Wissenschaftler:innen werfen ARD und ZDF vor, mit Transgender-Themen „Kinder zu sexualisieren“

In einem Gastbeitrag werfen fünf Wissenschaftler:innen den Sendern ARD und ZDF vor, Kinder mit Transgender-Themen umzuerziehen. Wir sammeln Reaktionen darauf.
Schon Ende März hatte ein bekanntes (ehemaliges) Gesicht aus dem Springer-Verlag eine Folge „Sendung mit der Maus“ über das Thema „Transgender“ kritisiert. Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt schrieb damals in einem Tweet, dass die „Sendung mit der Maus“ bei Kindern „ideologisch-sexualisierte Früherziehung“ durchführen würde (siehe unten). Die Show reagiert schlagfertig und antwortet: „Die heutige Sendung findest du in der Mediathek. Auch als erwachsene Person kann man bei uns noch viel lernen zu relevanten Themen wie z. B. Toleranz.“ Die war am Tag der Homophobie auch eine Forderung für mehr Gleichberechtigung von LGBTQI+.
Jetzt ist Julian Reichelt als Ex-Bildchef mit seiner Kritik jedoch nicht mehr alleine: Die Zeitung Welt veröffentlichte am Mittwoch einen Gastbeitrag von fünf Wissenschaftler:innen mit dem Titel „Wie ARD und ZDF Kinder sexualisieren und umerziehen“. Die Expert:innen aus der Wissenschaft erklären darin, warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland aus ihrer Sicht „realitätsverzerrende Meinungsmache“ sei: Er verbreite „Fehlinformation der Vielgeschlechtlichkeit“, heißt es im Beitrag weiter. Insgesamt haben man 120 Unterstützer:innen aus ganz Deutschland – unter ihnen auch die „LGB Alliance“, eine Interessenvertretung, die sich offen dafür ausspricht, dass Männer keine Frauen sein können.
Die Berichterstattung des ÖRR folge „weder anerkannten journalistischen Grundsätzen“ noch sei sie „wissenschaftlich fundiert“, schreiben die Gastautor:innen. In einem 50-seitigen Dossier „Ideologie statt Biologie im ÖRR“ gehen sie im Detail auf Ausstrahlungen von „Glanz & Natur“ und „Auf Klo“ (Funk), „Y-Kollektiv“, „Quarks“, WDR, arte und viele mehr ein. Auch die Transgender-Sendung mit der Maus, die schon Julian Reichelt Ende März als „sexualisierte Früherziehung“ bezeichnete, gehört dazu.
„Sendung mit der Maus“ zu Transgender: „Wie viele Kinder wird diese Sendung verstört haben?“
In der besagten Sendung wird der Mann „Erik“ vorgestellt, der sich nicht als Mann fühlt und deswegen zur Frau „Katja“ wird. „Katja zieht gerne Röcke und Kleider an. Jeder soll sehen, dass sie eine Frau ist“, heißt es in der Sendung. Das kommentiert die Biologin Rieke Hümpel im Gastbeitrag mit: „Der Duden definiert Frauen als erwachsene Personen weiblichen Geschlechts [...] als das gebärfähige Geschlecht. Dazu gehört „Katja“ nicht. Die Aussage der Sendung ist also falsch. Wie viele Kinder wird diese Sendung verstört haben? Ist Mama vielleicht ein Mann? Bin ich überhaupt ein Mädchen?“.
Die Sendung „Mythos Geschlecht – Was Männer und Frauen wirklich unterscheidet“ wird im Dossier auch auseinandergenommen. Mit-Autor Michael Hümpel schreibt: „‚Ein Mensch fühlt sich im falschen Körper.‘ Mag sein, aber das zeugt nicht, wie der Moderator suggeriert, von der Begründetheit des Gefühls. [...] Der Körper kann nicht „falsch“ sein.“
Auch mehrere Funk-Formate bekommen im Dossier ihr Fett weg. So präsentieren die Wissenschaftler:innen Bilder des Kanals „Glanz & Natur“, der Aufklärungsarbeit leistet und Tabu-Themen anspricht. Sie werfen dem Format vor, es zeige Sex nicht in Verbindung mit zärtlichen Gefühlen oder Erotik, „sondern als klinische Lustbefriedigung“ (siehe Screenshot). Außerdem würden die „Geschlechtsorgane losgelöst von Gesichtern und Körpern gezeigt“ und es werde angepriesen, mehrere Geschlechtspartner:innen zu haben. Das erinnert an die Gerichtsentscheidung zu einer Transgender-Offizierin, die auf ihrem Tinderprofil nicht angeben darf, mehrere Geschlechtspartner:innen zu wollen.

Autor:innen nehmen Shows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie „Sendung mit der Maus“ auseinander
In ihrem Welt-Gastbeitrag fordern die Autor:innen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dazu auf, „biologische Tatsachen und wissenschaftliche Erkenntnisse wahrheitsgemäßer darzustellen. „Wir verlangen eine Abkehr von ideologischer Betrachtungsweise – und zwar insbesondere bei dem Trend-Thema ‚trans‘“, schreiben sie.
Im Netz gibt es nun eine rege Diskussion über ihren Artikel. Auf Twitter trenden Hashtags wie #Geschlechter, #Sendung mit der Maus, #Sexualität und aber auch #HaltDieFresseSpringerPresse. Einerseits stößt diese Betrachtungsweise auf viel Zuspruch. Andererseits gibt es auch viele Nutzer:innen, die den Beitrag in der Welt scharf kritisieren.
„Wie fragil müssen Männlichkeits- und Rollenbilder einer Gesellschaft sein, die Angst vor der Sendung mit der Maus hat, weil sie ruhig und sachlich darüber aufklärt, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt?“, fragt der Klimaschutzaktivist und Buchautor Maurice Conrad. Er bezeichnet sich offen als nicht-binär und reagiert dementsprechend auf den Artikel.
Die scheinbare Doppelmoral des Springer-Verlags, der den Gastbeitrag veröffentlichte, betont dieser User und twittert, dass die Bild jahrelang Nacktbilder auf Seite eins gehabt habe: Jetzt auf einmal spreche man von Frühsexualisierung, weil für Toleranz gegenüber queeren Menschen geworben werde.
Kritik an Transgender-„Sendung mit der Maus“ kommt pünktlich zum Pride-Month
Besonders im Zusammenhang mit dem Pride-Month, der am 1. Juni startete, finden es viele queere Menschen skurril, dass solch ein Text online ging. Eine Userin schreibt der @welt: „Pünktlich zum #PrideMonth so ein Schmarrn? Wie gut, dass auch Ihr pseudowissenschaftlicher Kulturkampf nichts an meiner Existenz ändert.“
Ein anderer Twitter-User ist sich sicher: Dieser Artikel ist ein Zeichen dafür, dass der Pride-Month seine „politische Wichtigkeit auch heute nicht verloren hat“.
Soll Frühsexualisierung lieber die katholische Kirche übernehmen?
Besonders den Begriff der „Frühsexualisierung“, den Julian Reichelt vor einigen Monaten aufgriff, kritisieren einige Menschen. „#Frühsexualisierung ist übrigens ein rechter + religiöser Kampfbegriff. Sexuelle Bildung kann nicht früh genug beginnen“, schreibt die Journalistin Kersten Artus. Wenn etwas aufhören solle, dann die Tatsache, dass immer noch viele Lehrende und Erziehende ihren Kindern beibringen, sie sollten irgendwann heterosexuell heiraten und Kinder kriegen. Ein anderer User schreibt: „Rechte Vögel überlassen die #Frühsexualisierung ihrer Kinder lieber der katholischen Kirche.“
Auch Satiriker und Moderator Jan Böhmermann äußert sich zum Welt-Beitrag und spielt mit dem Kommentar „Dr. (?) Mathias Döpfner hat mich spätsexualisiert“ auch darauf an, dass gegen den Springer-Chef Mathias Döpfner Plagiatsvorwürfe erhoben wurden, weil seine Doktorarbeit auffällige Parallelen zu Text aus NS-Zeit hatte. Dies deckte BuzzFeed News Deutschland erst kürzlich in einer eigenen Recherche auf.
Genderismus: Verschwörungstheorien darüber, dass queere Menschen ihre Lebensform allen Menschen aufzwingen wollen, sind nicht gerade selten. Hier werden trans Menschen, Homosexuelle und Queere als Bedrohung inszeniert.