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Weiße Armbinden an Zivilist:innen in Butscha: Militärexperte erklärt, was sie bedeuten könnten

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Von: Jana Stäbener

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Ukrainische Zivilist:innen tragen weiße Stofffetzen um ihre Arme, russische Soldat:innen tragen offizielle weiße Armbinden – was hat es damit auf sich?
Seit dem Massaker in Butscha diskutiert das Internet über die Bedeutung der weißen Armbinden im Ukraine-Krieg. © ITAR-TASS/IMAGO, Konstantin Mihalchevskiy/dpa (Collage)

Das Internet spekuliert, warum Zivilist:innen im Ukraine-Krieg weiße Armbinden tragen. Wir haben einen Kriegsexperten gefragt – er hat drei mögliche Theorien.

Vergangene Woche wurden die schrecklichen Verbrechen in der ukrainischen Kleinstadt Butscha bekannt. Auch der ukrainische Präsident Selenskyj zeigt sich in Butscha verzweifelt über den Krieg. Im Internet kursieren mittlerweile unzählige Bilder der Opfer vom Butscha-Massaker. Weil einige von ihnen mit weißen Stoffstücken gefesselt sind oder diese direkt am Arm tragen, diskutiert nun ganz Twitter darüber, was es mit den „weißen Armbinden“ auf sich hat. Die Spekulationen reichen von Russland-Sympathie bis offizielles Zeichen für Zivilist:innen. Beides ist vermutlich falsch. Der Militärexperte Gustav Gressel hat andere Theorien.

Weiße Armbinden vs. weiße Stofffetzen: Der Unterschied ist im Ukraine-Krieg entscheidend

Zuerst einmal ist es wichtig, den Begriff der „weißen Armbinde“ zu definieren. Es gibt nämlich zwei Varianten einer Armbinde: Eine offizielle, die als Kennzeichnung in Kriegen eingesetzt wird, und eine inoffizielle, die meist nur aus einem „weißen Stofffetzen“ besteht. Im weiteren Verlauf des Artikels werden wir diese beiden Varianten getrennt als „weiße Armbinden“ und „weiße Stofffetzen“ bezeichnen, damit keine Verwirrung entsteht.

Weil sich die ukrainischen und russischen Uniformen stark ähnelten, nutzten beide Seiten im Ukraine-Krieg offizielle Armbinden, um sich voneinander unterscheiden zu können, erklärt uns der Osteuropa- und Militärexperte Gustav Gremmel vom European Council On Foreign Relations. Anhand von Bildern aus dem Ukraine-Krieg gibt er folgende Einschätzung:

Auf der linken Seite sind ukrainische Soldat:innen mit blauen Armbinden zu sehen, auf der rechten Seite russische mit weißen Armbinden.
Auf der linken Seite sind ukrainische Soldat:innen mit blauen Armbinden zu sehen, auf der rechten Seite russische mit weißen Armbinden. © Vadim Ghirda/dpa, Konstantin Mihalchevskiy/dpa (Collage)

Weiße Stofffetzen bei Ukrainer:innen seien kein Zeichen für Russland-Sympathie – im Gegenteil

Weil weiße Armbinden von russischen Soldat:innen getragen werden und einige der zivilen Opfer in Butscha nun mit weißen Stofffetzen gesichtet wurden, spekulieren Putin-Befürworter, dass die getöteten Ukrainer:innen wohl Russland-Sympathie empfanden und von der ukrainischen Armee deswegen umgebracht wurden (siehe Tweets unten). Das sei grundlegend falsch, sagt Kriegsexperte Gustav Gressel. „Es gibt kein wirkliches pro-russisches Erkennungszeichen in der Ukraine, weil es keine pro-russische Massenbewegung gibt.“ Weiße Binden habe es in der Ukraine nie als Gesinnungsabzeichen gegeben.

Sind weiße Stofffetzen ein Zeichen für Zivilist:innen?

Twitter-User:innen entgegnen solchen pro-russischen Tweets, dass die weißen Stofffetzen ein Zeichen für Zivilst:innen seien (siehe Tweets unten). Das sei so aber auch nur teilweise richtig, erklärt Gressel. Sie seien zumindest kein offizielles Zeichen. Normalerweise verwende man keine weißen Armbinden, da sie den Kennzeichen für Sanitäter zu sehr ähnelten. Aber weiß als Farbe stehe im engeren Sinne für Frieden und hätten sich als Erkennungszeichen für Unbewaffnete etabliert. Deswegen kann sich Gressel vorstellen, dass sich einige Zivilist:innen weiße Stofffetzen um ihren Arm binden, weil sie hoffen, dadurch nicht von russischen Soldat:innen erschossen zu werden.

Eine zweite Möglichkeit sei, dass die russischen Soldat:innen in einer besetzten Region alle Zivilist:innen dazu zwingen würden, weiße Stofffetzen zu tragen: „Man weiß nicht: Haben die Russen das vielleicht von den Zivilisten verlangt, um nicht erschossen zu werden?“ Viele der ermordeten Zivilisten, die man auf Fotos sehe, seien mit weißem Stoff gefesselt, gibt Gressel außerdem zu bedenken. „Da liegt der Verdacht relativ klar: Der jeweilige russische Soldat hat seine Binde oder Stoff zum Fesseln verwendet, um das Opfer dann zu foltern, vergewaltigen, erschießen“, sagt der Militärexperte. Hier ein Artikel darüber, wie Selenskyj bei einer UN-Ansprache den Alptraum russischer Kriegsverbrechen in Butscha beschreibt.

Warum tragen die Zivilist:innen im Ukraine-Krieg weiße Stofffetzen? Drei Theorien von Gustav Gressel:

  1. Ukrainer:innen könnten die weißen Stofffetzen freiwillig tragen, und erhoffen sich so vor russischen Angriffen zu schützen. Dabei würden sie nicht nur daran denken, dass weiße Armbinden von der russischen Armee getragen werden, sondern auch an das Symbol der weißen Flagge als Friedenszeichen.
  2. In russisch besetzten Regionen könnten russischen Soldat:innen die Ukrainer:innen zwingen, die weißen Stofffetzen am Arm zu tragen, um als Zivilist:innen erkannt zu werden.
  3. Wenn weiße Stofffetzen an Leichen zu sehen sind, insbesondere an den Händen oder Füßen, dann deute das darauf hin, dass russische Soldat:innen die Opfer gefesselt haben – mit dem, was sie eben gerade zur Hand hatten. Das sei dann unter Umständen auch eine eigene Armbinde gewesen oder eben einfach ein Stück Stoff.
Auf diesem Bild im besetzten Mariupol sind ukrainische Zivilist:innen zu sehen, die weiße Stofffetzen um ihre Arme gebunden haben. Sie evakuieren Patient:innen aus einem Krankenhaus in Levoberezhny.
Auf diesem Bild im besetzten Mariupol sind ukrainische Zivilist:innen zu sehen, die weiße Stofffetzen um ihre Arme gebunden haben. © ITAR-TASS/IMAGO

Gressel macht gegenüber BuzzFeed News Deutschland immer wieder klar, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, warum Ukrainer:innen weiße Stofffetzen am Arm tragen. Es gebe zu wenig Informationen über die exakten Verhältnisse in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine, um eine ganz klare Antwort finden zu können, sagt uns der Osteuropaexperte.

Auf jeden Fall unglaubwürdig sei, dass vorrückende Ukrainer:innen ihre eigene Bevölkerung nur aufgrund der weißen Stofffetzen erschossen hätten. „Wenn die ukrainischen Zivilisten wussten, dass ihre eigenen Truppen gegen die Russen kämpften, dann kamen sie nicht auf die Straße“, sagt Gressel. Und wenn, dann hätten sie die weißen Stofffetzen abgemacht, die sie ja nur gegen die russischen Besatzer schützen sollten, nicht gegen die ukrainischen.

Was geschah beim Butscha Massaker?

Am vergangenen Sonntag (3. April 2022) wurde bekannt, dass in Butscha, einem Vorort von Kiew, rund 300 Leichen gefunden wurden – die meisten von ihnen Zivilist:innen. Politiker:innen auf der ganzen Welt verurteilten die Vorfälle. Russland behauptet bis heute, die Szenen seien gestellt. Satellitenbilder zeigten jedoch, dass dort bereits seit dem 10. März Leichen lagen, also noch zu der Zeit, als russische Truppen das Gebiet besetzten. Die Aussagen des Kremls seien deswegen nicht haltbar, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch (6. April 2022).

Mittlerweile liegen dem Bundesnachrichtendienst (BND) laut dpa abgefangene Funksprüche des russischen Militärs vor, die beweisen, dass russische Soldaten Zivilist:innen in Butscha gezielt töteten. In einem Funkspruch soll ein russischer Soldat erzählen, dass er gemeinsam mit weiteren Streitkräften einen Mann vom Fahrrad geschossen habe. Die Aufnahmen legen laut Spiegel nahe, dass es sich bei den Gräueltaten in Butscha um strategische militärische Maßnahmen handelte, was das Bild von Putin als Kriegsverbrecher weiter festigt.

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