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8 Promis, Politiker:innen und Aktivist:innen, über ihre Wünsche für die queere Community 2023

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Von: Michael Schmucker

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Kevin Kühnert, Sven Lehmann, Anastasia Biefang (v.l.n.r.)
Kevin Kühnert, Sven Lehmann, Anastasia Biefang (v.l.n.r.) und fünf weitere Menschen erzählen von ihren Wünschen für 2023. © Fotostand/Imago/Britta Pedersen/Sebastian Willnow/dpa/Collage/BuzzFeed

Kevin Kühnert will nicht mehr gefragt werden, „wann wir den ersten schwulen Profi-Fußballer sehen“ und Anastasia Biefang wünscht sich „ein Jahr ohne Hass“.

Ein bisschen fürchtet man sich beinahe dabei, wenn man sich jetzt abermals für 2023 Vorsätze macht oder gar Wünsche formuliert – seit Covid, Affenpocken, Ukraine-Krieg und Energiekrise ist man vielleicht schon glücklich, wenn es einfach nicht schlimmer wird. Oder ist diese Weltsicht vielleicht doch zu pessimistisch und es bedarf gerade jetzt eines positiven Blickes nach vorne? BuzzFeed News DE hat einige prominente queere Persönlichkeiten und queer-politische Menschen gefragt, wie sie ins neue Jahr blicken und was – gerade aus Sicht der LGBTQIA+-Community – im neuen Jahr 2023 endlich angepackt werden muss! 

Sven Lehmann wünscht sich mehr Akzeptanz und Gleichberechtigung

Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, sagt gegenüber BuzzFeed News, dass gerade Vielfalt unsere Gesellschaft im neuen Jahr stärken kann: „Wenn Menschen angst- und diskriminierungsfrei unterschiedlich sein können und dabei gleiche Rechte und gleiche Würde haben, ist das ein Gewinn für uns alle, für unser Zusammenleben und für unsere Demokratie. Daher wünsche ich mir für 2023, dass LSBTIQ* als selbstverständlicher und gleichberechtigter Teil der Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert werden.“

Diese Form der gesellschaftlichen Normalität ist auch für Jürgen Lenders, FDP-Sprecher für LGBTQIA+, wichtig, wobei er zudem betont: „Unterschwellige Formen der Ablehnung wie Vorurteile, Ausgrenzungen und Diskriminierungen sind nach wie vor in vielen Köpfen präsent. Egal, wen du liebst und wie du lebst, lass andere nicht über dich urteilen.“

Neujahrswünsche von queeren Aktivist:innen: Mehr Liebe und „ein Jahr ohne Hass und Gewalt“

Am Ende geht es vor allem um mehr Liebe, meint Chris*tian Gaa von der Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU der Deutschen Aidshilfe: „In 2022 haben wir als queere Community weltweit viele schwere Momente durchlebt: die tödlichen Anschläge in Colorado Springs, Bratislava und Oslo, die Einführung oder Verschärfung von queer-feindlichen Gesetzen in Ländern wie Indonesien oder Russland und die auch in Deutschland zunehmende queer-feindliche Gewalt mit dem traurigen Tiefpunkt des Todes von Malte. Wir brauchen in 2023 noch mehr Menschen, die sich weltweit laut und sichtbar für die Liebe und das Recht auf Selbstbestimmung und Entfaltung einsetzen. ‚Zusammenhalten!´ ist das Schlagwort für 2023.“

Auf den Punkt gegenüber Buzzfeed News bringt es auch die trans*-Aktivistin Anastasia Biefang: „Ein Jahr ohne Hass und Gewalt. Das mag jetzt durchaus naiv klingen, aber ich würde mich freuen, wenn wir alle unsere Anstrengungen daransetzen, gut zu uns selbst und zu allen anderen zu sein.“

Der schwule Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, meint dagegen augenzwinkernd: „Ich wünsche mir, dass ich im Jahr 2023 in Interviews nicht mehr die Frage gestellt bekomme, wann wir den ersten schwulen Profi-Fußballer sehen. Denn wir sehen jedes Wochenende schwule Fußballer, nur ‚out´ sind sie bislang nicht. Die Aussicht, der erste zu sein, ist nicht sehr erquicklich. Das verstehe ich.“

Lilo Wanders wünscht sich „viele glückliche Gesichter bei vielen CSDs im Sommer“

Kritisch blickt trans* Autor Till Randolf Amelung auf das neue Jahr und wünscht sich mehr Miteinander, auch in der Community: „Ganz wichtig ist mir, dass wir unsere politischen Ziele in einer Weise erreichen, ohne diese aufgeregte Polarisierung weiter zu füttern. Auch diese Gereiztheit, mit der gerade auch in sozialen Medien immer mehr Menschen auf queere Themen reagieren, besorgt mich und ich wünsche mir, dass sich dies wieder ändert.“

Eine der bekanntesten Drag-Queens des Landes, Lilo Wanders, freut sich dagegen bereits auf den Sommer und sagt: „Viele glückliche Gesichter bei vielen CSDs im Sommer. Es wäre eine tolle Gelegenheit endlich ein neues Selbstbestimmungsgesetz zu feiern, liebe Bundesregierung.“ 

Selbstbestimmungsgesetz, „das Rechte und Würde von trans* Menschen sicherstellt“

Das Thema Selbstbestimmungsgesetz kommt dabei immer wieder auf den Tisch, auch die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler sieht darin ein wesentliches Ziel für 2023: „Politisch muss jetzt natürlich ein Selbstbestimmungsgesetz her, das die Rechte und die Würde von trans* Menschen sicherstellt. In diesem Zusammenhang muss ein flächendeckendes, freiwilliges Beratungsangebot aufgebaut werden. Der Schutz vor Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität gehört endlich ins Grundgesetz. Aber weil Gesetze allein noch nicht die Lebenswirklichkeit ändern, brauchen wir auch eine sichere Finanzierung für die Projekte im nationalen Aktionsplan ‚Queer leben‘.“

Genau dieser Aktionsplan ist das Herzensprojekt von Sven Lehmann für das neue Jahr: „Der Auftakt mit der queeren Community zur Umsetzung ist für das erste Quartal 2023 geplant. Zentral sind für mich vor allem die Ersetzung des unwürdigen Transsexuellengesetzes durch ein Selbstbestimmungsgesetz, die effektive Prävention und Bekämpfung von Hasskriminalität und die rechtliche Anerkennung von Familienvielfalt im Abstammungs- und Familienrecht.“

Gerade die gestiegene Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen macht auch Jürgen Lenders zu schaffen, vor allem weil viele Vorfälle erst gar nicht gemeldet worden seien – jetzt wäre daher nicht die Zeit, um sich zurückzulehnen. „Homo- und Transfeindlichkeit müssen wir entschlossen bekämpfen, sie haben keinen Platz in unserer liberalen, vielfältigen Gesellschaft. Mit dem von Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgelegten Referentenentwurf zum Sanktionenrecht soll Hasskriminalität auch dann härter bestrafen werden, wenn die Beweggründe geschlechtsspezifisch oder gegen die sexuelle Orientierung gerichtet sind.“ 

Kevin Kühnert findet Blutspendeverbot „verletzend und wenig weitsichtig“

Chris*tian Gaa wünscht sich allumfassend weniger Diskriminierung, auch in Bereichen, die aktuell ein wenig ins Hintertreffen geraten sind, wie beispielsweise bei dem viermonatigen Verbot einer Blutspende für schwule Männer. Das sieht auch Kevin Kühnert so: „Wir haben viel zu wenig Spender, aber Männer, die mit Männern Sex haben, müssen unterschreiben, dass sie vier Monate lang keinen neuen und nicht mehr als einen Sexualpartner hatten. Natürlich konnte man bislang einfach lügen, aber die Gesellschaft signalisiert ja mit solchen Regeln, dass unser Blut nicht gewollt ist. Das finde ich verletzend und wenig weitsichtig.“

Daneben sei es auch wichtig, das alltägliche Leben von queeren Menschen mehr im Blick zu haben, so Chris*tian Gaa weiter: „Viele queere Menschen fühlen sich nicht sicher, auf der Straße, auf der Arbeit oder in der Schule und Ausbildung.“ Um das zu ändern, müsse jedwede Diskriminierung raus aus unseren Gesetzen.

„Außerdem sollten queere Strukturen, zum Beispiel Räume für Austausch oder Beratung von queeren Menschen, stärkere finanzielle Unterstützung durch Kommunen, Land und Bund erhalten. Wir brauchen, wie alle Menschen, Räume, in denen wir uns sicher bewegen und wir selbst sein können.“ 

Queere Jugendliche auf dem Land brauchen Unterstützung

Lilo Wanders blickt ebenso auf die Situation von queeren jungen Menschen auf dem Land: „Es ist wichtig, dass nicht nur große Metropolen, sondern alle Kommunen sich verantwortlich fühlen. Gerade für queere Jugendliche ist es wichtig, vor Ort Möglichkeiten für Gemeinschaft und Unterstützung zu schaffen.“ Der zentrale Punkt, warum die Drag-Queen erst vor kurzem eine neue Stiftung namens “Come Out!“ gegründet hat, um zusammen mit weiteren prominenten und fachkundigen Unterstützer:innen die queere Jugendarbeit zu stärken, gerade auch auf dem Land. Ihr Ziel ist es, 2023 für mindestens drei queere Jugendprojekte Projektpartner:innen zu finden.

Das Thema queere Jugend ist auch für trans* Frau Anastasia Biefang ein wesentlicher Aspekt: „Gesellschaftlich muss die Akzeptanz queerer Menschen auch weiterwachsen. Wir fordern ja keine Sonderrechte, sondern einfach Gleichberechtigung und die Anerkennung unserer Lebensentwürfe und Lebensmodelle“, so die Aktivistin, der zudem wichtig ist: „Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir erkennen, dass das Thema der Intersektionalität insbesondere die queere Community betrifft und wir daher besonders gefordert sind, die Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungen zu erkennen, uns diesen bewusst zu sein und die dadurch spezifischen Erfahrungen der Diskriminierung sichtbar zu machen.“

Kevin Kühnert mahnt: „Lasst uns zusammenbleiben und Differenzen aushalten“

Kevin Kühnert hingegen hat auch mahnende Worte für die Community:

Wir dürfen in der Community niemals selbstzufrieden werden und uns mit Verweis auf ‚Woanders ist es doch viel schlimmer´ abspeisen lassen. Unsere Bewegung ist lokal und international gleichermaßen gefordert. Da sollten wir selbstbewusst auftreten und ganz wichtig: Wir sind als Community bunt und vielfältig, aber alle gleichsam gefordert, wenn es um den Kampf für gleiche Rechte geht. Lasst uns daher zusammenbleiben und Differenzen aushalten.

Kevin Kühnert


Für die Linke Kathrin Vogler sollte indes auch die Gesundheit queerer Menschen ein Kernprojekt sein: „Ich möchte mich 2023 ganz besonders für das Thema ‚queere Gesundheit´ starkmachen, das bei Karl Lauterbach offenbar in irgendeiner Kramkiste gelandet ist. Dazu gehört die Frage nach der Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen ebenso wie etwa der steigende Bedarf an Aufklärung bei jungen schwulen und bisexuellen Männern zum Thema sexuell übertragbare Krankheiten, nicht nur aber auch HIV/AIDS.“

Wichtig sei dabei generell zudem, dass auch von LGBTQIA+-Personen mehr Einsatz komme: „Die Community sollte meiner Ansicht nach politischer werden, auch bei allgemeinpolitischen Themen wie Energiearmut und Wohnungsnot. Zeiten existenzieller Nöte sind nämlich immer schlechte Zeiten für gesellschaftliche Minderheiten.“

Vorsätze queerer Aktivist:innen für 2023

Dieses Wir-Gefühl ist auch für Chris*tian Gaa sehr wichtig: „Wir können füreinander da sein, uns Halt geben und niemanden alleine lassen!“ Ein klarer Vorsatz auch bei Anastasia Biefang: „Ich habe mir vorgenommen, noch sichtbarer für die queere Community einzutreten und zwar auch dort, wo dieses nicht so einfach ist wie in Berlin oder Köln. Ich möchte gerne die Pride in Kiew oder in Tiflis zum Beispiel unterstützen.“

Und mit Blick auf die ganze Community bekräftigt die Power-Frau zudem: „Ich denke und hoffe, dass wir weiterhin laut und sichtbar sein werden und aktiv auf die Gesellschaft einwirken können, um entschieden gegen Diskriminierung und Gewalt einzutreten und zugleich durch unsere Arbeit auf den verschiedenen Ebenen, das Leben für queere Menschen gleichberechtigter und erlebbar besser zu machen. In Einheit liegt einfach Stärke und die Geschlossenheit der queeren Community ist wichtiger denn je.“

Auch für Jürgen Lenders ist die Sichtbarkeit ein wesentlicher Aspekt für das neue Jahr, auch in ganz neuen Gefilden: „Es würde mich freuen, wenn sich im Jahr 2023 ein aktiver Bundesligaprofifußballer outet. Mehr Präsenz ruft leider auch die Gegner hervor. Daher sollte die Community enger zusammenstehen. Dazu gehört eben auch, dass sich noch mehr queere Menschen öffentlich zeigen und äußern. Das wäre ein starkes Signal und würde zeigen, wie vielfältig queeres Leben ist.“ 

Queere Community habe mit der Ampel-Koalition eine Verbündete, sagt Kühnert

Für Diversity-Fachmann Till Randolf Amelung ist wichtig, dass diese Sichtbarkeit nicht durch Gewalt im Jahr 2023 gefährdet ist: „Wie können wir 2023 sicher demonstrieren und feiern? Der Tod von Malte war ein schrecklicher Tiefpunkt in dieser Hinsicht. Auch jenseits der CSDs ist Schutz vor Gewalt ein wichtiges Thema, wenn man allein die Meldungen aus diesem Jahr Revue passieren lässt, wo queere Menschen im öffentlichen Raum angegriffen worden sind – nur weil sie sind, wie sie sind.“

Sven Lehmann wünscht sich von der Community mehr politischen Einsatz: „Wenn ich mir was wünschen könnte, dann, dass sie die Bundesregierung selbstbewusst, solidarisch und konstruktiv-kritisch antreibt und uns in den zu erwartenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die queer-politischen Vorhaben zur Seite steht. Denn emanzipatorische Errungenschaften mussten immer gegen starke Widerstände erkämpft werden. Da freue ich mich über Unterstützung.“

Till Randolf Amelung ergänzt bezüglich des politischen Ziels: „Wir sollten eine gute Lösung für eine Transsexuellengesetz-Ablöse finden, die auch in weiten Teilen der Gesellschaft Zustimmung finden kann. Daher brauchen wir auch einen Plan B, falls das anvisierte Selbstbestimmungsgesetz zu scheitern droht, sonst stehen wir mit leeren Händen da. Vielleicht sollten wir alle weniger Zeit im Internet verbringen und wichtige Debatten auch von Angesicht zu Angesicht führen. Corona war ja in den letzten Jahren ein Hindernis für analoge Veranstaltungen, aber umso wichtiger ist es jetzt, wieder zusammenzukommen und sich beim Austausch von Argumenten in die Augen zu sehen.“

Kevin Kühnert bekräftigt dabei zudem, dass die queere Community mit der Ampel-Koalition eine echte Verbündete habe: „Und wem es nicht schnell genug geht, der ist eingeladen nachzuhaken, Druck zu machen und uns anzutreiben. Die Stimmen der Community werden nicht mehr überhört, wie wir es in Zeiten unionsgeführter Regierungen oft erleben mussten. Lasst uns diese Chance nutzen!“

„Seid mutig und traut euch, anders zu sein“

Viele entscheidende Punkte für die queere Community im Jahr 2023 – dabei ist allen Befragten besonders wichtig, gerade auch jungen queeren Menschen in diesen Zeiten Mut zu machen, trotz all der Probleme, die sich vielleicht auch im neuen Jahr nicht gänzlich zur Seite wischen lassen werden.

Jürgen Lenders dazu: „Jungen queeren Menschen rate ich, seid mutig und traut euch, anders zu sein. Auch wenn das für einige Menschen ein Problem sein könnte, ihr dürft euch nicht verstecken!“ Und Bundestagskollege Sven Lehmann beteuert mit kräftiger Stimme:

Du bist richtig, genauso wie Du bist! Höre nicht auf diejenigen, die Dir einreden wollen, dass Du falsch bist oder weniger wert, dass Du Dich schämen oder verstecken solltest. Es gibt sehr viele Menschen, die dich so akzeptieren wie du bist, die dich unterstützen und die für dich da sind. Selbst in den Momenten, in denen du dich allein fühlst, gib die Suche nach diesen Menschen nie auf.

Sven Lehmann

Kathrin Vogler bedient sich dabei eines Zitates von Rosa Luxemburg: „Sieh, dass Du Mensch bleibst: Mensch sein ist vor allem die Hauptsache. Und das heißt: fest und klar und heiter sein, ja heiter trotz alledem und alledem, denn das Heulen ist Geschäft der Schwäche.“

Lilo Wanders bringt es mit ihrem berühmten Lächeln so auf den Punkt: „Irgendwie ‚anders‘ zu sein, heißt ‚besonders‘ zu sein. Gemeinsam machen wir die Welt besonders!“ Ähnlich sieht das auch Till Randolf Amelung, der fordert: „Geht auf andere Menschen zu! Die Welt ist nicht ausschließlich böse. Wir können viel mehr erreichen und Menschen für uns gewinnen, wenn wir mit anderen in den Austausch, anstatt nur in Opposition gehen.“

„Jetzt rocken wir 2023!“

Anastasia Biefang umarmt uns schlussendlich mit ihrem Statement: „Life is fabulous. Bleibe Dir treu und sei sichtbar so wie Du bist. Du bist wunderbar queer!“. Und Chris*tian Gaa ergänzt abschließend: „Wir als queere Community haben in den letzten Jahren, trotz so vieler Widerstände, so viel geschafft, jetzt rocken wir 2023!“ Wir freuen uns darauf!

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