Reggaemusiker Gentleman über kulturelle Aneignung: „Hatte immer etwas mit Lernen zu tun“

Seit einiger Zeit ein heiß diskutiertes Thema: kulturelle Aneignung. Nun meldet sich der bekannte weiße Reggaesänger Gentleman dazu zu Wort.
Nur wenige Themen erhitzen die Gemüter so sehr, wie die Frage, inwieweit weiße Menschen sich aus der Kultur nicht-weißer Menschen bedienen dürfen. Unter dem Stichwort kulturelle Aneignung wird seit einigen Jahren zunehmend häufig über diese Frage diskutiert und gestritten. Auch der deutsche Reggaemusiker Gentleman, der gebürtig Tillmann Otto heißt, setzt sich mit dieser Debatte auseinander. Er hat dem Zeit-Magazin nun ein Interview dazu gegeben, aus dem das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zitiert.
Gentleman schaffte 2004 mit seinem Song „Intoxication“ seinen internationalen Durchbruch als Reggaesänger. Gerade diese Musiksparte, die von den Nachfahren der Sklav:innen auf Jamaika geprägt wurde, ist von kultureller Aneignung betroffen. Elemente dieser Kultur werden mittlerweile von vielen weißen Künstler:innen übernommen, was immer wieder auf Kritik stößt. Erst im vergangenen Sommer wurde in der Schweiz ein Konzert abgebrochen, weil die Musiker Dreadlocks trugen und Reggae spielten.
Gentleman zu kultureller Aneignung: „Ich wäre heute nicht mehr so unbefangen wie früher“
Die Debatte um kulturelle Aneignung betrifft den aus Köln stammenden „Gentleman“ noch mehr als andere, weil er auch auf Patois singt. Das ist die auf dem Englischen basierende jamaikanischen Kreolsprache der Schwarzen, die während der Kolonialzeit entstand. Dass er sich als weißer Europäer dieser Sprache bedient, brachte ihm bereits Kritik ein. „Ich weiß nicht, ob ich mit dem heutigen Zeitgeist anfangen würde, auf Patois Reggae zu machen. Ich wäre heute nicht mehr so unbefangen wie früher“, sagt Gentleman dazu im Interview.
Allerdings sieht der mittlerweile 48-jährige Musiker, der mit 18 Jahren das erste Mal auf Jamaika war, die Debatte um kulturelle Aneignung auch kritisch. Er sehe die Gefahr, „dass sie uns beschneidet und dass wir auf einmal nichts mehr dürfen und uns nicht mehr austauschen können“, zitiert die Deutsche Presse-Agentur (dpa) aus dem Interview mit dem Zeit-Magazin. „Das wäre ja ein AfD-Traum.“
Auch Maimouna Jah vom afrodeutschen Magazin RosaMag sieht große Defizite in der Debatte um kulturelle Aneignung und Dreadlocks, wie sie BuzzFeed News Deutschland im Frühjahr erklärte.
„Mich selbst stört es tierisch, wenn auf den größten Reggaefestivals in Europa die Headliner alle weiß sind“
Für Gentleman habe das Thema kulturelle Aneignung „immer etwas mit Lernen zu tun“ und er habe diesen Begriff nie als etwas Negatives gesehen. „Der Knackpunkt ist doch, ob ich mir der Geschichte der Kolonialisierung mitsamt ihren negativen Aspekten und der Symbolik bewusst bin.“
Der gebürtige Osnabrücker, ist sich der Problematik gerade in seinem ursprünglich Schwarzen Genre bewusst. „Mich selbst stört es tierisch, wenn auf den größten Reggaefestivals in Europa die Headliner alle weiß sind und das dazu führt, dass jamaikanische Künstler und Künstlerinnen nicht mehr eingeladen werden“, sagt er im Interview. Wenn ein Jamaikaner, „der viel geiler ist als ich, unfassbare Lyrics hat und viel härter arbeitet“, weniger Erfolg habe, belaste ihn das.