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Frau gibt Sexarbeit als Job auf LinkedIn an – und nennt dafür gute Gründe

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links: Arielle Egozi auf einem Bild aus ihrem Instagram Profil / rechts: Ihre Berufserfahrung als Sexarbeiterin, die sie auf LinkedIn eingetragen hat / In der Mitte steht: „Warum ist das anders als jede andere Kundenarbeit?“
Frau gibt Sexarbeit auf LinkedIn an – das sind die Reaktionen © Arielle Egozi / Via instagram.com/ LinkedIn: Arielle Egozi / Via linkedin.com

Ein Linked In-Post einer jungen Kreativdirektorin wird heftig diskutiert. Arielle Egozi schreibt darin, wie Sexarbeit ihr half, Grenzen zu setzen.

Arielle Egozi, eine 31-jährige Markenberaterin und Kreativdirektorin begann 2020 mit Sexarbeit, als ihre Kreativagentur während der Corona-Pandemie alle ihre Kund:innen verlor. Arielle ging auf LinkedIn viral, als sie ihre Selbstständigkeit auf der Plattform mitteilte, zusammen mit dieser Nachricht: „Ich habe vor zwei Wochen einen festen Job mit tollen Zusatzleistungen aufgegeben, und der Grund, warum ich das tun konnte, war Sexarbeit.“

Durch die Sexarbeit, so Arielle, habe sie Erfahrungen damit gesammelt, „exorbitante Beträge“ zu verlangen, Ablehnung zu akzeptieren und Grenzen zu setzen und einzuhalten. „Warum ist das anders als jede andere Kundenarbeit?“, fragt sie rhetorisch. „Die Antwort, auf die ich immer wieder stoße, ist, dass es das nicht ist. Deshalb steht es jetzt auf meinem LinkedIn-Profil.“ Dieser CEO einer Marketingagentur postete ein weinendes Bild von sich auf LinkedIn.

Arielle Egozi angegeben Berufserfahrungen auf LinkedIn unter anderem auch als Sexarbeiterin.
Arielle Egozi angegeben Berufserfahrungen auf LinkedIn © LinkedIn: Arielle Egozi / Via linkedin.com

LinkedIn sei nicht der richtige Ort für Arielle, so die Kritiker:innen

Der Beitrag verbreitet sich schnell und erhielt über 10.000 Likes und noch mehr Aufrufe. Wie man sich jedoch vorstellen kann, bleiben bei ein Beitrag über einvernehmliche Sexarbeit Protestkommentaren nicht aus. „Wow“, schreibt jemand, „so wirft man die Frauenbewegung um ein paar Jahre zurück“.

Andere projizierten ihr eigenes Moralempfinden auf Arielle, indem sie vorschlugen, dass sie sich für die Sexarbeit schämen sollte. „Das ist ein sehr gefährliches Spiel, das du da spielst“, kommentiert jemand, „Du bekommst Geld, aber ist es das wert, in den Spiegel zu schauen und unter der Dusche zu weinen, wenn du dich immer noch unerfüllt fühlst und versuchst, eine Leere zu füllen?“

Kritiker sagen, Arielle folge nur dem Trend, zu viel über ihr Privatleben zu teilen

Die meisten Kritiker:innen wiesen darauf hin, dass LinkedIn nicht der richtige Ort für Arielle sei, um für ihre beruflichen Fähigkeiten zu werben, wenn man bedenke, aus welcher Art von Arbeit sie ihr Fachwissen entwickelt habe.

„Ich bin ein:e frühe:r Nutzer:in von LinkedIn. Ich gehörte zu den ersten 500 Personen, die eine Stelle ausgeschrieben haben. Ich habe den Trend beobachtet, zu viel zu teilen und sehr persönliche Dinge zu posten, und habe NIE einen Kommentar abgegeben. Das, meine Freund:innen, hat die Grenze überschritten. Dafür ist LinkedIn nicht gedacht. Das ist viel zu viel Information und gehört auf eine andere Website. Es sei denn, du bist in bestimmten Teilen in Nevada, dann ist es in den USA nicht einmal legal. Man muss nicht jeden Job ins Profil aufnehmen ... einige Jobs werden die Karriere nicht fördern.“

Einige stellten die Genehmigung des Beitrags durch die App infrage und fragten: „Gibt es bei LinkedIn ein Moderationsteam? ... Normalisierung von Sexarbeit, Prostitution, Sexcamming/Sexchatting für Geld ist nicht in Ordnung“.

Arielle bekommt für ihren Post auch Lob und Zuspruch

Es gibt jedoch auch Stimmen, die Arielle für ihre Ehrlichkeit beim Teilen von Nachrichten über ihre Arbeit loben – vor allem auf LinkedIn, wo Fachleute aus allen Branchen ihre Erfahrungen und Erfolge teilen können. Und manche bewerben sich auf Linked In als Chefin bei ihren Bewerber:innen. Wie diese junge Frau.

„Ich habe gelesen, dass diese Art von Inhalten nicht auf LinkedIn zu finden sein sollte, und was genau sollte auf LinkedIn zu finden sein? Arielle teilt ihre Erfahrungen, ihre Karriere und was sie dank ihrer Karriere erreicht hat. Das ist der beste LinkedIn-Beitrag aller Zeiten.“ Egal, um welche Branche es sich handele, es sollte für niemanden stören, heißt es in diesem Kommentar.

„Sie ist glücklich, sie ist stolz und sie macht ihren Job fair und legal. Der Grund, warum Sexarbeit von einigen Leuten als schlecht angesehen wird, liegt in der Unterdrückung. Wenn wir anfangen, sie zu normalisieren und eine Plattform zu schaffen, auf der sie wie jede andere Dienstleistung behandelt wird, wird sich die Situation vielleicht ändern.“

Zeit zur Selbstreflexion der Kritiker:innen?

Eine Social-Media-Managerin, die LinkedIn nicht nur für dieselben Zwecke wie alle anderen Nutzer:innen der App nutzt, wies sogar darauf hin, dass Arielles Beitrag eine Gelegenheit zur Selbstreflexion sein könnte. „Bevor ich einen weiteren Kommentar sehe, in dem es heißt: ‚LinkedIn war nicht der richtige Ort dafür‘, fragt euch selbst: Ist LinkedIn nicht der richtige Ort, um eine Gemeinschaft aufzubauen, indem man seine persönlichen Erfahrungen auf dem Karriereweg teilt? Oder fühle ich mich nur unwohl, weil ich nicht erwartet habe, dass das Thema Sexarbeit in meiner Timeline auftaucht?“

Nachdem der erste Beitrag im Internet die Runde gemacht hatte, bedankte sich Arielle in einem Post bei ihren Unterstützer:innen und schreibt: „Meine Absicht war es, alles offen zu kommunizieren. Ich wollte mich selbst in die Pflicht nehmen, um die Entscheidungen zu feiern, die ich getroffen habe. Entscheidungen, die mich zu dem machen, was ich bin, und die meine Arbeit zu dem machen, was sie ist. Es ging nicht darum, zu inspirieren. Es ging nicht darum, radikal zu sein. Es war nicht dazu gedacht, zu verärgern. Es ging darum, Raum für mich selbst zu schaffen.“

Mehr als nur Sexarbeit, sagt Arielle über ihren LinkedIn-Post

Um mehr zu erfahren, hat sich BuzzFeed US an Arielle gewandt. Sie sagt, dass sie die Sexarbeit ursprünglich sowohl als kreatives Ventil als auch als Beruf gewählt habe, in dem sie auch persönliche Traumata verarbeiten konnte. „Meine Erfahrung in der Sexarbeit war eine unvorstellbare Lehre in Bezug auf Grenzen, Kommunikation und Wertschätzung“, sagt sie. „Nichts von alledem wurde bei meiner letzten Tätigkeit honoriert – selbst als die ranghöchste Kreative im Team – also habe ich gekündigt.“

Und als jemand, der sich als „Queer Femme“ identifiziert, wünscht sich Arielle, in einem Bereich zu arbeiten, in dem sie zu 100 Prozent sie selbst sein kann. „Je höher ich in meiner Karriere kam – sei es in der Werbung, in der Technik oder in der Vordenker:innenrolle – desto weniger von meiner Identität sah ich. Ich war auf Fernsehsets, globalen Rednerbühnen und in großen Vorstandsetagen, und ich bin normalerweise die Einzige, die so ist wie ich.“

Sexarbeit hat ihr bei ihrem Heilungsprozess geholfen

„Vor einigen Jahren bekam ich Panikattacken und spürte den enormen Druck der Gemeinschaften, die ich vertrat, und hatte das Gefühl, dass ich alles unterdrücken sollte, damit ich in das Bild passe, das man sich von ‚Erfolg‘ in diesem Moment gemacht hatte. Besonders als Kind von Migrant:innen kann sich der Druck lähmend anfühlen. 

Nach der Erfahrung in meiner letzten Rolle weigere ich mich, mich in Räumen aufzuhalten, die mich anders haben wollen, als ich bin. Sexarbeit hat mir in diesem Heilungsprozess sehr geholfen, und ich habe sie bei LinkedIn aufgeführt, weil sie nicht nur eine gültige berufliche Erfahrung ist, sondern auch die Art und Weise verändert hat, wie ich in beruflichen Bereichen agiere.

Es hilft auch, Partnerschaften zu finden. Ich bin nur daran interessiert, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die die vielfältigen Überschneidungen meiner Perspektiven und Erfahrungen anerkennen und schätzen.“

„Sexarbeit zeigt mir, was meine Macht bewirken kann …“

Zur Frage, ob Sexarbeit – der älteste Beruf der Welt – ein echter Beruf ist, sagt Arielle: „Wenn du dich beruflich weiterentwickeln willst, stell eine Sexarbeiterin ein. Sie sind nicht nur außerordentlich geschäftstüchtig, Technik-, Rechts- und Marketingexpert:innen, sondern sie bringen dir auch bei, wie du Grenzen kommunizierst, mit Ablehnung umgehst und dich selbst besser schätzt als jeder andere.“

Ein Bild einer Demonstration auf der eine Person einen Fächer hält mit der Aufschrift: „Sexarbeit ist Arbeit.“
Sexarbeit ist Arbeit. © IMAGO/John Marshall Mantel

In der Tat war eine der auffälligsten Zeilen in ihrem Beitrag: „Sexarbeit zeigt mir, was meine Macht bewirken kann, wenn ich sie mir bewusst zu eigen mache.“ Dieser Gedanke spiegelte sich in unserem Interview wider, als wir Arielle fragen, welche Fähigkeiten sie durch Sexarbeit erlernt und entwickelt habe, die sie in anderen Jobs nicht gelernt hat. Und die Antwort?

„Mein Wert“, antwortet sie. „Therapeut:innen, Pflegekräfte, Kindergärtner:innen und Leute im Hotel- und Gaststättengewerbe sind neben der Sexarbeit die einzigen Berufe, in denen man für emotionale Arbeit bezahlt wird. In jedem anderen Arbeitsumfeld machen Cis-Frauen und queere Menschen, insbesondere BPOC, ihre Arbeit umsonst. In der Sexarbeit kann man dafür eine Menge Geld verlangen.“

Nur ein kleiner Schritt hin zur Entstigmatisierung

Die Auflistung von Sexarbeit auf LinkedIn wurde von Kommentierenden als ein Schritt zur Entstigmatisierung begrüßt, aber für Arielle ist es nur ein kleiner Schritt. Im Hinblick auf eine spürbare Veränderung sagt sie: „Das liegt nicht wirklich an mir. Es liegt an euch. Es liegt an den Medien und der Unterhaltungsindustrie, uns menschlich zu machen. Es liegt an den Regierungen, Sexarbeit zu entkriminalisieren und uns zu schützen. Es liegt an den Arbeitgeber:innen, uns einzustellen. Es liegt an den Freunden und der Familie, uns zu feiern.“

„Ich hoffe, dass jede:r, der/die sich über diesen Beitrag aufregt, sich auf das konzentrieren kann, was ihm/ihr Macht verleiht. Ihre Schei*e über mich auszuspucken ist nicht mächtig, es ist peinlich. Ich habe den Beitrag für mich gemacht, nicht für irgendjemand anderen. Ich hoffe, dass jede:r der/die spirituelle Integration erfährt, die sich einstellt, wenn man einfach stolz darauf ist, wer man ist“, sagt sie zum Schluss.

Autorin des Alexa Lisitza. Der Artikel erschien am 01. August 2022 auf buzzfeed.com. Übersetzt von Leona Spindler.

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