt das eine neue repräsentative Studie der Glasgow Caledonian Universität fest, für Deutschland bestätigt die Beratungsstelle „gewaltfreileben“ für queere Menschen diese Zahlen, auch wenn es nur ältere Studien zu der Thematik gibt.
Constance Ohms von der Beratungsstelle, zugehörig dem „Broken Rainbow Verein“, erklärt dazu BuzzFeed News Deutschland: „Nur wenige Betroffene wenden sich an eine Beratungsstelle, noch weniger an die Polizei. Das hat nicht nur mit Scham zu tun, sondern auch mit negativen Erfahrungen mit Polizeibeamt:innen, die zudem in die Community getragen werden.“ Immer wieder erleben Opfer dabei auch, dass sie misgendert werden, Polizist:innen zu spät zu einem Notruf kommen oder die Beamt:innen erst nach mehrmaligen Anrufen überhaupt erscheinen.
Gewalt vom Partner: „Trans*- und nicht-binäre Menschen werden nicht mitgedacht“
Ähnliches erlebte auch Taba, die trans*-Frau aus München wurde nicht nur mehrfach in ihrem früheren männlichen Geschlecht angesprochen, sondern man glaubte ihr schlicht nicht, überhaupt Gewalterfahrungen gemacht zu haben: „Ich bin Anfeindungen und Diskriminierung in der Außenwelt gewohnt und kann auch damit zumeist gut umgehen, doch von meinem Partner angegriffen zu werden, hat mich im Innersten getroffen. Dann nicht einmal zeitnah Hilfe zu bekommen, fühlte sich unfassbar schlimm an.“ Taba flüchtete vor ihrem Freund schlussendlich zu einer Nachbarin – erst als diese erneut die Polizei rief, kamen die Beamt:innen. Heute lebt sie getrennt.
Auch die Deutsche Aidshilfe (DAH) stellte im Rahmen ihrer Studie „Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys“ in Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut erstmals fest, dass gerade trans* Menschen oftmals nicht ernst genommen werden. Sowohl im Äußeren beispielsweise von Ärzten und Behörden, als auch im Inneren von Partner:innen.
„Trans* und nicht-binäre Menschen können sich darauf in Deutschland noch nicht verlassen. Sie müssen mit Unwissenheit und Diskriminierung rechnen – und damit, dass sie schlicht nicht mitgedacht werden. Das muss sich dringend ändern!“, so Sylvia Urban vom Vorstand der Aidshilfe. Über 3000 nicht-binäre und trans* Menschen wurden im Rahmen der Studie befragt, 79 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal das Gefühl gehabt zu haben, bei sexuellen Handlungen ihre Geschlechtsidentität durch ihr Verhalten beweisen zu müssen. Jedem dritten queeren Mensch (31 Prozent) fällt es sogar schwer, „Nein“ zu Sex zu sagen, den er oder sie nicht haben möchten.
Chemsex: Personen werden zu sexuellen Handlungen gezwungen, die sie nicht wollen
Noch dramatischer fallen die Erfahrungen aus, wenn Drogen ins Spiel kommen (deren Wirkstoffe sich rasant verändern), so Ohms weiter: „Chemsex stellt ein Problembereich dar, hier kommt es unseres Wissens sehr häufig zu sexuellen Übergriffen. Teilweise werden Personen zu sexuellen Handlungen gezwungen, die sie nicht wollen, Vereinbarungen werden nicht eingehalten, oder aber Personen werden derart unter Drogen gesetzt, dass sie am nächsten Tag nicht mehr wissen, was mit ihnen geschehen ist, aber der Körper unter anderem im Analbereich ernste Verletzungen aufweist.“
Ein Klischee bewahrheitet sich allerdings nicht, so die Expertin: In queeren Beziehungen mit einer Vorliebe für Fetisch (wie den Breeding Kink zum Beispiel) oder BDSM spielt ungewollte Gewalt keine Rolle: „Vielmehr haben wir die Erfahrung gemacht, dass in diesen sexuellen Bereichen Grenzen und Regeln meist sehr klar kommuniziert werden – und diese auch eingehalten werden, da sonst ein Ausschluss aus der Szene drohen könnte.“

„Ich spürte lange Zeit dann die Verpflichtung, ich müsse für ihn immer sexuell verfügbar sein“
Bei Gewalt in schwulen Beziehungen spielt dann manchmal auch ein verzerrtes Bild von Männlichkeit mit hinein, wie Andreas aus Hannover BuzzFeed News Deutschland erklärt: „Das fing bei uns als Spielerei an, irgendwann wurde aus einem Kabbeln ernst, aus dem Spiel über die Machtverhältnisse plötzlich eine todernste Angelegenheit, bis mein Freund direkt zugeschlagen hat. Danach hat er sich entschuldigt, doch der Knacks in unserer Beziehung war da – und in mir. Ich spürte lange Zeit dann die Verpflichtung, ich müsse für ihn immer sexuell verfügbar sein, sobald er das will.“
Andreas hat viele Jahre gebraucht, überhaupt darüber reden zu können und sagt heute: „Ich konnte mich als Mann nicht als Objekt des Missbrauchs sehen. Das ging in meinem Kopf nicht zusammen.“ Diese Denkweise scheint keine Seltenheit zu sein, wie auch die britischen Studienergebnisse nahelegen. Hinzu kommt das Problem, dass selbst innerhalb der LGBTQIA+-Community viele Opfer zunächst einmal nicht ernst genommen werden – das verschlimmert die Traumatisierung und das Gefühl von Scham noch mehr.
„Die Thematisierung von Gewaltverhältnissen in queeren Beziehungen ist bei den einzelnen Betroffenen oftmals schambesetzt“, bestätigt auch Ohms, die zudem festhält: „Jahrzehntelange Diskriminierungen und der Kampf für Anerkennung und Akzeptanz verschieben den Blick nach außen: Wir müssen wieder lernen, stolz auf das zu sein, wer wir sind, lesbisch, schwul, trans*, bisexuell, nicht-binär. LSBT*IQA+ erleben eine wiederholte Welle der Gewalt wegen ihres Soseins. All dies versperrt den Blick auf innere Gewaltverhältnisse, das heißt auf Ausgrenzungen und eben auch auf Gewalt in intimen queeren Beziehungsgefügen.“
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Warum beenden queere Menschen nicht einfach eine Beziehung, wenn es zu Gewalt kommt?
Warum queere Menschen gewalttätig in ihren Beziehungen werden, könnte auf der anderen Seite genau auch mit den Diskriminierungserfahrungen von außen zu tun haben, wie Edgar Rodriguez-Dorans, Dozent für Psychotherapie an der Universität von Edinburgh, gegenüber der BBC erklärte: „Viele haben möglicherweise mit verinnerlichter Homophobie, Scham, Isolation von ihren Familien und emotionalem Analphabetismus zu kämpfen – was unter Männern unabhängig von ihrer Sexualität weit verbreitet ist. Die Ausübung von Macht gegenüber ihrem Partner könnte sie in eine Position bringen, in der sie das Gefühl haben, dass ihre Männlichkeit bestätigt wird.“
Doch warum beenden queere Menschen nicht einfach eine Beziehung, wenn es zu Gewalt gekommen ist? Ohms dazu: „Die Angst vor Einsamkeit kann ein Grund sein, dahinter stecken aber in der Regel Abhängigkeiten emotionaler, wirtschaftlicher und sozialer Art. Ein geringes Selbstwertgefühl verhindert zudem, sich als selbstwirksam zu erleben. Das erschwert es, aus einer gewalttätigen Beziehung herauszukommen. Manchmal aber ist auch die Gewaltausübung ein Versuch, sich wieder selbstwirksam zu erleben. Klassische Täter-Opfer-Strukturen sind seltener in queeren Beziehungen anzutreffen als in heterosexuellen Paarbeziehungen.“
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Druckmittel: Outing und Isolierung in der queeren Community
Gewalt in queeren Beziehungen ist und bleibt also anders als bei heterosexuellen Menschen, dazu kommt, dass auch eine Trennung mit weiteren speziellen Formen von psychologischer Gewaltausübung einhergehen kann, so haben es die gewaltaktiven Partner:innen dann oftmals auf jene Vulnerabilität ihres Gegenübers abgesehen, die im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität steht. Gebe es Homophobie nicht mehr, wäre dies vielleicht kein so schwerwiegendes Problem.
„Beispielsweise die Androhung, den Menschen gegenüber der Herkunftsfamilie oder am Arbeitsplatz zu outen; digitale Medien spielen in den Gewaltstrukturen auch eine immer größere Rolle, beispielsweise negative Bewertungen oder Stalken auf Dating-Plattformen, das Posten intimer Bilder“, so Ohms. Bedeutsam sei auch die angedrohte Isolierung innerhalb der queeren Community. In einem Punkt sind sich alle einig – das Tabu muss endlich fallen.
Gewalt in queeren Beziehungen: Thema braucht in Deutschland mehr Aufmerksamkeit
Es gibt viel zu wenig Forschung und viel zu große Wissenslücken, wenn es um Gewalt innerhalb queerer Beziehungen geht. Bedenkt man, dass zwischen 25 und 35 Prozent aller LGBTQIA+-Menschen in einer Partnerschaft davon betroffen sind, ist das ein Unding. Dänemark hat inzwischen gehandelt und im Rahmen des neuen Finanzgesetzes erstmals gesetzlich festgehalten, dass auch Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, künftig die gleiche Hilfe erhalten wie Frauen, die zum Opfer wurden. Ein Meilenstein, gerade auch für alle queeren Männer im Land.
Es wäre an der Zeit, dass das Thema auch in Deutschland in der Breite mehr Aufmerksamkeit bekommt, denn ansonsten, so die Forscher:innen, wird das Problem ungelöst in die nächste queere Generation weitergetragen.
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