1. BuzzFeed
  2. News

Kinder schreien „Kacke“ zu Alexa und diese Musiker:innen profitieren

Erstellt:

Kommentare

Amazon Alexa im Hintergrund, Poop-Emojis im Vordergrund.
Was Alexa im Moment so hört... © Maddie Abuyuan / BuzzFeed News

Kinder reden mit der Alexa ihrer Eltern und auf einmal werden Songs wie „Poopy Diaper“ absolute Hits.

Es gibt viele Themen, bei denen mein Fünfjähriger und ich nicht einer Meinung sind: wie viel Eis am Stiel pro Tag angemessen ist oder ob es sinnvoll ist, sonntags länger als bis 7:30 Uhr zu schlafen. Aber es gibt einen Bereich, in dem wir philosophisch auf einer Wellenlänge sind: „Poop“ (dt.: „Kacke“) ist ein lustiges Wort. Als mein Sohn also unserer Amazon Echo Dot befahl: „Alexa... spiele Kacka-Windel“, warf ich ihm einen gespielt strengen Blick zu, um ihm zu signalisieren, dass das zwar nicht angemessen ist, aber ich es trotzdem erlaube. Millenials erziehen ihre Kinder anders, als ihre Boomer-Eltern.

Als Alexa dann antwortete: „Okay, spiele ‚Poopy Diaper‘ von Spotify“ war ich neugierig. Als der Sprachroboter, der von einem der reichsten Männer der Welt erschaffen wurde, anfing, einen hämmernden Techno-Knaller zu spielen, dessen Refrain von einer Sängerin gesungen wurde, die „I‘ve got a poopy diaper, a poopy diaper, that‘s me“ (Ich habe eine volle Windel, eine volle Windel, das bin ich) sang, brach ich in schallendes Gelächter aus.

Wie sich herausstellte, gibt es eine ganze Reihe von Liedern, mit denen Alexa die ganze Bandbreite der Dinge abdecken kann, die sich ein Kindergartenkind so ausdenken kann: Kacka, Windeln, Hundekacke, stinkender Hintern, Furze.

Größte Einnahmequelle der Songschreiber:innen ist Amazon Music

Es ist nicht überraschend, dass es Songs über die grundlegendsten menschlichen Funktionen gibt – was ist der Sinn der Kunst, wenn nicht, uns durch gemeinsame Gefühle zu vereinen? Aber um diese Lieder mit ihrem idealen Publikum (Kinder, die noch nicht buchstabieren können) zu verbinden, bedurfte es eines technologischen Sprungs: sprachgesteuerte intelligente Lautsprecher wie Alexa. Einige der Songschreiber:innen erzählten BuzzFeed News US, dass ihre größte Einnahmequelle Amazon Music sei – der Standard-Musikplayer für Alexa. Was diese Künstler:innen betrifft, ist die Beweislage eindeutig: Das Wort „Poop“ bedeutet Streaming-Gold.

Joey Helpish ist sich bewusst, dass Kinder, die Alexa benutzen, wahrscheinlich die Haupthörer:innen seines Ukulelen-Hits „Poopy Stupid Butt“ sind. „Wir haben das bestimmt schon 10.000 Mal gehört“, sagt er BuzzFeed News US. Helpish und seine Partnerin Kristen Muir leiten eine Musikschule in Oregon, die sich auf die Arbeit mit autistischen Kindern spezialisiert hat und ihnen beim Schreiben von Songs hilft.

„Wir haben eine große Songwriting-Session mit drei Kindern gemacht“, erzählt Helpish. „Ich sagte: ‚Gebt mir fünf Silben für den Anfang‘, und ein kleines vierjähriges Mädchen schrie: ‚Kacke, blöder Hintern!‘ In den nächsten zehn Minuten habe ich alles aufgeschrieben, was die Kinder mir zuriefen, dass der blöde Hintern macht“. Er lud den Song auf Amazon Music hoch, zusammen mit einem Haufen anderer Songs, die von Kindern der Schule mitgeschrieben wurden.

Coronapandemie sorgt für mehr Musikstreams

Im Jahr 2019 musste Muir einige Arztrechnungen bezahlen, und das Paar war knapp bei Kasse. Helpish zerschlug sein digitales Sparschwein: Er sah sich seine Abrechnung bei Amazon Music an – etwas, das er selten tat, da es sich immer nur um ein paar Dollar handelte. Zu seiner Überraschung hatte sein Konto mehrere hundert Dollar auf dem Konto – alles durch die Wiedergabe von „Poopy Stupid Butt“.

„Ich war in allen sozialen Medien unterwegs und sah es immer wieder: ‚Mein Kind hat das zu Alexa gesagt‘“, erzählt Helpish.

Eine Zeit lang verdiente das Paar etwa 100 Dollar im Monat mit dem Lied – und dann kam Corona. Die Kinder saßen zu Hause fest und hatten wenig zu tun, und gestresste Eltern waren eher als sonst bereit, ihre Kinder von einem elektronischen Gerät unterhalten zu lassen. Die Abrufe von „Poopy Stupid Butt“ auf Amazon stiegen sprunghaft an: Das Lied wurde inzwischen etwa 10 Millionen Mal auf Amazon Music gestreamt und hat Helpish und Muir etwa 10.000 Dollar eingebracht.

Kinder reden auf der ganzen Welt mit der Amazon Alexa

Amazon reagierte nicht auf Anfragen, wie oft Kinder Alexa „Kacke“ zurufen. Ein:e Vertreter:in von Spotify sagt, man sei nicht in der Lage, die Abspielmethode zu bestimmen. Zwar gibt es keinen eindeutigen Beweis dafür, dass Amazon weiß, dass diese Lieder hauptsächlich von Kindern gespielt werden, die mit Alexa sprechen, aber ich glaube, es gibt genügend Hinweise, die dafür sprechen. Die Tatsache, dass Amazon Music – das einen viel geringeren Anteil am US-Streaming-Markt hat als Spotify – die Haupteinnahmequelle für Künstler:innen wie Helpish ist, lässt vermuten, dass Alexa-Plays dahinter stecken. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Kinder Alexa gerne bitten, „Kacke“ zu spielen.

Auf Spotify kann man sehen, wie oft ein Song abgespielt wude, aber nicht auf Amazon Music. Die Spotify-Wiedergabezahlen sind nützlich für einige allgemeine Angaben darüber, welche „Poop“-Lieder „Hits“ sind (es ist möglich, dein Spotify-Konto mit Alexa zu verbinden, aber meine starke Vermutung ist, dass viele Alexa-Gerätebesitzer sich nicht die Mühe machen, ihre Einstellungen zu ändern, vor allem, wenn es nicht hauptsächlich für Musik verwendet wird). Eine Sache, die Spotify zeigt, ist, dass es nicht nur englischsprachige Kinder sind, die nach „Kacke“ fragen – der französische Song „La chanson du caca“ hat über eine Million Streams, was darauf hindeutet, dass Kinder in Frankreich Alexa „caca“ zurufen. Très drôle.

SEO-Songs sind ein Erfolgsmodell

Matt Farley ist ein äußerst erfolgreicher Songwriter, der die Kunst des SEO-Songs (Anmerkung: SEO bedeutet Suchmaschinenoptimierung) beherrscht. Er hat mehr als 23.000 Songs aufgenommen, die oft sehr kurz sind und Phrasen und Namen enthalten, nach denen jemand suchen könnte – viele prominente Namen, häufige Vornamen. Und erstaunlicherweise ist dies ein solides Geschäftsmodell. Farley kann mit seinem Musikkatalog ein bescheidenes Einkommen erzielen. (Anmerkung: Er schrieb 2014 einen Song mit dem Titel „Katie Notopoulos Is a Talented Writer, Oh Yeah“ (Katie Notopoulus ist eine talentierte Autorin), aber als talentierte Schriftstellerin ändert das nichts an meiner Berichterstattung).

In seiner umfangreichen Sammlung von Songs, die eine Vielzahl von Themen abdecken, sind seine größten Hits alle eher obszön. Sein größter Hit ist „Poop Poop Poop Poop Song“.

Die Songs sind erstaunlich gut; er macht Musik in einer vielen verschiedenen Stilen. Farley findet das Ganze genauso lustig wie alle anderen. Man kann seine SEO-Gaming-Songs als zynische Geldbeschaffungsmaßnahme betrachten oder sein Werk als ein Jahrzehnt andauerndes Performance-Kunstwerk, das die Auswirkungen der Technologie auf die Kunst im Kapitalismus kommentiert.

Amazons Alexa ist der Grund für mehr Streams

Farley, der unter den Künstlernamen Toilet Bowl Cleaners (Toilettenreiniger) und Odd Man Who Sings About Poop, Puke, and Pee (Seltsamer Mann, der über „Kacke“, „Kotze“ und „Pipi“ singt) auftritt, hat viele Songs, die sich mit dieser besonderen menschlichen Erfahrung befassen. In einem Profil von Farley aus dem Jahr 2021 auf Debugger heißt es, dass er, als er einen Trend zu „Poop“songs feststellte, davon ausging, dass Kinder sich in die Spotify-Konten ihrer Eltern einklinken und unanständige Wörter eintippen würden.

Als ich jedoch mit Farley von seinem Haus in Massachusetts aus telefonierte, brachte ich ihn auf die Idee, dass es sich tatsächlich um Kinder im Vorschulalter handelte, die „Poop“ zu Alexa sagen. Die Theorie machte für ihn Sinn – sie stimme sogar mit den Daten überein, die er gesehen hatte.

Alexa: Amazon wird zur Haupteinnahmequelle vieler Künstler:innen

„Ich verdiene mit Amazon Music mehr Geld als mit jedem anderen Streaming-Dienst“, sagt er. Das war nicht immer der Fall – auf Spotify und iTunes oder Apple Music war er früher beliebter (und so ist es für die meisten beliebten Künstler:innen). Etwa im Jahr 2017 bemerkte Farley, dass die Amazon-Einnahmen sehr schnell wuchsen, vor allem bei seinen „Poop“-Songs. Das Timing passt: Der günstigere Echo Dot kam 2016 auf den Markt und wurde 2017 nochmal billiger.

„Amazon macht mindestens 30 Prozent meines Einkommens aus, und die anderen gehen von da an runter“, so Farley. „Das muss von Alexa kommen. Amazon Music wird nicht von großen Musikfans genutzt.“ Farley hat Hits wie „I Poop With My Dog“ oder „I Need a Lot of Toilet Paper to Clean the Poop in My Butt“ nicht mit der Absicht geschrieben, Vierjährige dazu zu bringen, Obszönitäten zu Alexa zu brüllen. „Ich hatte Glück, denn als ich ‚Poop in My Fingernails‘ (2013) schrieb, gab es noch keine solchen Geräte, aber es stellte sich heraus, dass ich unbewusst auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hatte“, scherzte er.

Der „Poop Poop Poop Poop Song“ ist Farleys bei weitem beliebtester Song; er schätzt, dass er auf Amazon Music acht Millionen Mal gestreamt wurde. Vergleicht man die Plattformen, so ist das Interesse an „Poop“ deutlich: „Auf Amazon Music stammen 80 Prozent meiner Einnahmen von den ‚Poop‘-Songs“, so Farley. „Auf Spotify hingegen machen die Songs etwa 50 Prozent meiner Einnahmen aus.“

Kommerzieller Erfolg ist das Hauptziel für Künstler:innen

"Poopy Diaper", der Techno-Kracher mit einer Sängerin, war kein Zufall. Mike Bielenberg machte sich daran, einen Song mit kommerziellem Erfolg zu schreiben, nachdem er mitbekommen hatte, dass "Grandma Got Run Over by a Reindeer" ein finanzieller Glücksfall für den Autor war. Sein Traum war es, einen zeitlosen Song zu schreiben, der ein Ohrwurm für Eltern ist, die ihren Kindern gerade beibringen, aufs Töpfchen zu gehen. Bielenberg arbeitet auf der weniger glamourösen Seite der Musikindustrie: Er leitet MusicRevolution, eine Firma, die gebührenfreie Musiklizenzen vergibt.

Er nahm den Song mit seinem Sohn im Teenageralter, einer befreundeten Sängerin und einem Rapper auf und veröffentlichte ihn 2013. Bislang wurde das Lied rund 260.000 Mal auf Amazon Music gestreamt, aber nur 60.000 Mal auf Spotify. Bielenberg erzählte BuzzFeed News US, dass er mit dem Lied knapp 3.000 Dollar (3.097 Euro) verdient habe (er zahlt den Musiker:innen, die an dem Lied mitgewirkt haben, regelmäßig Tantiemen).

Bielenberg weiß, dass der Song albern ist, aber er freut sich, dass er so lange überdauerte. „Ich möchte diesen Song auf keinen Fall in einen Topf mit den Beatles werfen, aber ich denke, dass hier trotzdem gute Arbeit geleistet wurde.“

Kinder wissen: Was Eltern mögen, ist uncool

Als Elternteil versuche ich, mit meiner stillschweigenden Zustimmung zum Wort „Kacke“ vorsichtig zu sein. Ich erklärte, dass es in Ordnung ist, zu Hause oder mit Freunden über solche Wörter zu lachen, aber nicht in der Schule. Es scheint jedoch, dass Kinder schon in jungen Jahren erkennen, dass die Dinge, die ihre Eltern mögen, nicht cool sind. Nachdem ich immer wieder den Refrain von Farleys Ohrwurm „I Poop With My Dog“ gesungen hatte, hatte mein Kind die Nase voll davon. Als er den Song hörte, während ich diesen Artikel geschrieben habe, verdrehte er die Augen und sagte: „Hörst du dir schon wieder das Kacklied an?“ Genauso wie Kinder ab und an mal ihre Eltern uncool finden, sind auch Eltern manchmal von ihren Kindern genervt sind. Hier teilen Leute, was sie insgeheim daran hassen, Kinder zu haben.

Autorin ist Katie Notopoulus. Der Artikel erschien am 01. September 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Friederike Hilz.

Auch interessant

Kommentare