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„Stoffe verändern sich rasant“: Drogenkonsum in der queeren Community wieder auf Vor-Corona-Niveau

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Engelsflügel in Regenbogenfarben sind bei der Parade des Christopher Street Day (CSD) zu sehen.
Engelsflügel in Regenbogenfarben sind bei der Parade des Christopher Street Day (CSD) zu sehen. © Jörg Carstensen/dpa

Corona ist kaum noch präsent, dafür wird wieder kräftig gefeiert - auch in der queeren Community. Das hat auch für den Drogenkonsum Folgen, wie Experten warnen.

Endlich Sommer, endlich Pride, endlich Party – die LGBTQIA+-Community feiert in diesen Tagen erstmals seit über zwei Jahren Pandemie wieder unbeschwert sich selbst und das Leben. Ein Thema gewinnt dabei erneut an Brisanz: der Konsum von Drogen ist auch in der queeren Community wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie angekommen. Besonders problematisch dabei sind aktuell neue, synthetische und gepantschte Partydrogen, deren Gefährlichkeit oftmals unterschätzt wird. 

Für den Report der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) wurden Daten aus allen EU-Staaten sowie aus der Türkei und Norwegen untersucht. Ein Fazit dabei: Es kommen ständig neue, potenziell gefährliche psychoaktive Substanzen hinzu. Dirk Sander, Referent für „Schwule und bisexuelle Männer“ sowie Dirk Schäffer, Referent für „Drogen und Strafvollzug“, beide von der Deutschen Aidshilfe (DAH), erklären dazu gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „Die Zusammensetzung und die Potenz der Stoffe verändern sich in rasanter Geschwindigkeit. Dies bietet auch Gefahren für geübte oder erfahrene Konsument:innen. Der Gebrauch dieser Substanzen kann vor allem dann gefährlich sein, wenn die Konsumierenden nicht wissen, was sie konsumieren, und wie sie die Substanzen einnehmen sollen, um die gewünschten Effekte zu erzielen.“ 

1.826 Menschen starben 2021 in Deutschland aufgrund von Drogenkonsum

So kann aus der Party ohne Grenzen schnell eine grenzenlose Partyhorrornacht werden. Grundsätzlich betrifft die Problematik gleichermaßen natürlich alle Drogenkonsument:innen, ganz gleich ob queer oder heterosexuell – im Jahr 2021 starben nach Angaben der Bundesregierung 1.826 Menschen an den Folgen von Drogenkonsum. Die DAH spricht, gerade mit Blick auf die Zahlen von vor der Pandemie, von einem dramatischen Anstieg. Binnen von fünf Jahren verdoppelte (+44 Prozent) sich beinahe die Zahl der Drogentoten seit 2017. 

Queere Menschen sind in einigen Punkten trotzdem in besonderer Weise von der Drogenproblematik betroffen – gerade im queeren Partyhotspot Berlin: „Die Partyveranstalter und Clubbetreiber hier in Berlin teilen uns mit, dass sie besondere Probleme im Hinblick auf den Konsum von GHB/GBL sehen“, so die DAH. In der deutschen LGBTQIA+-Community greifen die meisten Konsument:innen zudem zu Cannabis, Amphetamine und Alkohol. Auch im restlichen Europa belegt Cannabis unangefochten Platz 1 im Ranking um die beliebtesten, illegalen Aufputschmittel, beinahe jeder dritte Europäer (27 Prozent) greift dazu.

Doch auch hier zeigt sich laut EMCDDA die Problematik, dass selbst bei einer so weit verbreiteten Droge wie Cannabis immer mehr Probleme entstehen, denn immer öfter wird das ursprünglich rein pflanzliche Produkt mit synthetischen Beigaben vermischt, sodass Nutzer:innen nicht sicher sein können, was sie tatsächlich zu sich nehmen. Die DAH dazu: „Dringend erforderlich ist ein sogenanntes Drug-Checking, also die Möglichkeit, ohne Kriminalisierung die besorgten Substanzen unabhängig auf Inhaltsstoffe und Potenz überprüfen zu lassen. Drug Checking sollte mit der Möglichkeit einer Beratung einhergehen. Wichtig erscheint es, dass die Angebote dort sind, wo sich Menschen aufhalten, die bereits einen Konsumentschluss gefasst haben.“

DAH: Erwerb und Besitz geringer Mengen zum Eigenbedarf zu entkriminalisieren

Das bedeutet mehr Einsatz in Clubs, bei Festivals, auf Partys und natürlich auch auf den Pride-Paraden. Zudem fordert die DAH, den Erwerb und Besitz geringer Mengen zum Eigenbedarf zu entkriminalisieren: „Hiermit bietet sich die Chance, dass Konsument:innen deutlich früher Unterstützungsangebote wahrnehmen. Eine Drogenpolitik, die mit der Kriminalisierung der Konsumierenden arbeitet, ist kontraproduktiv. Schwerwiegende gesundheitliche Probleme entstehen durch fehlerhafte Dosierungen oder verunreinigte Substanzen sowie unhygienische Konsumbedingungen.“

Am Ende wäre ein generelles Umdenken in puncto Drogen vonnöten, gerade auch, weil sich der Vertrieb immer mehr in den Bereich Social Media verschiebe und so von staatlicher Seite noch schwieriger zu erfassen ist. „Aus unserer Sicht handelt es sich tatsächlich um Ressourcenverschwendung, insbesondere wenn jeder kleine Konsument strafrechtlich verfolgt werden muss. Natürlich sind die Ordnungsbehörden damit überfordert. Drogen werden seit jeher in allen Gesellschaften konsumiert, Rausch und Lust sind eng verkoppelt“, so die DAH.

Den Preis dieser Überforderung zahlen andere, beispielsweise gerade auch queere Menschen mit HIV. Im Jahr 2020 wurden in der Europäischen Union 563 HIV-Diagnosen und 128 Aids-Diagnosen in Zusammenhang mit injizierendem Drogenkonsum gestellt. Das Ziel der Weltgesundheitsorganisation war es eigentlich, bis 2020 jeder Drogen injizierenden Person jährlich 200 sterile Spritzbestecke zur Verfügung zu stellen – umgesetzt wurde das bis jetzt nur in Luxemburg, Norwegen, Spanien und Tschechien. Für die DAH ein Armutszeugnis für Deutschland: „Wenn sich die Drogenpolitik nicht verändert, können wir davon ausgehen, auch weiterhin sogenannte Drogentote beklagen zu müssen. Das betrifft auch queere Menschen.“ (Autor: JHM Schmucker)

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