9 Gründe, warum du die WM in Katar nicht schauen solltest
Bald startet die Fußball-WM in Katar. Viele fragen sich: Sollte man die WM dieses Jahr lieber boykottieren? 9 Gründe, warum das keine so schlechte Idee ist.
Vergangene Weltmeisterschaften wie die in Russland 2018 lockten laut Deutschem Fußball-Bund (DFB) 3.031.768 Menschen vor die Fernseher. Aber wie ist das in diesem Jahr mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar – sollte man die WM schauen oder lieber nicht? Schon seit Jahren weisen Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) wie Amnesty International auf Menschenrechtsverletzungen bei den Gastarbeiter:innen hin, die zum Beispiel die Stadien in Katar bauen. Im April 2022 bestätigte der WM-Veranstalter in Katar die Missstände sogar öffentlich und nannte sie „absolut inakzeptabel“.
Einzelne Firmen wurden angeblich auf die Beobachtungsliste gesetzt, um weitere Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Seitdem dokumentierten NGOs jedoch weiterhin Missstände. Immer wieder kündigten Katar und die Fifa Verbesserungen an, die jedoch bis heute kaum eingetreten sind. Macht ein Boykott der WM deswegen Sinn? Vielleicht. BuzzFeed News DE sammelt 9 Gründe, warum du die WM dieses Jahr nicht anschauen solltest.

1. Für die WM in Katar mussten Menschen sterben.
Laut Tagesschau gibt es immer wieder Streit darüber, wie viele Menschen durch oder bei der Arbeit für die WM 2022 gestorben sind. Offiziellen Statistiken aus Katar zufolge sind mehr als 15.000 Menschen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit seit der WM-Vergabe 2010 gestorben. Woran sie gestorben sind, das macht das Land nicht öffentlich. Bei vielen Toten, so kritisiert Amnesty International, werde als Todesursache nur „Herzversagen“ eingetragen.
Dies sei verdächtig, denn welcher junge, sportliche Mensch sterbe denn einfach so an Herzversagen. Man könne von einem so wohlhabenden Land wohl erwarten, dass es Todesursachen untersuche, sagt Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty Deutschland in einer Live-Schalte zur WM in Katar am Dienstag, 1. November. Die Äußerung der Fifa, dass nur drei der Toten aufgrund von Arbeitsunfällen gestorben sind, betrachten NGOs wie Amnesty also eher kritisch.
2. Abgesehen davon sind die Arbeitsbedingungen rund um die WM katastrophal.
In Katar, einem der reichsten Länder der Welt, arbeiten viele Menschen, die aus anderen Ländern wie Nepal, Bangladesch, Indien, von den Philippinen und aus Pakistan stammen. Sie sind billige Arbeitskräfte – verdienen meist nur umgerechnet 247 Euro im Monat. Grund für diese Ausbeutung von den sogenannten „Arbeitsmigrant:innen“ in Katar ist laut Amnesty Deutschland das Vormundschaftssystem „Kafala“, das langsam reformiert wird. Es kommt der modernen Sklaverei gleich, denn es bindet Arbeiter:innen an Bürgen, ohne deren Zustimmung diese weder die Arbeitsstelle wechseln noch das Land verlassen können.
Für die WM wurden laut Amnesty in den vergangenen zwölf Jahren Hunderttausende Arbeitsmigrant:innen Opfer von dieser Art der Ausbeutung und anderen Menschenrechtsverstößen. Kein Wunder, denn die Erwerbsbevölkerung des Landes bestehe zu mehr als 90 Prozent aus solchen Arbeitsmigrant:innen. Die Fifa habe dies bewusst ignoriert, als sie sich 2010 für Katar als Land für die WM 2022 entschied.
3. Homosexualität ist in Katar eine Straftat.
In Katar ist Homosexualität gesetzlich verboten. Bis zu fünf Jahren Gefängnis bekommt man bei einem Vergehen gegen dieses Gesetz. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat bei ihrem aktuellen Besuch in Katar eine Zusage für die Sicherheit aller anreisenden Fußballfans bekommen und könne auch Homosexuellen guten Gewissens empfehlen, zur WM zu reisen. Trotzdem muss man sich fragen, ob man eine WM in einem Land mit solchen Wertevorstellungen unterstützen möchte.
Marcus Urban, der erste deutsche Profifußballer, der sich als homosexuell outete, bemängelt die Entscheidung der Fifa für Katar gegenüber BuzzFeed News DE als „durchwegs rein ökonomisch“. Geht es „ums Eingemachte“, ist die LGBTQIA+-Community der Fifa egal , so seine Meinung.
4. Die Regierung in Katar – und die Fifa – lassen Kritik nicht zu.
Immer wieder beruft sich die Fifa auf die drei Todesfälle, die es bei den Bauvorbereitungen der WM in Katar gegeben habe, klärt jedoch nicht über die 15.000 Todesfälle seit WM-Vergabe auf. Das kritisierte auch Minky Worden, die bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die Arbeit zu Sport und Menschenrechten beaufsichtigt. Wie die Tagesschau berichtete, blieben ihre Kontakt-Versuche zur Fifa lange unbeantwortet. „Es gab niemanden bei der FIFA, an den wir uns wenden konnten“, sagt Worden. „Die Fifa war völlig desinteressiert und lehnte jede Verantwortung für Menschenrechte ab.“
Bei der aktuellsten Katar-Reise von Faeser sollte eigentlich auch die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg dabei sein. Diese sagte jedoch am Sonntagmorgen, 30. Oktober, kurzfristig ab. Grund dafür sei laut Welt vermutlich, dass Katars Außenministerium am 28. Oktober den deutschen Botschafter einbestellt hatte – all das, weil Faeser in einem ARD-Interview die Menschenrechtslage in Katar und die Vergabe der WM kritisiert hatte. Wirklich lernfähig und empfänglich für Kritik, scheint die Regierung in Katar also nicht zu sein.
5. Fifa und Katar weigern sich bisher, Menschenrechtsverletzungen finanziell zu entschädigen.
Bereits im Mai 2022 stellte Amnesty Deutschland (siehe Instagram-Video unten) gemeinsam mit anderen Organisationen und Verbänden eine Petition auf die Beine. Sie wendet sich direkt an den Arbeitsminister von Katar, Ali bin Samikh Al Marri, und den Präsidenten der Fifa, Gianni Infantino. Die Forderung: Katar und die Fifa sollen Arbeitsmigrant:innen für die Menschenrechtsverletzungen entschädigen, die durch die WM Menschenrechtsverletzungen erfahren haben.
Bisher haben beide noch nicht auf diese Forderung reagiert.
6. Nur weil in Katar jetzt die WM stattfindet, wird dort nicht gleich alles besser.
Viele argumentieren immer wieder, dass ein Boykott der WM überhaupt keinen Sinn ergeben würde. Viel zielführender sei es doch, dass durch die WM nun Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverletzungen geleitet werde. Das stimmt zwar, ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Aufmerksamkeit selbst kann positiv sein – reicht alleine aber nicht aus. Das zeigt laut Focus die Erfahrung mit anderen Sport-Events wie der Fußball-WM in Russland oder zuletzt den Olympischen Spiele in China, die für die Verbesserung der Menschenrechte im jeweiligen Land kaum relevant waren.
7. Katar nutzt die Öffentlichkeit der WM, um sich positiv darzustellen.
Katar scheint stattdessen die Weltöffentlichkeit zu nutzen, um sich „in einem positiven Licht darzustellen“ schreibt Focus. Anstatt die Menschenrechtsverletzungen wirksam aufzuarbeiten, hat das reiche Land in der Wüste lieber Hochglanzbilder von eindrucksvollen Fußball-Momenten in der Öffentlichkeit. So investiert WM-Gastgeber Katar sogar in PR und zahlt ausländischen Fans die gesamte Reise zum Turnier. Sie müssen sich vor Ort jedoch ganz klar an Regeln halten.
Durch die WM und den üblichen Trubel, der um die Fußball-Spiele entsteht, könnten die gesellschaftlichen Probleme noch mehr in den Hintergrund rücken. Klar, wenn Deutschland bei einem Spiel eine Glanzleistung bringt, dann interessiert das die Deutschen vermutlich mehr, als die Arbeitssituation eines Inders in Katar.
8. Für die Fifa spielt Geld eine wichtige Rolle – und Geld macht sie vor allem mit Fernseh- und Lizenzrechten.
Auf der Website der Fifa schreibt die Organisation, ein „Großteil ihrer Einnahmen (etwa 95 Prozent)“ stamme „aus dem Verkauf der Fernseh-, Marketing-, Hospitality- und Lizenzrechte für die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft“. Zwischen 2015 und 2018 waren das etwa 5656 Millionen. Es zeigt sich: Bei der Fifa spielt Geld eine große Rolle. Wenn Sponsoren abspringen, oder Gelder nicht fließen, dann trifft das den Verband härter, als alles andere. „Follow the money“, nennt das Tim Jürgens, stellvertretender Chefredakteur des Fanmagazins 11FREUNDE im Live-Talk von Amnesty Deutschland.
Wenn weniger Menschen die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 verfolgen, könnte sich das vielleicht auf zukünftige Einnahmen im Bereich der Lizenzrechte auswirken.
9. Hast du eine andere Wahl, um zu zeigen, dass du die Menschenrechtsverletzungen in Katar nicht unterstützt?
Abgesehen davon, dass du Petitionen unterschreiben, an NGOs spenden und auf die Straße gehen kannst: Welche Macht hast du sonst, um zu bewirken, dass sich bei der Fifa und der Auswahl der Vergabe-Länder etwas ändert? Wenn du die WM 2022 nicht schaust, dann setzt du damit ein Statement. Klar, die Entscheidung für Katar ist schon vor zwölf Jahren gefallen und du kannst dafür genauso wenig, wie die deutschen Fußballprofis, die bei der WM nun mitspielen.
Aber wie es der Ex-Fußballer Neven Subotić (er hat nach seiner Fußball-Karriere eine Stiftung für den Zugang zu sauberem Trinkwasser gegründet) beim Amnesty-Live-Talk so schön ausdrückt: „Eine Wahl hat man immer“. Er persönlich werde die WM nicht anschauen.
Dass Katar und die Fifa sich nicht transparent zu den Menschenrechtsverletzungen äußern, ist schade, denn Probleme aufzuarbeiten, ist meist der effizienteste Weg, um sich wieder ein positives Image aufzubauen. Das merkt man auch am Verfassungsschutz, dem eine Veröffentlichung der NSU-Akten geholfen hätte, wieder glaubwürdiger zu werden.