„Safe Space“: Erste Kanzlei mit Fokus auf queere Mandat:innen kämpft gegen Hass im Netz

Die Polizei ermutigt queere Opfer von Hass und Hetzte im Netz Anzeige zu erstatten. Zwei queere Anwältinnen in Berlin unterstützen sie dabei.
Hass und Hetze im Internet – für queere Menschen ist das inzwischen beinahe Alltag geworden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hassverbrechen gegenüber LGBTQIA+-Menschen immer weiter an, erst im Dezember ging das Bundeskriminalamt in einer bundesweiten Aktion gegen Hasspostings im Internet vor – darunter fallen unter anderem Aufforderungen zu Straftaten, Nötigungen oder auch Gewaltandrohungen gegenüber queeren Menschen.
Für das BKA ist dabei klar, dass die meisten strafrechtlich relevanten Posts trotzdem gar nicht erst angezeigt werden und dabei stetig weiter zunehmen, auch wenn die offiziellen Zahlen zuletzt leicht auf 2.400 Fälle binnen eines Jahres zurückgegangen sind.
Kanzlei für queere Mandant:innen – Safe Space im Rechtswesen
Die Polizei ermutigt queere Opfer solcher verbaler Hassattacken immer wieder, die Angriffe zur Anzeige zu bringen. Oftmals leichter gesagt als getan, denn wann genau ist eine mögliche Beleidigung bereits eine Straftat? Und was konkret lässt sich dagegen wirklich tun? Die beiden Anwältinnen Katja Dunkel und Rebecca Richter haben in Berlin die deutschlandweit erste Kanzlei mit einem Fokus auf der Unterstützung von LGBTQIA+-Menschen und Frauen eröffnet. „Wir sind der Ansicht, dass es einen ‚Safe Space‘ auch im Rechtswesen geben muss. Wir haben einen Raum geschaffen, in dem sich unsere Fokusgruppe ohne Zweifel und Einschränkungen verstanden, gehört und repräsentiert fühlt. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass queere Menschen in einzelnen anderen Kanzleien nicht willkommen waren“ so Dunkel gegenüber BuzzFeed News DE von Ippen.Media.
Die Idee kam den beiden jungen Frauen auch durch ihre eigenen Erfahrungen, denn queere Menschen und Frauen teilen bis heute immer noch in gewissen Aspekten das gleiche Schicksal, wie Rebecca Richter berichtet: „In unserer Berufslaufbahn haben wir beide festgestellt, dass immer noch patriarchale, recht konservative Strukturen die Anwaltschaft durchziehen. Teilweise waren wir selbst als queere Frauen mit Sexismus konfrontiert und fühlten uns nicht immer respektiert und wertgeschätzt.“
Gleichzeitig setzen die beiden Anwältinnen so auch ein klares Statement mit Blick auf die festgefahrenen Strukturen in der Gesellschaft.
Frauen und queere Menschen sind immer noch in Führungspositionen unterrepräsentiert. Wir versuchen diese Strukturen zu brechen. Hinzu kommt, dass wir uns unsere Mandate gerne selber aussuchen wollen, um Menschen und Vorhaben zu unterstützen, die dieselben Werte haben wie wir.
Diskriminierungserfahrung von queeren Menschen „nie in diesem massiven Ausmaß erwartet“
Und so berät das weibliche Power-Team queere Menschen und Frauen in mehreren Belangen, vom Medien- und Urheberrecht bis zum Datenschutz. Ein wesentliches Kernthema ist dabei aber gerade auch die eingangs erwähnte, zunehmende Hasskriminalität im Internet, der sich homosexuelle, nicht-binäre und trans* Menschen in besonderem Maße ausgesetzt sehen. In den ersten Gesprächen mit neuen Mandant:innen geht es dabei zunächst darum, einmal abzustecken, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen und wie groß die Chance auf Erfolg in der Rechtssache sein kann.
„Durch mögliches Schmerzensgeld oder die Löschung und Unterlassung von Hate-Speech im Internet sollen Betroffene Genugtuung erlangen. Unsere queere Fokusgruppe kommt oft zu uns mit Diskriminierungs- und Hate-Speech-Erfahrungen, die wir vorher erahnt, aber nie in diesem massiven Ausmaß erwartet haben“, so Dunkel weiter.
„Jetzt haben Sie sich mal nicht so“
Immer wieder berichten queere Menschen so auch von Unverständnis, die ihnen seitens der Polizei entgegengeschlagen ist. Die Palette reicht von schlichter Negierung der Tat selbst bis hin zu Sprüchen wie „Jetzt haben Sie sich mal nicht so“. Wie Polizist:innen mit einer solchen Situation umgehen, ist dabei sehr unterschiedlich und teilweise selbst innerhalb einer Stadt von Polizeistation zu Polizeistation sehr differenziert und kaum vorhersehbar, was es für queere Menschen oftmals noch schwerer macht, überhaupt den Mut aufzubringen, Anzeige zu erstatten.
„Da muss einfach besser aufgeklärt werden. Wenn ein:e Polizist:in so etwas sagt, sollte man der Person die Qualifikation absprechen, eine juristische Einschätzung dieser Art zu liefern, ist nämlich nicht sein oder ihr Job“, so Richter. Auch mehrfach marginalisierte queere Menschen beispielsweise mit HIV sind vor Willkür nicht sicher, auch nicht von medizinischer Seite. Katja Dunkel erinnert sich an einen Fall, in der ein Arzt einem schwulen Mandanten erklärt hatte, er nehme Heterosexuellen die medizinische Versorgung weg und belaste doch nur das Gesundheitssystem. „Sicherlich eine sehr extreme Aussage, aber so etwas ist in Deutschland noch immer an der Tagesordnung“, so die Rechtsanwältin weiter.
Immer besser, sich gegen Hass, Hetze und Diskriminierung
Das Besondere, weswegen immer mehr queere Menschen den Weg zu den Berliner Rechtsanwältinnen finden, ist die simple Tatsache, dass beide Frauen durch ihren eigenen queeren Hintergrund offener und einfühlsamer mit Betroffenen aus der Queer-Community umgehen können. Richter dazu: „Viele Mandant:innen kommen zu uns, weil sie sich einen empathischen und sensiblen Umgang mit ihnen und ihren Angelegenheiten wünschen, und sich dessen bei uns sicher sein können. Es geht dann oft auch um Themen wie sexualisierte Gewalt oder Diskriminierung im Internet, was uns an einigen Stellen natürlich auch selbst nahe geht. Als Anwältinnen müssen wir uns jedoch auch im notwendigen Maße abgrenzen. Für uns sind das gleichzeitige Einfühlen und das emotionale Abgrenzen kein Widerspruch, sondern ein Zeichen für eine guten Rechtsbeistand.“ Und ihre Kollegin ergänzt: „Uns bewegen vor allem Fälle, die Hasskommentare im Netz oder Diskriminierung am Arbeitsplatz beinhalten. Zu sehen, wie unbegründet hassgeladen Kommunikation teilweise stattfindet, ist immer wieder schockierend.“
Eines ist für beide Frauen dabei klar, es ist immer besser, sich gegen Hass, Hetze und Diskriminierung zu wehren als zu schweigen; nur so können die Zustände sichtbar und dadurch schrittweise für alle queeren Menschen verbessert werden. „Wünschenswert wäre es natürlich, wenn unsere Gesellschaft schon so weit wäre, dass ein solcher ‚Safe Space‘, wie wir ihn anbieten, gar nicht mehr nötig ist. Wir halten solche Angebote aber leider nach wie vor für sehr wichtig. Die Statistiken zu Übergriffen auf queere Menschen sind ein Armutszeugnis für uns als Gesellschaft“, so Katja Dunkel. Und Kollegin Richter ergänzt: „Wir hoffen darauf, dass sich in naher Zukunft alle etwas besser zuhören und einfühlen oder es zumindest ernsthaft versuchen!“