LGBTQIA+: Die Ampel-Regierung will viel für queere Menschen tun - hält sie ihre Versprechen?

Die neue Ampelregierung hat viel vor, um das Leben queerer Menschen in Deutschland leichter zu machen. Was sind die Pläne - und was wurde bereits erreicht?
Im Schatten von Ukraine-Krieg und Klimakrise geraten andere wichtige Aspekte manchmal in den Hintergrund und fürwahr sind die politischen Tage in Berlin derzeit lang und kräftezehrend. Nach einer eher ernüchternden Gesamtsituation für queere Menschen in den vergangenen Jahren, freute sich die LGBTQIA+-Community jedoch über die neue Ampel-Koalition, da wichtige Projekte für queere Menschen geplant sind.
Nun sind beinahe die ersten vier Monate der neuen Bundesregierung um – was hat sich seitdem für queere Menschen getan? Welche Ideen wurden vorgestellt, welche sind bereits in Bearbeitung und was konnte schon umgesetzt werden? Zu Beginn des Jahres stellte die neue Bundesregierung ihre konkreten Pläne für LGBTQIA+-Menschen vor. Ein erster Punkt soll die Abschaffung des veralteten Transsexuellengesetzes sein. An dessen Stelle soll das neue Selbstbestimmungsgesetz treten. An den konkreten Formulierungen des neuen Gesetzestextes wird aktuell bereits gearbeitet, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, ist zuversichtlich, bestenfalls bereits bis Jahresende einen Gesetzentwurf final vorliegen zu haben: „Ich freue mich, dass das Bundesfamilienministerium hier in gemeinsamer Federführung mit dem Bundesjustizministerium im Sommer Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vorlegen will. Aber klar ist auch: Bis das Selbstbestimmungsgesetz steht, müssen wir noch viele Diskussionen führen und eine Menge Überzeugungsarbeit leisten“, so Lehmann gegenüber Buzzfeed News.
Neues Gesetz soll es Trans-Menschen leichter machen, ihre Geschlechtsidentität anzupassen
Bereits jetzt ist klar, dass das neue Gesetz es transsexuellen Menschen deutlich einfacher machen soll, ihre Geschlechtsidentität auch rechtlich der eigenen Realität anzupassen. Bisher bedarf es zweier kostenintensiver psychologischer Gutachten und der Entscheidung eines Richters, bevor es transsexuellen Personen gestattet ist, ihr Geschlecht offiziell im Pass ändern zu lassen.
Ebenso wurden bereits die ersten Schritte im Bereich Nationaler Aktionsplan vollzogen, so Lehmann weiter: „In den ersten 100 Tagen haben wir bei den zentralen Vorhaben schon gute Fortschritte gemacht. Wir bereiten gerade den ersten bundesweiten Aktionsplan für die Akzeptanz und den Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vor, für den ich noch vor dem Sommer den Startschuss geben möchte!“ Abgesehen von Bayern gibt es in allen anderen Bundesländern zwar bereits ähnliche Projekte, Ziel des bundesweiten Aktionsplans ist es aber, diese Vorhaben zu bündeln, besser miteinander zu koordinieren und substantiell deutlich zu verbessern.
Weitere Punkte auf der Agenda sind den Schutz queerer Menschen ins Grundgesetz aufzunehmen und eine Änderung des Abstammungsrechts, sodass beispielsweise lesbische Ehepartnerinnen dem leiblichen Vater gleichgestellt werden, ohne dass dafür wie bisher eine Adoption nötig ist. „Der Koalitionsvertrag bringt es wie ich finde sehr schön auf den Punkt: Familie ist dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen. Wir brauchen im Familienrecht also dringend ein Update, das die bestehenden Verhältnisse abbildet“, so Lehmann weiter.
Reform der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurde angegangen
Ebenso bereits angegangen wurde in einem ersten Schritt auch die Reform der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die zentrale Anlaufstelle für Diskriminierung und Rassismus wird seit 2018 nur kommissarisch geführt, nachdem es zu massiven Streitigkeiten um die Leitung gekommen war. Dabei soll die heutige Regierende Bürgermeisterin von Berlin und damalige Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sozusagen als Freundschaftsdienst ihre Parteifreundin Nancy Böhning für das Amt bestimmt haben – dagegen klagten zwei Mitbewerber:innen, sodass es zu juristischen Streitigkeiten kam, die die wichtige Bundesstelle bis heute nicht mit ganzer Kraft arbeiten lassen.
Nach den ersten Entwürfen der Ampel-Koalition soll nun die Entscheidung darüber, wer die Antidiskriminierungsstelle leitet, nicht wie bisher vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, sondern direkt vom Deutschen Bundestag in einer Wahl entschieden werden. Der deutsche Lesben- und Schwulenverband (LSVD) begrüßt diesen ersten Entwurf, sieht aber im Detail noch Handlungsbedarf bei der Frage, ob und wie auch die Kompetenzen und das Personal deutlich ausgebaut werden können.
Was die Bundesregierung bereits für queere Menschen erreicht hat
Eines hat die neue Bundesregierung bereits jetzt erreicht – sie hat aktiv gezeigt, wie wichtig ihr die LGBTQIA+-Community ist, indem sie das neue Amt des Queer-Beauftragten geschaffen hat – ein Novum in der bisherigen Geschichte der Bundesregierung, welches weltweit in der queeren Community für Schlagzeilen gesorgt hat. Dabei ist Sven Lehmann durchaus klar, dass die neue Position des Queer-Beauftragten auch eine große Verantwortung mit sich trägt: „LGBTIQ*-Rechte sind immer erstritten worden, sie fallen nicht einfach so vom Himmel. Diesmal jedoch müssen die Rechte nicht in Opposition zur Regierung erkämpft werden, sondern es gibt Rückenwind von der Ampel-Regierung.“
Etwas kritischer betrachtet dagegen die Opposition die bisherige Arbeit, so die queerpolitische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, auch wenn sie sich über die Ernennung eines Queer-Beauftragten erst einmal sehr gefreut hat. Mit Spannung wartet Vogler nun darauf, wie die „wuchtigen Ankündigungen“ umgesetzt werden, so Vogler gegenüber Buzzfeed News: „Dass die großen Vorhaben im Koalitionsvertrag wie das Selbstbestimmungsgesetz und die geplanten Verbesserungen für Regenbogenfamilien und Verantwortungsgemeinschaften gründlich vorbereitet werden müssen, ist richtig“, sagt sie. „Allerdings fehlt es an konkreten, kurzfristig umsetzbaren Initiativen, etwa einem Corona-Rettungsschirm für queere Kultur- und Begegnungseinrichtungen oder einem Vernichtungsstopp für Akten, die im Rahmen des Transsexuellengesetzes entstanden sind und die dringend für die Aufarbeitung des damit verbundenen Unrechts gesichert werden müssten.“
In anderen Punkten würde sich Vogler ein schnelles Umsetzen der angedachten Maßnahmen wünschen, beispielsweise eben auch bei der kommissarischen Leitung der Antidiskriminierungsstelle. Alles in allem stellt Vogler fest: „Insgesamt fehlt im Koalitionsvertrag der Blick auf die soziale Lage queerer Menschen, zum Beispiel die Diskriminierung von Trans*-Personen auf dem Wohnungsmarkt. Dafür braucht es nicht nur rechtliche Gleichstellung, sondern auch ausreichend bezahlbaren Wohnraum, vorzugsweise in öffentlicher Hand.“ (Von JHM Schmucker)