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Wer Tiere liebt, sollte sie essen? Ein „groteskes Argument“, ärgern sich Tierschützer:innen

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Von: Jana Stäbener

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Eine Frau und ein Schwein schlafen nebeneinander. Auf der anderen Seite sind Fleischwaren beim Metzger zu sehen und rot durchgestrichen.
Fleisch essen? Für viele Tierfreund:innen keine Option. © Westend61/Panthermedia/Imago

Lebten alle Menschen vegan, gebe es keine Nutztiere mehr. Deswegen sollten wir sie weiterhin essen, argumentiert eine Autorin der Süddeutschen Zeitung. Der Tierschutzbund sieht das anders.

Vegan zu leben ist „in“. Das merkt man spätestens dann, wenn man in Berlin oder einer anderen deutschen Großstadt durch die Innenstadt tingelt: Vegane Pizzen, Frühstücksbowls oder Donuts erfreuen hier an jeder Ecke die Veganer:innen-Herzen. Im Jahr 2020 sank der Fleischkonsum das erste Mal seit 1989 auf ein Rekord-Tief von 57,3 Kilogramm pro Kopf, wie unter anderem das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) berichtete. Auch unser Autor Mika hat zwei Wochen lang vegan gelebt und merkte, dass viele Vorurteile über veganes Essen nicht zutreffen.

Aber nicht alle sehen im Veganismus eine positive Sache. Vor etwa einer Woche veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) einen Artikel, in dem die Autorin kommentiert: „Wer Tiere liebt, sollte sie essen“. BuzzFeed News Deutschland hat daraufhin den Tierschutzbund und den Agrarwissenschaftler Matin Qaim um ihre Meinung gebeten. Beide Parteien sind sich einig: Die Idee, dass alle Menschen irgendwann vegan leben und deswegen keine Nutztiere mehr existieren, ist zu weit hergeholt. Um unsere Umwelt zu schützen, müssen mehr Menschen auf Fleisch verzichten, als es momentan der Fall sei. Auch weil der Weizenpreis momentan explodiert, hat vegane Ernährung positive Effekte.

Bauern mit Schweinen im Hintergrund
In einem Artikel der SZ heißt es: „Das Mindeste, was wir Schlachttieren schulden, ist ein Leben vor dem Tod“. © Maskot/IMAGO

Was schreibt die SZ im Artikel „Wer Tiere liebt, sollte sie essen“?

Es gebe mittlerweile 7,5 Millionen Vegetarier:innen und 1,4 Millionen Veganer:innen in Deutschland, schreibt die Autorin des SZ-Artikels. Tendenz steigend, fügt sie hinzu. Da würden sich manche Menschen, wenn sie vor ihrem Stück Fleisch von einem „gehätschelten Kobe-Rind“ sitzen, verachtet fühlen. Sie stellt die Frage, ob eine Welt mit lauter Vegetarier:innen eine bessere wäre und kommt zu dem Schluss: nein. Denn dann gebe es keine Nutztiere mehr, die man „streicheln und denen man in die Kulleraugen sehen kann“.

Die Autorin schreibt zwar, dass es für das Klima besser sei, wenn weniger Fleisch gegessen würde, sie bedauert aber, dass dann „allenfalls noch ein paar Exemplare in Streichelzoos“ übrig bleiben würden. Laut dem britischen Philosophen Nick Zangwill wäre es für Tiere das größte Desaster abgesehen von einem Asteroideneinschlag, wenn alle Menschen vegan leben würden. Vegetarier:innen und Veganer:innen, so argumentiert die SZ-Autorin, seien also „die natürlichen Feinde all jener Tiere, die gezüchtet werden“, denn „sie verhindern deren Leben“.

Massentierhaltung kritisiert die SZ-Autorin. Sie zitiert jedoch den Philosophen Paul Thompson, dessen Meinung nach das Leben per se das höchste Gut sei. Der gelernte Metzger und Pionier der Biolandwirtschaft Karl Ludwig Schweisfurth soll es so ausgedrückt haben: „Das Mindeste, was wir Schlachttieren schulden, ist ein Leben vor dem Tod.“ Wichtig seien die Bedingungen, unter denen Tiere gehalten werden, man sollte also nur „glückliche Tiere“ essen. Es sei eine „destruktive, lebensfeindliche Haltung, Leid um jeden Preis verhindern zu wollen“, heißt es im SZ-Artikel. Und weiter: „Wer Leid verhindert, indem er Leben verhindert, der verhindert Glück“.

Wer Tiere liebt, sollte sie essen: Eine „befremdliche Argumentation“, findet der Tierschutzbund

Auf eine schriftliche Anfrage von BuzzFeed News Deutschland reagierte der Deutsche Tierschutzbund mit einem klaren Statement. Aus Tierschutz- sowie Klima und Artenschutz-Sicht sei das eine „äußerst befremdliche Argumentation“, so Hester Pommerening Pressereferentin beim Deutschen Tierschutzbund. Die Sorge, dass irgendwann alle Menschen vegan leben würden und damit das Glück von Tieren verhindert werde, sei eine „groteske Umkehrung des Tierschutzgedankens“ findet sie. Wir befinden uns momentan in der größten Biodiversitätskrise, schreibt Pommerening, da sei es seltsam, sich nur um die 80 Milliarden Nutztiere Sorgen zu machen, die vom Aussterben weiter entfernt seien als manch andere Arten.

Auch der Agrarwissenschaftler Professor Matin Qaim hält ein Szenario, bei dem alle Menschen in Deutschland oder sogar weltweit „Vegetarier oder gar Veganer sind, für sehr weit hergeholt“. Im Gegenteil: Das Niveau des Fleischkonsums sei immer noch viel zu hoch. „Wir müssen von diesem hohen Niveau runter, und zwar rasch, weil der Umwelt- und Klimafußabdruck von Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln um ein vielfaches größer ist als der von pflanzlichen Lebensmitteln“, sagt Qaim, der an der Universität Bonn forscht und lehrt.

Mädchen sitzt in einem Schweinestall.
Schweine zu essen, nur weil man sie liebt? Das ist eine „groteske Umkehrung des Tierschutzgedankens“, so der Tierschutzbund. © Image Source/IMAGO

„Flächen, die für die Futterproduktion benötigt werden, könnten an die Natur zurückgeben werden“

Selbst wenn hypothetisch gesehen alle Menschen vegan leben würden, so der Wissenschaftler, wäre dies vermutlich gar nicht so schlecht für die Tiere. „In diesem Fall könnten viele Flächen, die heute für die Futterproduktion benötigt werden, an die Natur zurückgeben werden.“ Lebten mehr Menschen vegan oder vegetarisch, dann gebe es auch mehr von den „glücklichen Tieren“ auf der Weide, von denen im SZ-Artikel die Rede sei. Außerdem würden die wilden Tierarten, die vom Aussterben bedroht seien oder wegen der Agrarflächenexpansion ausgerottet seien, neue Lebensräume zurückbekommen.

Trotzdem will er Veganismus nicht propagieren. Es reiche schon, wenn vor allem die reichen Länder ihren Fleischkonsum um 75 Prozent reduzieren, wie er und Kolleg:innen in einer kürzlich veröffentlichten Studie zeigten.

Wer Tiere liebt, sollte sie essen: Dieses „Bauernhofidyll ist vollkommen realitätsfern“

Besonders erschreckend findet Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund die Vorstellung der SZ-Autorin, dass Nutztiere ein „so glückliches“ Leben führen könnten. „Das hier angepriesene Bauernhofidyll ist leider vollkommen realitätsfern“, sagt die Pressereferentin. Der Anteil an Tieren, die annähernd ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden, sei verschwindend gering. Befremdlich sei außerdem, dass es der Autorin hauptsächlich darum gehe, Tiere zu „bewundern und streicheln und (ihnen) in die Kulleraugen [zu] sehen“. Das habe nichts mit Tierschutz zu tun, sondern sei eher ein eigennütziger Grund, Arten und individuelle Lebewesen überhaupt am Leben zu halten.

Wer als Einzelperson dieses Leid nicht unterstützen will, lebt vegan.

Hester Pommerening, Deutscher Tierschutzbund

Aus Tierschutzsicht sei klar: „Wer als Einzelperson dieses Leid nicht unterstützen will, lebt vegan“, so Pommerening. Das habe nichts mit dem Gefühl „moralischer Überlegenheit“ zu tun, wie es die SZ-Autorin beschreibt, sondern mit „Entscheidungen und Prinzipien, die jeder Mensch mit sich selbst ausmacht, sowie mit dem Wahrnehmen einer ethischen Verantwortung, die alle Menschen für den Planeten Erde und all seine Lebewesen tragen.“ In Ostdeutschland ist es mit der veganen Ernährung jedoch nicht ganz so einfach. Hier im Bratwurstland haben es vegane Produkte wie das Sojaschnitzel schwer.

Der Artikel der SZ sei eher eine „pseudo-ethische Rechtfertigung“ der eigenen tierischen Ernährungsweise – wirklich innovative wäre aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes eine Welt, in der auch Nutztiere keine Produkte sind, die Menschen nach Belieben züchten, formen und töten können.

Hier findest du 21 Dinge, bei denen sich Vegetarier:innen nur denken: „Halt die F@#sse, Kevin“.

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