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Letzte Generation kontert schweren Vorwurf der Erpressung

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Von: Robert Wagner

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Die Klimaaktivist:innen ernten für ihren Konfrontationskurs in den Städten teils massive Kritik. Doch so eindeutig sind die Verhältnisse nicht.

Die Klimagruppe Letzte Generation schlägt wieder einmal große Wellen. In Briefen haben die Aktivist:innen diversen Städten Ultimaten gestellt, so etwa in Hamburg. Wer weitere Straßenblockaden mit festgeklebten Menschen vermeiden will, soll sich öffentlich hinter ihre Ziele für eine radikale Klimawende stellen. Eine zentrale Forderung: die Bildung eines „Gesellschaftsrates“, der Maßnahmen erarbeiten soll, wie Deutschland bereits bis 2030 klimaneutral werden kann.

Einige Städte reagierten empört, so etwa Hamburg, Berlin und Köln. Ihnen droht die Gruppe mit „maximaler Störung der öffentlichen Ordnung“. Andere Städte wie Hannover verhandelten mit den jungen Leuten und erreichten einen Proteststopp. Darf man das? Oder macht sich der Staat erpressbar? Die Aktivist:innen der Letzten Generation selbst reagierten auf Twitter mit einer Gegenfrage: „Wie soll es möglich sein, Menschen zur Wahrung unserer Grundrechte zu erpressen?“

Hannovers OB geht Deal mit Letzter Generation ein – Marburg und Tübingen folgen dem Beispiel

„Bei einer Erpressung müsste man ja etwas tun, was einem widerstrebt, was der eigenen Position widerstrebt oder zum eigenen Schaden führt, und all das ist hier nicht der Fall“, sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) Anfang März in der ARD. „Wir haben hier einen gemeinsamen Nenner, und der heißt Klimaschutz.“

Onay war der erste, der einen Deal mit der Letzten Generation einging und ihre Forderungen in einem Brief an die Bundestagsfraktionen aufnahm. Er könne das Anliegen nach mehr Klimaschutz und Beteiligung von Bürger:innen „voll und ganz unterstützen“, zitiert ihn die Letzte Generation auf Twitter. Marburg und Tübingen taten es Hannover gleich.

Nach Angaben der Klimagruppe laufen mit weiteren Kommunen Gespräche. Erstmals sitzen die Aktivist:innen nicht nur bei Sturm, Regen oder Sonnenschein mit festgeklebten Händen an Kreuzungen oder Autobahnauffahrten, sondern am Tisch politischer Entscheider. „Es ist erfreulich, dass immer mehr Politiker:innen, unabhängig von der Bewertung unserer Protestform, verstehen, dass unsere inhaltlichen Anliegen von existenzieller Wichtigkeit sind und wir für das Gemeinwohl protestieren“, schrieb die Gruppe auf Twitter.

Münchens OB nennt Vorgehen in Hannover „unbehilflich“

Onays Amtskollege aus München, Dieter Reiter (SPD), sieht die Zusammenarbeit Hannovers mit der Letzten Generation kritisch. Gegenüber Buzzfeed News DE äußerte er im Februar gemischte Gefühle. „Die Vorgehensweise meines Hannoveraner Kollegen ist zwar nachvollziehbar, allerdings in der kommunalen Frage relativ unbehilflich“, so Reiter. Es ergebe mehr Sinn, politische Fragen auf den Ebenen zu diskutieren, „die für mögliche Änderungen auch die notwendige Kompetenz“ hätten.

Proteste müssten in einer Demokratie zwar „grundsätzlich möglich sein“, auch wenn er unbequem sei. „Aber die Form des Protests, ganze Straßenabschnitte zu blockieren, halte ich keinesfalls für eine zulässige Meinungsäußerung.“

Diesem häufig angeführten Argument entgegnet die Letzte Generation, dass „wir als wissende Bürger:innen friedlichen, zivilen Widerstand leisten“ müssten, und zwar „solange unsere Regierung die unsere Grundrechte gefährdende Klimakatastrophe befeuert“.

Städte- und Gemeindetag spricht von „Straftätern“ – Letzte Generation: „Wir sind der Feueralam“

Klar ist, dass viele von den Störungen der Letzten Generation inzwischen maximal genervt sind. Eine Farbattacke auf das Grundgesetz-Kunstwerk in Berlin brachte ihnen zuletzt sogar einen Vergleich mit den Taliban ein. Wenn sie für Ende April zu „Widerstand in Berlin“ aufrufen, ächzen manche schon jetzt.

Eine Verhandlungslösung aber lehnt nicht nur Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ab, sondern auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. „Regelmäßig handelt es sich bei dem Vorgehen um Straftaten wie Nötigung, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigungen“, sagte Landsberg der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Es sei „nicht üblich, dass man Straftäterinnen oder Straftätern durch politische Zusagen entgegenkommt“.

Dieser Argumentation entgegnen die Aktivist:innen der Letzten Generation auf Twitter, dass sie nun mal „wirklich beharrlich stören“ müssten. „Es nutzt nichts. Wir sind der Feueralarm“, schreiben sie in einem Tweet vom 17. März.

Rechtsprofessor sieht keine Erpressung: „Das ist immer noch eine freie Entscheidung“

Also, lässt sich die Politik erpressen? Der Erfurter Rechtsprofessor Tim Wihl winkt ab. Um Erpressung handele es sich nicht, weil dies eine Geldforderung voraussetze, sagte Wihl der dpa. Auch eine Nötigung der Stadtoberen sieht er nicht in den Straßenblockaden oder der Drohung damit. Zum einen sei der ausgeübte Druck nicht so groß, dass Oberbürgermeister auf Forderungen eingehen müssten. „Das ist immer noch eine freie Entscheidung“, sagte Wihl.

Zum anderen sei es „fraglich, ob das Mittel verwerflich ist“. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den 1980er und 1990er Jahren sei klar: „Auch robuste Blockadeaktionen fallen unter das Versammlungsrecht.“

Wenn ein Unternehmen bei bestimmten politischen Rahmenbedingungen mit der Schließung eines Werks drohe, denke auch niemand an Nötigung, meinte Wihl. „Das ist für Bürgermeister unangenehm, und sie würden sich wohl mit dem Unternehmen treffen. Ähnlich ist es bei großen Demonstrationen: Sie bauen Druck auf, sich zu treffen. Nichts anderes ist es bei den Blockaden der Letzten Generation.“

Kölns Oberbürgermeisterin: „Das ist für mich eine Nötigung“

Andere Juristen sehen das sehr anders - so etwa die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Ich glaube, man kann sich nicht hinstellen und sagen, wenn ich nicht das bekomme, was ich möchte, dann klebe ich mich fest“, sagte Reker im Deutschlandfunk. „Das ist für mich eine Nötigung, der ich nicht nachgeben kann.“

Auch die Staatsanwaltschaft Hamburg wertete den Brief der Letzten Generation an die Stadt Hamburg als mögliche Nötigung von Verfassungsorganen. Gerichte im ganzen Land haben „Klimakleber“ inzwischen wegen Nötigung verurteilt. Wihl sagt: Abwarten. Das letzte Wort habe das Bundesverfassungsgericht.

Letzte Generation fordert „Gesellschaftsrat“

Eine ähnliche verfassungsrechtliche Diskussion gibt es über die zentrale Forderung der Letzten Generation nach einem „Gesellschaftsrat“. Dieser soll im Losverfahren besetzt werden und die Breite der Gesellschaft spiegeln. „Veganer:innen und Autofans diskutieren gemeinsame Lösungen, denn auch sie haben ein geteiltes Interesse: die Lebensgrundlagen auf diesem Planeten schützen und den Weg dahin sozial gerecht gestalten“, so stellt sich die Gruppe das vor. Der Rat soll Vorschläge machen, „wie Deutschland bis 2030 emissionsfrei wird“ - also deutlich vor dem geltenden Zieljahr 2045. Und die Regierung soll öffentlich zusagen, diese Maßnahmen als Gesetzesvorhaben ins Parlament einzubringen.

Schon wieder eine Nötigung? Soll hier das gewählte Parlament umgangen und so die verfassungsrechtliche Ordnung ausgehebelt werden? Rechtsexperte Wihl rät zu differenzieren. Die Idee von Bürgerräten als Ergänzung der Parlamentsarbeit gebe es seit langem, in Ländern wie Irland hätten sie zu Konsensentscheidungen beigetragen, etwa bei der gleichgeschlechtlichen Ehe. Verbindliche Vorgaben könne ein solches Gremium aber nicht treffen. „Für ein solches Ersatzparlament müsste man erstmal die Verfassung ändern“, sagte Wihl.

Manche „Klimakleber“ sind sogar dazu bereit, für ihre Überzeugungen im Gefängnis zu landen. Gegenüber BuzzFeed News DE erzählt ein Aktivist der Letzten Generation von seiner Haft - ausgerechnet über Weihnachten.

Mit Material der dpa.

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