Arbeitsunfähig mit 37: „Ich habe Long Covid und es fühlt sich scheiße an“
Wochenlang lag sie nur im Dunklen. Ulrike hat seit fast zwei Jahren Long Covid. BuzzFeed News erzählt die 37-Jährige ihre Geschichte.
Gerade in Bezug auf die in vielen Bundesländern endende Isolationspflicht, warnte die Initiative Long Covid Deutschland, „Post Covid nicht als Kollateralschaden zu ignorieren“. Auch die Bewegung #nichtgenesen, sieht das so. Sie teilt seit April 2022 Bilder von Long-Covid-Betroffenen in Deutschland und will ihnen damit ein Gesicht geben. BuzzFeed News DE hat mit einer von ihnen gesprochen.
Ihr Name ist Ulrike. Sie ist 37 Jahre alt, hat eine elfjährige Tochter und ist eines von sechs Gründungsmitgliedern der Bewegung #nichtgenesen. Und eine von rund 65 Millionen Menschen, die weltweit von Long Covid betroffen sind. Das schätzte Ende Januar 2023 eine Studie von Nature Reviews Biology. Ulrike gehört wohl zu den Long-Covid-Betroffenen, die von Ärzt:innen am Anfang nicht ernst genommen wurde und sich deswegen selbst auf die Suche nach Heilung macht. Sie erzählt BuzzFeed News DE ihre Geschichte.

Long Covid: So hat das Corona-Virus Ulrikes Leben verändert
„Im März 2021 hat sich mein Leben so wie ich es kannte komplett verändert. Meine Corona-Warn-App war auf einmal rot, und ich hatte gerade erst einen Impftermin, also noch keine Impfung bekommen. Was dann kam, war ein ziemlich untypischer Verlauf: Meine Lunge war relativ wenig betroffen. Ich hatte keine Atemnot, gar nichts. Eine ganze Woche lang hatte ich gar keine Symptome und dann auf einmal von jetzt auf gleich kamen Muskelschmerzen und der Brain-Fog (Gehirnnebel). Das Wort trifft es ganz gut – ich konnte mich überhaupt nicht mehr konzentrieren, hatte Probleme mir Dinge zu merken und war nur noch fertig.
Irgendwann, nach zwei Wochen, haben die Symptome ein bisschen nachgelassen. Cool, dachte ich. Jetzt ist es vorbei. Dann bin ich arbeiten gegangen und hab versucht mein Leben wieder zu leben. Das war keine gute Idee. Ende Juli 2021 bin ich nach einem Spaziergang zusammengebrochen. Für einige Wochen konnte ich anschließend nur noch liegen. Mein Bewegungsradius war gefühlt vom Bett zum Sofa und zurück. Für meinen damaligen Hausarzt war die Sache klar – das muss psychisch sein.
Zähneputzen bringt bei Long-Covid-Betroffenen das Fass zum Überlaufen
In der Long-Covid-Ambulanz an der Universität Frankfurt hat man mich dann endlich ernst genommen. Man hat dort beispielsweise gesehen, dass mein Lungenfunktionstest auf einmal auffällig war. Ich konnte mich kaum bewegen, kaum mental anstrengen – jede Belastung hat meine Symptome verschlimmert. Zum Beispiel kann Zähneputzen an einem Abend genau der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Post-Exertional Malaise (PEM) nennt sich dieses Symptom.
Dass PEM typisch für Long Covid ist, habe ich in den nachfolgenden Monaten am eigenen Körper erfahren. Man weiß noch nicht, wie und warum Long Covid entsteht. Aber eine Theorie ist, dass eine Reaktivierung von Herpesviren wie unter anderem des Epstein-Barr-Virus (EBV) stattfindet. Aber die Forschung dazu steckt – kann man sich ja denken – noch in den Kinderschuhen. Ganz vorne mit dabei ist da der Forscher Bhupesh Prusty am Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg.
Epstein-Barr-Virus (EBV)
Das Epstein-Barr-Virus (EPV) haben laut dem Deutschen Infektionszentrum 90 bis 95 Prozent aller Menschen in sich. Wie unter anderem der SWR berichtet, infizieren sich die meisten schon als Kind mit dem Virus. Die wenigsten bemerken das Virus aktiv – es bleibt oft unsichtbar, verschwindet aber nie wieder komplett aus dem Körper.
Expert:innen vermuten, dass das Virus andere Krankheiten, insbesondere Autoimmunerkrankungen verstärken kann. Ein Forschungsteam der World Health Organisation (WHO) glaubt, dass das Corona-Virus diesen HPV reaktiviert. Sie wiesen in einer Studie bei rund 65 Prozent der Long-Covid-19-Patienten aktive Epstein-Barr-Viren im Körper nach.
„Damit die PEM aufhört, tut man alles“
Die PEM war und ist immer noch da. Und gegen die versucht man echt alles. Das stört mich manchmal so, dass Leute denken man will nicht, dass es besser wird. Als ob irgendjemand Lust hat, nur in einem dunklen Raum zu liegen. Das will keiner. Ich habe sogar die HELP-Apherese versucht. Das ist eine Art Blutwäsche, bei der Mikrothromben aus dem Blut gefiltert werden. Von denen haben Long-Covid-Betroffene besonders viele.
Das wird von der Krankenkasse nicht gezahlt, weil es noch nicht evidenzbasiert ist. Hat mich also 3500 Euro gekostet. Aber es hat mir tatsächlich geholfen. Ich würde sagen, vor der Blutwäsche war ich so circa bei 30 Prozent Leistungsfähigkeit und danach bei etwa 70 Prozent.
Bis Oktober 2021 habe ich es wieder auf einen Stand geschafft, bei dem ich den Haushalt und das Leben mit meiner elfjährigen Tochter so einigermaßen stemmen konnte. Durch eine erneute Corona-Infektion im August 2022 kam jedoch wieder eine deutliche Verschlechterung aller bis dahin geschaffter Verbesserungen.
HELP-Apherese
Beim Thema HELP-Apheresen ist die Ärztin Beate Jaeger in Mülheim an der Ruhr relativ bekannt. Ihr stattete Eckart von Hirschhausen in seiner ARD-Doku mehrere Besuche ab, berichtete die Tagesschau. Es handelt sich um eine Blutwäsche, bei der Fette und andere Stoffe wie Gerinnungs- und Entzündungsfaktoren aus dem Blut gefiltert würden.
„Der Film macht mir wirklich Bauchweh“, sagte laut Tagesschau Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité. Sie habe „Sorge, dass der Film dazu führen wird, dass viele Patienten in ihrer Verzweiflung Geld in die Hand nehmen und sich eine HELP-Apherese machen lassen. Da hat sich ein Markt entwickelt.“
Andere Ärzt:innen oder wissenschaftliche Fachgesellschaften warnen vor einem Placebo-Effekt und davor, dass es bei einer „unsachgemäßen Anwendung [der Blutwäsche] zu schweren Komplikationen kommen kann“. Hirschhausen selbst sagt auf Anfrage der Tagesschau, dass er im Film immer wieder auf die mangelnde Studienlage hingewiesen habe: „Ziel des Filmes war und ist es, zu zeigen, wie miserabel die Diagnosekriterien, die Versorgung und der Wissensstand ist.“
Long Covid: „Bei uns macht es eine klassische Reha im Normalfall eher schlimmer“
Das Problem bei der Behandlung von Long-Covid-Patient:innen in Deutschland ist, dass die Genesung nicht gleich funktioniert wie bei den Patient:innen, die zwar auf der Intensivstation waren, aber keine oder wenige Long-Covid-Symptome haben. Bei uns macht es eine klassische Reha im Normalfall eher schlimmer, denn bei Belastung verschlimmern sich unsere Symptome.
Und das ist auch der große Unterschied zu Depressionen, die uns ja manchmal sogar von unseren Ärzt:innen diagnostiziert werden: Denn für depressive Menschen macht Aktivität die Symptome tatsächlich oft besser. Bei uns ist das nicht so, sondern es kommt in Wellen. Etwa 24 bis 72 Stunden nach der Belastung kommt die PEM. Und die ist manchmal so krass, dass man nicht mal Rechenaufgaben auf Grundschulniveau schafft. Im Sommer 2021 konnte ich meiner Tochter nicht bei Mathe helfen.

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Wegen Long Covid berufsunfähig – wie fühlt sich das an?
Long Covid führt dazu, dass ich seit Juli 2021 berufsunfähig bin. Ich bin nicht mehr so schlau wie früher – das ist Fakt. Ich war beim Gesundheitsamt in der Corona-Task-Force. Dort musste ich ein Organisationstalent sein, und das kann ich heute nicht mehr. Mittlerweile ist es besser, aber im Sommer 2021 musste ich an der Hand abzählen, wie lange es dauert, bis mein Teewasser kocht. Weil ich es mir so einfach nicht merken konnte. Es fühlt sich manchmal fast wie ADS oder wie Demenz an. Ich kann jedenfalls nachfühlen, wie es Menschen geht, die darunter leiden.
Seit Anfang Januar 2023 bekomme ich kein Krankengeld mehr, sondern Arbeitslosengeld. Ich bin als Person einklassifiziert, die dem Arbeitsmarkt nicht mehr als drei Stunden verfügbar ist. Also läuft das auf Erwerbsunfähigkeit heraus. Und das fühlt sich scheiße an. Es war nie mein Ziel, mit 37 in Rente zu gehen. Ich hab mich beruflich immer weiterentwickelt: Von der zahnmedizinischen Fachkraft zur Prophylaxe-Assistentin machte ich 2018 den IHK-Fachwirt, leitete einen Wohlfahrtsverband und arbeitete dann im Gesundheitsamt – meine Arbeit hat mir immer viel Spaß gemacht.

Forschung zu Long Covid: Bettina Stark-Watzinger „nimmt zu wenig Geld in die Hand“
Deswegen setze ich mich immer wieder unter Druck, bald wieder arbeiten zu, müssen, aber ich merke, dass das nicht hilft. Was helfen würde, wäre medizinische Hilfe. Wären neue Medikamente und Behandlungsmethoden. Wären Forschungsgelder und Langzeitstudien zu Long-Covid-Patient:innen. Es gibt zum Beispiel das Medikament mit dem Namen BC007, das bei einigen Patient:innen dazu geführt hat, dass die Symptome verschwanden. Es neutralisiert Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die bei manchen Long-Covid-Patient:innen nachgewiesen wurden. Durchgeführt wurde die Studie an der Augenklinik in Erlangen.
Da das eine sehr kleine Studie war, braucht es natürlich weitere Forschung. Aber im Gegensatz zur Impfung, für die zurecht viel Geld ausgegeben wurde, hält sich Politik bei der Long Covid Forschung sehr zurück. Studien zu BC007 werden immer weiter verschoben. Wir von #nichtgenesen finden, dass Bettina Stark-Watzinger bei der Long-Covid-Forschung zu wenig Geld in die Hand nimmt.
Forschung zu Long Covid: BC007, ME/CFS und Co.
Auf Anfrage von BuzzFeed News DE an das Bundesministerium für Bildung und Forschun, meldet sich eine Sprecherin zu Wort und erklärt, dass die Studien zu BC007 verschoben würden, weil „die Firma Berlin Cures den Wirkstoff nicht liefern konnte“. Man fördere zehn Verbundvorhaben zum Thema Long/Post Covid – laut BMBF-Sprecherin, mit insgesamt 22,5 Millionen Euro.
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„Wir Long-Covid-Betroffenen haben das Gefühl, wir werden ignoriert“
In der Long-Covid-Ambulanz in Heidelberg hat man bei mir dann (November 2021) einen Immunmangel festgestellt. Deswegen ergibt auch eine weitere Impfung (ich habe eine, nach der ich keine Antikörper bildete) keinen Sinn. Es ist aber nicht klar, ob der schon immer da war, oder ob Corona ihn ausgelöst hat. Das Problem ist eben, dass bei Long Covid noch zu wenig Wissen über den genauen, biochemischen Pathomechanismus besteht. Besonders schade ist auch, dass nicht noch mehr zu Long Covid gemeinsam mit der schon bekannten Krankheit ME/CFS geforscht wird, die durch Infektionen ausgelöst wird.
Menschen mit ME/CFS, der Spiegel hat über einen Betroffenen letztens eine Reportage geschrieben, liegen teilweise jahrelang im Dunkeln und bewegen sich nicht, haben unfassbare Schmerzen. Ich finde das dramatisch. Dabei haben sie ja eine Chance. Wenn sie nachweislich Auto-Antikörper im Blut haben, dann helfen auch bei ihnen neue Verfahren wie zum Beispiel die Immunadsorption, bei der das Blut aus dem Körper herausgeleitet, von Antikörpern gereinigt und zurückgeführt wird.
Wir Long-Covid-Betroffenen haben das Gefühl, wir werden ignoriert. Um das zu ändern, haben wir uns im April 2022 zusammengefunden. Wir wollen Aufmerksamkeit erzeugen und haben eine Petition ins Leben gerufen. Mit unserem Instagram-Kanal @nichtgenesen wollen wir der Krankheit ein Gesicht geben – gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. Wir wollen klarmachen, was da für Qualitäten in den Betten liegen und wie das der Wirtschaft schaden wird, wenn die nicht mehr arbeiten können.“
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