Kinderpsychiater warnt: „Der Stress durch die Corona-Pandemie hält an“

Corona hat Kinder und Jugendliche extrem belastet. Auf kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken in Deutschland kommt ein „Nachholeffekt“ zu, erklärt Kinderpsychiater Michael Kölch.
Schulschließungen, Kindergeburtstage ohne Freund:innen, Schwimmen und Fußball-Training entfällt – Kinder und Jugendliche haben unter der Corona-Pandemie gelitten. Auch wenn Details über die weitreichenden Folgen noch unklar sind, geben Studien und Expert:innen erste Hinweise: Die Pandemie hat Kinder und Jugendliche in hohem Maße psychisch belastet.
„Durch diese Belastungen hatten wir einerseits mehr Patient:innen und gleichzeitig gab es auch Kinder und Jugendliche, die aufgrund der Pandemie nicht oder später in Behandlung gekommen sind“, sagt Michael Kölch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) und Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Unimedizin Rostock im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland.
„Nachholeffekt“ nach der Pandemie trifft auf regional unterschiedliche Situation in den Kliniken
Psychische Erkrankungen nehmen bei Stresssituation zu, erklärt der Kinderpsychiater. Depressionen, Essstörungen, Angststörungen und selbstverletzendes Verhalten haben bei den Kinder und Jugendlichen während der Pandemie leicht zugenommen „und das alles trifft auf eine regional sehr unterschiedliche Versorgungssituation in Deutschland“, so Kölch.
In Bayern und Baden-Württemberg gebe es beispielsweise eine deutlich niedrigere Bettenziffer – also Plätze in Kinder- und Jugendpsychiatrischen Kliniken pro 1000 Kinder- und Jugendliche – als in Sachsen-Anhalt. „Der Stress durch die Corona-Pandemie hält an“ und es gebe einen „Nachholeffekt“, erklärt Experte Kölch. Der bestehe eben darin, dass Kinder und Jugendliche erst jetzt, wo die Corona-Pandemie für viele ihren Schrecken verliert, in Behandlung kommen. Die Krisen der vergangenen Jahre haben psychosomatischen Symptome bei Kindern weiter verstärkt, sagt auch der Kinderarzt Burkard Voigt.
Der Verband Bildung und Erziehung macht deutlich, dass die Pandemie wieder auf die politische Tagesordnung muss. Er sieht die Schulen in Deutschland schlecht auf den Corona-Herbst vorbereitet. „Schulen sind weiterhin keine sicheren Lernorte und laufen im kommenden Schuljahr Gefahr, erneut geschlossen werden zu müssen, wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen“, sagte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann laut Deutscher Presse-Agentur dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Handlungsbedarf in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unabhängig von Corona
„Wir waren immer schon voll“, so der DGKJP-Präsident zur Situation der Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Schon vor der Pandemie seien die Kliniken zu 90 Prozent ausgelastet gewesen. Welchen Einfluss die Pandemie auf die Situation der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland habe, hänge daher stark von der Region ab.
Aber es gebe Handlungsbedarf unabhängig von der Pandemie: „Wir müssen ambulante Hilfesysteme ausbauen, die Möglichkeiten der Telemedizin mehr nutzen, unsere Angebote müssen niedrigschwelliger werden und wir müssen die Kinder und Jugendlichen in ihren Lebenswelten behandeln.“ Das System müsse moderner, flexibler und besser an die Bedürfnisse, der jungen Patient:innen angepasst werden. Ein gutes Beispiel seien Tageskliniken, in denen die jungen Patient:innen abends nachhause zu ihren Familien gehen.
Dramatische Personalsituation in Kliniken der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Natürlich brauche es regional auch mehr Plätze in den Kliniken, aber „die Situation des Personals in den Kliniken ist dramatisch. Wir können nicht einfach mal die Plätze erhöhen, dafür haben wir gar nicht die notwendigen Ärzt:innen und das Pflegepersonal“, sagt Kölch. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie sei in der Medizin schon immer eines der Fächer mit der geringsten Bewerber:innenquote auf eine Stellenausschreibung gewesen. Ziel sei es, das Fach schon früher bei den Studierenden bekannt zu machen und attraktiver für diejenigen, die den Beruf hauptsächlich ausüben: Frauen.
Die Situation des Personals in den Kliniken ist dramatisch.
„Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ein Fach mit einem hohen Anteil von Mitarbeiterinnen“, so Kölch. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müsse gestärkt werden, zum Beispiel durch mehr Möglichkeiten die Fachärzt:innenausbildung während der Elternzeit fortzusetzen. „Wir müssen darauf achten, genug Personal zu haben, denn die psychische Gesundheit von Kindern ist das Gesundheitsthema für die Zukunft“, sagt der Kinderpsychiater.