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„Mein Akku wie immer leer“ – so lebt es sich mit ME/CFS

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Von: Jana Stäbener

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Alina hat das chronische Fatigue-Syndrom. BuzzFeed News erzählt sie zum Internationalen Tag der Krankheit, wie es sich anfühlt, deswegen „Medical Gaslighting“ zu erleben.

Am 12. Mai ist Internationaler ME/CFS-Tag. Um auf die Erkrankung aufmerksam zu machen, finden einige Aktionen statt. Neben mehreren Veranstaltungen der Berliner Charité, demonstriert auch der Verein „ME Hilfe“ und veranstaltet vor dem Deutschen Bundestag eine Liegen-Demo, mit der Erkrankte zeigen, woraus ihr Alltag besteht: aus Liegen. Meist in abgedunkelten Räumen, weil jeglicher Reiz so anstrengend ist.

Viele ME/CFS-Erkrankte sind gar nicht in der Lage, an der Demo teilzunehmen. Allein die lange Zugfahrt nach Berlin wäre für sie zu viel. Sie schicken stattdessen Botschaften oder sind bei der geplanten Live-Übertragung via Zoom dabei. Alina ist eine von ihnen. Die 27-Jährige ist ME/CFS-Patientin und berichtet auf ihrem TikTok-Kanal @pancakesoupwithparsley mit Humor von ihrem Alltag mit dem chronischen Fatigue-Syndrom (siehe unten).

ME/CFS

Die Abkürzung ME/CFS steht für „Myalgische Enzephalomyelitis/ Chronisches Fatigue-Syndrom“ – eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS spricht von etwa 250.000 Betroffenen in Deutschland, Zahlen, die laut des Bundesgesundheitsministeriums aufgrund der Corona-Pandemie weiter zunehmen könnten.

Das liegt daran, dass der Begriff Long Covid laut Deutscher Gesellschaft für ME/CFS ein Überbegriff für verschiedene Symptome ist, die Wochen und Monate nach einer Covid-19-Erkrankung anhalten. Einige davon sind charakteristisch für ME/CFS – zum Beispiel die Post-Exertional Malaise (PEM – eine Zustandsverschlechterung nach Belastung), Fatigue, Kreislaufprobleme und Brain Fog.

ME/CFS gehört zu den Erkrankungen mit der niedrigsten Lebensqualität

Alina (27) hat ME/CFS und postet auf ihrem TikTok-Account immer wieder ironische Videos zum Leben mit der Krankheit.
Alina (27) hat ME/CFS und postet auf ihrem TikTok-Account immer wieder ironische Videos zum Leben mit der Krankheit. © Screenshots TikTok @pancakeswithparsley

Viele von Alinas Videos bedienen sich der typischen TikTok-Trend-Ästhetik: Sie bringen uns zum Schmunzeln – ähnlich wie dieser „Quoten-Asiate“,der asiatische Klischees aufgreift. Manchmal, da muss es jedoch auch ernst werden. Denn laut Gesellschaft für ME/CFS gehört die Erkrankung zu den Krankheiten mit der niedrigsten Lebensqualität.

Betroffene können teilweise nur in abgedunkelten Räumen liegen, weil sie alles andere zu sehr anstrengt und ihnen Schmerzen bereitet. Trotzdem wurde bisher wenig in die Erforschung der Krankheit investiert – ähnlich wie bei Long Covid, findet eine Betroffene im Interview mit BuzzFeed. In einem TikTok (siehe unten) beschreibt ME/CFS-Patientin Alina, was das in ihr auslöst:

Mein tägliches Gedankenkarussell mit ME/CFS: Ich wache auf. Ein weiterer Tag ohne Therapie. Ein weiterer Tag ohne Forschung. Ein weiterer Tag ohne Heilung. Mein Akku wie immer leer. Stille. Mein Körper wie gelähmt. Zu schwach, die Augen zu öffnen. Zu schwach, mich zu bewegen. Die Ohropax bleiben drin, denn es ist so still. So still. Meine Muskeln brennen, meine Gelenke sind steif. Meine Lymphknoten sind mal wieder angeschwollen. Grippe oder Crash? Alles, was ich höre, ist mein Herzschlag. 66. 70. Ich drehe mich langsam. Meinem Herz gefällt das nicht. 80. Ich versuche, mich langsam aufzurichten. 120. 130. Wie lange mein Herz wohl noch schlägt. Zu gesund für einen Pflegegrad, zu krank zum Arbeiten.

Alina, 27, ME/CFS-Patientin

Angefangen hat das ganze 2019. Da sei sie mit Muskel- und Gelenkschmerzen aufgewacht. „Ich hatte monatelang angeschwollene Lymphknoten und immer wieder chronisches Fieber“, erzählt sie BuzzFeed News Deutschland. „Ich bin dann zum Hausarzt gegangen und es hieß: ‚Ja, sie haben halt grade ein bisschen Stress.‘“ Irgendwann kam dann noch ein Ausschlag am Rücken hinzu, den Hautärzte als Pilz abwinkten. Dann erkrankte Alina zusätzlich an Gürtelrose.

Leben mit ME/CFS: „Erlebe eigentlich jedes Mal Medical Gaslighting“

„Anfang 2020 war es einmal richtig schlimm, da hatte ich sogar gelbliche Haut und Schmerzen beim Atmen.“ Alina ging in die Notaufnahme. „Da haben die Ärzte auch meine Lunge untersucht und Flecken gesehen. Nachdem sie mir nicht weiterhelfen konnten, entließ ich mich selbst aus dem Krankenhaus. Im vorläufigen Entlassbrief stand lediglich die Diagnose: ‚Verdacht auf viralen Atemwegsinfekt‘“, erzählt sie.

„Ich erlebe beim Arzt eigentlich jedes Mal Medical Gaslighting“, so Alina. Obwohl es für ME/CFS eigentlich einen klar definierten Symptom-Katalog gibt, haben es Betroffene oft schwer eine Diagnose zu erhalten. Auch ein Grund dafür: Es gibt keinen Biomarker oder Test, der eindeutig belegen kann, dass eine Person an ME/CFS erkrankt ist. Wie der BR berichtet, ist ME/CFS immer noch nicht verpflichtender Teil des Medizinstudiums, obwohl die WHO diese Krankheit schon seit den 1960er Jahren anerkannt hat.

Grade erst beginne auf diesem Gebiet die gezielte Forschung – „viel zu spät, wenn man bedenkt, dass man die Erkrankung schon so lange kennt“, findet Alina. „Das liegt daran, dass ME/CFS lange Zeit als psychisch abgetan wurde.“ Sie selbst stieß im Internet auf die Erkrankung und ging 2020 zu einem Privatarzt. „Der hat einige Tests gemacht und festgestellt, dass das Epstein-Barr-Virus bei mir sehr aktiv ist – typisch für ME/CFS, aber auch für Long Covid.“

Epstein-Barr-Virus (EBV)

Das Epstein-Barr-Virus (EPV) haben laut dem Deutschen Infektionszentrum 90 bis 95 Prozent aller Menschen in sich. Wie unter anderem der SWR berichtet, infizieren sich die meisten schon als Kind mit dem Virus. Die wenigsten bemerken das Virus aktiv – es bleibt oft unsichtbar, verschwindet aber nie wieder komplett aus dem Körper.

Expert:innen vermuten, dass das Virus insbesondere Autoimmunerkrankungen auslösen oder verstärken kann. So beispielsweise auch die Krankheit ME/CFS. Ein Forschungsteam der World Health Organisation (WHO) glaubt, dass das Corona-Virus diesen EBV reaktiviert. Sie wiesen in einer Studie bei rund 65 Prozent der Long-Covid-19-Patienten aktive Epstein-Barr-Viren im Körper nach.

Mehr zum Thema: Auch Long Covid-Betroffene werden von Ärzt:innen oft nicht ernst genommen.

„Ich bin schon froh, dass ME/CFS dank Long Covid ernster genommen wird“

„Es fühlt sich falsch an, das zu sagen, aber ich bin schon froh, dass ME/CFS dank Long Covid ernster genommen wird“, erzählt Alina. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte Mitte März 2023 an, nicht nur für Long-Covid-Erkrankte, sondern auch für ähnliche Krankheitsbilder wie ME/CFS und Post-Vac (Impfschäden) mehr Forschung zu wollen (hier zeigen wir, wie häufig Impfschäden im Vergleich mit Long Covid tatsächlich vorkommen).

Für Alina ein Meilenstein, denn wie sie uns erzählt, gibt es bisher eigentlich nur Off-Label Medikamente und experimentelle Behandlungsmethoden, wie zum Beispiel die Blutwäsche. Die sehe sie „ehrlich gesagt eher kritisch“. Alina war früher Ernährungsberaterin. Seit ein bis zwei Jahren verschlechtere sich ihr Zustand jedoch eher. „Ich war lange Zeit bettlägerig und habe in der Zeit nicht nur meinen Job, sondern auch meinen Partner verloren, weil er mit meiner Erkrankung nicht zurechtkam.“

Seit Januar 2023 wohnt sie nun wieder bei ihren Eltern. „Ich würde sagen, mein Zustand ist aktuell moderat“, sagt sie. „Es gibt auch Phasen, in denen ich mich besser fühle und denke: ‚Jetzt komme ich in den milden Zustand‘. Dann gehe ich mit einer Freundin Kaffee trinken und es folgt der absolute Crash, also die PEM.“ [PEM = Post-Exertional Malaise, eine Zustandsverschlechterung nach Belastung].

„Nur weil ich eine chronische Erkrankung habe, kann ich mich trotzdem schminken“

Den Humor verliert Alina trotzdem nicht. Und auch nicht den Optimismus, dass man mit mehr Forschung auch irgendwann Heilungsmethoden findet. „Ich bin sehr aktiv in der Community und versuche mehr Sichtbarkeit für ME/CFS zu generieren. Ich verkaufe zum Beispiel auch Sticker von Betroffenen und spende einen Teil der Erlöse an die deutsche Gesellschaft für ME/CFS“, erzählt sie uns.

Das sei möglich, wenn sie sich als moderat erkrankte ME/CFS-Betroffene genug Pausen nehme – und vor allem, nicht übernehme. „Nur weil ich eine chronische Erkrankung habe, kann ich mich trotzdem schminken“, so Alina in einem ihrer TikToks (siehe unten). Sie setzt sich auch dafür ein: Menschen mit chronischen Krankheiten nicht auszuschließen, sondern ihnen trotz aller Rücksichtnahme weiterhin Dinge zuzutrauen.

Mehr TikTokerinnen, die zum Thema Behinderung aufklären: TikTokerin mit Spastik in den Beinen will anderen Mut machen: „Habe mich selbst versteckt“.

(Mit Material der dpa)

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