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„Ich habe jahrelang nur ausgehalten“ – Norman Wolf spricht über Mobbing-Erfahrungen

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Von: Friederike Hilz

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Links: Ein junger Mann posiert in einem Rock vor einem Spiegel. Rechts: Der gleiche Mann sitzt an einem Tisch und unterschreibt Bücher. Darüber ein Text: „Mobbing funktioniert nur dann, wenn es ein Machtgefälle gibt.“
Norman Wolf spricht offen über seine Erfahrungen. © @deinTherapeut via twitter.com

Norman Wolf wurde während seiner Schulzeit jahrelang gemobbt. Jetzt will er jungen Menschen helfen, damit sie nicht genauso leiden müssen.

Fünf Jahre lang wurde Norman Wolf, 29, in der Schule gemobbt. Die Folgen spürt er auch heute noch. Mobbing und Cybermobbing haben gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen und selbst wenn es vorbei ist, bleiben Narben zurück. Mit BuzzFeed News DE spricht Wolf über seine Erfahrungen, wie er heute damit umgeht und wie er Schüler:innen und Lehrer:innen hilft.

„Du lernst, deine negativen Gefühle und dein Leid einfach auszuhalten“

Mobbing ist kein einmaliges Erlebnis, sondern passiert über einen längeren Zeitraum. Junge Menschen müssen also immer wiederkehrende psychische und teilweise auch körperliche Gewalt aushalten. „Ich habe jahrelang nur ausgehalten“, erzählt Wolf. Doch warum trauen Betroffene sich oft lange Zeit nicht, sich Hilfe zu suchen? „Wenn dir so etwas passiert, dann ist das unfassbar peinlich. Mit jedem Tag wird es unangenehmer, es zu erzählen“, sagt der 29-Jährige.

Stattdessen leiden Opfer jahrelang im Stillen, denn „du lernst, deine negativen Gefühle und dein Leid für dich zu behalten“, so der 29-Jährige. Die Situation erscheint ausweglos, auf der einen Seite beleidigen die Mobber:innen einen immer und immer wieder, sodass das eigene Selbstwertgefühl immer geringer wird, auf der anderen Seite ignorieren Lehrkräfte häufig das Mobbing an Schulen. Die Betroffenen fühlen sich komplett alleingelassen.

„Ignoriere sie einfach, dann hören sie irgendwann auf.“

Wolf kann sich noch genau an die Situation erinnern, als er schließlich, nach mehr als einem Jahr, allen Mut zusammennahm und einem Lehrer von dem Mobbing erzählte. Am Tag davor hatte einer seiner Mobber ihm auf dem Pausenhof grundlos ins Gesicht geschlagen und Wolf traute sich nicht mehr, nach draußen zu gehen. Der Lehrer zeigte jedoch keinerlei Verständnis: Zu so einer Situation würden schließlich „immer zwei gehören.“

Das Problem sei, so Wolf, dass Mobbing sehr selten oder gar nicht im Lehramtsstudium behandelt werde. Deshalb würden Lehrkräfte oft nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Es fallen Sätze, wie: „Ignoriere sie einfach, dann hören sie irgendwann auf.“ Das funktioniert allerdings nicht, wie Wolf erklärt: „Die Mobber:innen machen so lange weiter, bis man reagiert.“ Mit eigenen Vorträgen an Universitäten arbeitet der 29-Jährige gegen dieses Problem an.

Lehrer:innen sind einige der wichtigsten Ansprechpartner:innen für betroffene Schüler:innen. Auch Wissenschaftler:innen wie Jan Pfetsch, Dozent für Erziehungswissenschaften an der Universität Berlin und André Franck, Erziehungswissenschaftler an der Universität Luxemburg, sehen die Pflicht zur Prävention und Intervention vor allem bei den Schulen, denn dort findet Mobbing am häufigsten statt. Etwa 80 Prozent passiert im Klassenzimmer, allerdings außerhalb der Unterrichtszeit, wie aus einer Studie des Vereins Zeichen gegen Mobbing e.V. hervorgeht.

Hier erzählen Mitglieder der BuzzFeed Community von ihren Erfahrungen mit Mobbing.

„Mobbing ist ein offensichtlich alltägliches Problem an Schulen.“

Wenn Wolf Schulen besucht, fragt er die Schüler:innen nach ihren Erfahrungen mit Mobbing. Die Antworten sind erschreckend: In der fünften und sechsten Klasse melde sich jede:r Dritte, in den höheren Klassen schon jede:r Zweite, erzählt er. Mobbing sei offensichtlich ein alltägliches Problem an Schulen.

Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland in Sachen Mobbing durchschnittlich ab, wie aus einer PISA Studie aus dem Jahr 2018 hervorgeht. Demnach gaben knapp 23 Prozent der Befragten an, schon einmal Erfahrungen mit Mobbing gemacht zu haben, was dem internationalen Durchschnitt entspricht. Besorgniserregend ist jedoch, dass die Zahl der Schüler:innen, die gemobbt werden, immer weiter steigt: In der PISA Studie aus dem Jahr 2015 hatten nur etwa 16 Prozent der Befragten Erfahrungen mit Mobbing gemacht.

Besonders eine Art des Mobbings tritt seit Pandemiebeginn vermehrt auf: Cybermobbing. Nach Angaben des Bündnisses für Cybermobbing stieg die Zahl der Betroffenen während der Pandemie um vier Prozent, von 12,7 (2017) auf 16,7 Prozent (2022). Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein: Wie aus einer Studie der Barmer-Krankenkasse hervorgeht, kennt jede:r zweite Jugendliche eine Person, die von Cybermobbing betroffen ist. Am häufigsten findet diese Art von Mobbing auf WhatsApp statt, dicht gefolgt von Instagram, Tiktok und Facebook.

„Egal wie dick dein Fell ist, egal wie sehr du versuchst, Dinge wegzustecken, wenn du so etwas jeden Tag hörst, glaubst du es irgendwann.“

Mobbing hat einen starken Einfluss auf die mentale und körperliche Gesundheit der Betroffenen. Besonders häufig leiden die Opfer an psychosomatischen und psychischen Beschwerden, wie Kopf- und Magenschmerzen, Angst- und Schlafstörungen oder Depressionen. Außerdem haben Mobbing-Opfer laut einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2007 bis zu sechsmal häufiger Suizidgedanken, als Gleichaltrige.

Wiederholte psychische und körperliche Gewalt sorge dafür, dass das Selbstwertgefühl der Opfer immer weniger werde, erklärt Wolf. „Egal wie dick dein Fell ist, egal wie sehr du versuchst, Dinge wegzustecken, wenn du so etwas jeden Tag hörst, glaubst du es irgendwann. Wie soll man zum Beispiel seinen Körper noch schön finden, wenn man regelmäßig wegen seines Aussehens beleidigt wird?“ Er habe sich irgendwann vor sich selbst geekelt, erzählt er.

Auch heute noch begleiten ihn diese Gedanken, denn selbst wenn das Mobbing vorbei ist, leiden die Opfer noch lange Zeit. „Es hat noch eine ganze Weile gedauert, bis mir bewusst geworden ist, wie sehr das Mobbing von damals heute noch meine Gedanken beeinflusst“, erklärt der 29-Jährige. „Es ist ein unfassbar langer Weg, bis es einem besser geht, aber es ist besser geworden.“ Eine traumatische Erfahrung wie diese, hinterlässt, ähnlich wie eine körperliche Verletzung, Spuren, auch lange, nachdem die Wunde verheilt ist. Für Wolf sind die negativen Gedanken, mit denen er immer noch zu kämpfen hat, die Narben in seinem Kopf. Mittlerweile, betrachte er diese Gedanken als Echo der Stimmen der Täter:innen. Dennoch hat er sich vor kurzem entschlossen, eine Therapie zu beginnen: „Ich habe gemerkt, dass ich diesen Weg nicht mehr alleine gehen will.“

„Bitte verändere dich nicht für Menschen, die dich nicht wertzuschätzen wissen.“ 

„Alles, was die Mobber:innen sagen, ist Blödsinn“, sagt Wolf entschlossen. Das müssen sich Opfer immer wieder bewusst machen. Das Problem seien immer die Täter:innen, die durch ihr Verhalten versuchen würden, ihr eigenes Selbstwertgefühl zu steigern, erklärt er. Die Schuld liege niemals beim Opfer, denn selbst wenn sie die Dinge, für die sie gemobbt werden, ändern würden, bleibe die Situation gleich. „Bitte verändere dich nicht für Menschen, die dich nicht wertzuschätzen wissen.“ Das gilt doppelt für queere Jugendliche, die besonders häufig Opfer von Mobbing werden.

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Außerdem, so Wolf, sei es wichtig, sich Hilfe zu suchen. Dieser Schritt erfordert von den Betroffenen eine ganze Menge Mut, doch es lohnt sich. Sein Leid einer anderen Person anzuvertrauen kann wahnsinnig befreiend sein und Hoffnung machen. Für die meist erwachsenen Ansprechpersonen gilt vor allem eins: die Opfer ernst nehmen. 

Den größten Einfluss auf Mobbing-Situationen haben dennoch Schulen. Sie müssen neue Mobbingfälle verhindern, vorhandene Mobbingfälle unterbinden und die daraus resultierenden psychischen Folgen eindämmen, schreibt André Franck in einem Artikel zum Thema. Wolf ist für Lehrer:innen eine helfende Hand. Durch seine Erfahrungen eröffnet er für Schüler:innen neue Perspektiven und trägt so zu der wichtigen Präventionsarbeit bei.

„Ihr müsst es nicht aushalten.“

In seinem Buch „Wenn die Pause zur Hölle wird“ verarbeitet der 29-Jährige seine Mobbing-Erfahrungen. Gleichzeitig hilft er damit jungen Menschen und macht ihnen Hoffnung. Er will Jugendlichen vor allem eines klarmachen: „Ihr müsst es nicht aushalten.“

In seinen Lesungen ermutigt Wolf Schüler:innen, aber auch Lehrkräfte, Mobbing nicht totzuschweigen. Er bietet den Klassen einen Raum, in dem sie das Thema offen ansprechen und diskutieren können. „Die Klasse rückt dann oft ein Stück weiter zusammen“, erzählt er, manchmal fließe auch die ein oder andere Träne. Dadurch haben es Täter:innen schwerer, denn „Mobbing funktioniert nur dann, wenn es ein großes Machtgefälle gibt.“

Häufig kommen am Ende von Wolfs Schulbesuche Schüler:innen zu ihm, um sich zu bedanken. Das berühre ihn am meisten, sagt der 29-Jährige, zu wissen, dass er mit seiner Arbeit Kindern und Jugendlichen helfen kann, die in ähnlichen Situationen stecken, wie er damals.

Mobbing hält kein Leben lang.

Norman Wolf

Wenn du selbst gemobbt wirst, kannst du dich an die Telefonseelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 wenden. Auch bei der Mobbing-Zentrale findest du Hilfe: 0152/ 34 34 30 70.

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