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Nach Attacke beim CSD in Münster: Verband warnt vor mehr queerfeindlicher Gewalt

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Von: Robert Wagner

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Spontan errichtete Gedenkstätte für Malte C. auf den Stufen des historischen Rathauses in Münster (2.9.22).
Spontan errichtete Gedenkstätte für Malte C. auf den Stufen des historischen Rathauses in Münster. © Friso Gentsch/dpa

Nach dem Angriff auf Malte beim CSD in Münster entbrennt eine Debatte um zunehmende queerfeindliche Gewalt. Die wird aber von vielen nicht aufrichtig geführt.

Der Fall bewegt Deutschland: Am letzten Augustwochenende wurde am Rande des Christopher-Street-Days (CSD) in Münster ein junger trans* Mann brutal attackiert, weil er sich schützend vor Frauen gestellt hatte. Der 25-jährige wurde mit Faustschlägen zu Boden gestreckt, schlug unglücklich mit dem Kopf auf den Asphalt auf und erlag am 2. September im Krankenhaus seinen Verletzungen, wie unter anderem Queer.de berichtete. Am selben Tag nahm laut Medienberichten die Polizei einen 20-jährigen Tatverdächtigen fest. Er sitzt nun wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge in U-Haft.

Gewalttat auf dem CSD in Münster sorgt deutschlandweit für Entsetzen

Der Tod des jungen trans* Mannes sorgte für Entsetzen in Münster. Am Abend des 2. Septembers versammelten sich spontan mehrere Tausend Menschen, um ihre Trauer über diese Gewalttat zum Ausdruck zu bringen. Auf den Stufen des Rathauses wurde eine Gedenkstätte für Malte errichtet. Trauernde legten Blumen nieder und hinterließen Tafeln, auf denen Botschaften wie „Rest in Power“ geschrieben steht. Die Empörung um Maltes Tod erstreckt sich aber weit über Münster hinaus. Er fällt in eine Zeit, in der der digitale Hass auf queere Menschen dramatisch zunimmt.

Auch aus der Politik kamen Solidaritätsbekundungen. Den Nährboden für die Tat von Münster biete eine in den vergangenen Monaten stark angestiegene Feindlichkeit gegenüber Transpersonen, vor allem in den sozialen Medien, warnte etwa Die Linke in NRW. „Wenn trans* Personen ihre Existenz abgesprochen wird, wenn sie als Opfer des Nazi-Regimes unsichtbar gemacht werden, wenn sie entmenschlicht werden, dann hat das Folgen. Aus Worten werden Taten,“ heißt in einer Stellungnahme der Partei. Internetplattformen sollten in die Pflicht genommen werden, konsequent gegen Hass im Netz vorzugehen.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) schrieb am Samstag auf Instagram: „Der Täter dieses grausamen Hassverbrechens muss zügig zur Verantwortung gezogen werden.“ Sie unterstreicht: „Das ist kein Einzelfall. Das ist die traurige Folge von zunehmender Queerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft, die viel zu oft tödlich endet.“ Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich „fassungslos und endlich traurig“ angesichts der brutalen Gewalttat am Rande eines Christopher-Street-Days. „Solcher Hassgewalt müssen wir mit aller Härte entgegentreten“, bekräftigte sie auf Twitter.

Staatsanwaltschaft Münster spricht von „queerfeindlicher Gewalttat“

Es spricht tatsächlich vieles dafür, dass auch der Tatverdächtige aus Hass auf queere Menschen handelte. (Der Begriff queer meint alle Menschen, die nicht der heteronormativen Norm entsprechen. LGBTQIA+ wird synonym verwendet.) Er soll die Frauen, die Malte beschützen wollte, als „lesbische Huren“ beschimpft und bedroht haben. Die Staatsanwaltschaft in Münster geht daher von einem queerfeindlichen Hintergrund aus. „Wir ordnen den Fall nach Stand der Ermittlungen als queerfeindliche Gewalttat ein“, sagte Oberstaatsanwalt Dirk Ollech laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Der mutmaßliche Täter sei wegen Körperverletzung bereits vorbestraft.

Die Gewalttat von Münster verschärft die Debatte um Transfeindlichkeit, die bereits zuvor an Fahrt aufgenommen hatte. Sie begann im Frühjahr mit dem im Juni in Eckpunkten vorgestellten Selbstbestimmungsgesetz, das das in Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz von 1981 ersetzen soll und für viel Kritik von rechter und radikalfeministischer Seite sorgt. Spätestens seit dem Biologievortrag von Marie-Luise Vollbrecht, sind trans* Menschen wie Malte ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Maltes Tod führt drastisch vor Augen, wozu transfeindlicher Hass im Extremfall führen kann.

Queerer Verband warnt vor zunehmender Hasskriminalität

Trans- und homofeindliche Gewalt müsse im gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Das betonte am 3. September der Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD) René Mertens im WDR 5-Morgenecho. Nach Einschätzung des LSVD werden queerfeindliche Vorurteile durch soziale Medien verstärkt. Schon seit vielen Jahren gebe es in der Gesellschaft solche menschenfeindlichen Einstellungen, die durch die „Echokammern“ im Internet noch angeheizt würden, so Mertens. Das Internet trage dazu bei, dass „homophobe Sprüche und queerfeindliche Ideologien“ in Hass und Gewalt umschlagen. Sein Verband zähle inzwischen drei queerfeindliche Übergriffe pro Tag.

Im Interview mit dem WDR betont Mertens, der Angriff auf Malte sei „wirklich eine queerfeindliche Gewalttat“ gewesen. Es sei wichtig, dass die Polizei in Münster das auch so benenne, „was sie immer noch nicht tut.“ Die Gewalttat von Münster sei nur ein besonders krasser Fall gewesen. „Es gab auf zahlreichen CSDs immer wieder Übergriffe,“ sagt er und nennt Berlin, Jena und Bielefeld, wo „Menschen verprügelt“ und „Regenbogenflaggen zerrissen wurden.“ Es habe in den vergangenen Jahren zwar viele rechtliche und politische Fortschritte gegeben, aber bei den gesellschaftlichen Einstellungen und im Bildungsbereich sei noch viel zu tun. Queere Menschen bräuchten „die Solidarität der gesamten Gesellschaft“, appelliert Mertens.

Zum selben Thema äußerte sich LSBV-Sprecher Mertens erst kürzlich im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland. Er erklärt die „Welle des Hasses“ gegen queere Menschen mit deren zunehmender Sichtbarkeit: „Allein der Anblick einer Dragqueen, einer trans* Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann auch heute noch Gewalttäter:innen motivieren, brutal zuzuschlagen oder in virtuellen Räumen gegen LSBTI zu hetzen.“ Auch der Tatverdächtige von Münster soll Malte als trans* Mann erkannt und ihn mit „Du bist kein richtiger Mann“ beschimpft haben, bevor er auf ihn einprügelte, wie Queer.de berichtet.

Gewalttat von Münster: Wie Maltes Tod politisch instrumentalisiert wird

Über die Frage, inwiefern der Angriff auf Malte überhaupt als trans- beziehungsweise queerfeindliche Tat eingeordnet werden kann, wurde seit Bekanntwerden seines Todes heftig gestritten. Deutlich wurde zunächst das Bestreben, Transfeindlichkeit zunächst zu leugnen und die Tat als Gewalt gegen eine (biologische) Frau darzustellen, womit der verstorbene Malte postum misgendert wird. Hier tun sich insbesondere Accounts hervor, die den TERFs (transfeindliche Radikalfeministinnen) und Gender Criticals zuzuordnen sind.

Ein bekannter TERF-Account ordnet den Angriff auf Malte als Femizid ein und misgendert ihn damit als Frau.
Ein bekannter TERF-Account ordnet den Angirff auf Malte als Femizid ein und misgendert ihn damit als Frau. Tweets wie dieser wurden in großer Zahl abgesetzt. © Screenshot/Twitter/MontserratVaNo

Als bekannt wurde, dass der Tatverdächtige durchaus transfeindliche Motive zu erkennen gegeben haben soll, rückte dessen mutmaßliche Herkunft in den Vordergrund. Laut Informationen der BILD am Sonntag soll es sich um einen russischen Staatsbürger und abgelehnten Asylbewerber aus Tschetschenien handeln, der bereits hätte abgeschoben werden sollen. Dieser Umstand wird aktuell auf Twitter genutzt, um Stimmung gegen Menschen muslimischen Glaubens und Geflüchtete zu machen. Diese Accounts sind zumeist dem rechten Spektrum zuzuordnen.

Jürgen Braun, Bundestagsabgeordneter der AfD, instrumentalisiert die Gewalttat von Münster, um den politischen Gegner zu attackieren. Die Grünen seien letztlich für Maltes Tod verantwortlich.
Jürgen Braun, Bundestagsabgeordneter der AfD, instrumentalisiert die Gewalttat von Münster, um den politischen Gegner zu attackieren. Die Grünen seien letztlich für Maltes Tod verantwortlich. © Screenshot/Twitter/JuergenBraunAfD

Die Personen hinter diesen Accounts loben Regierungen wie die von Ungarn, Polen oder Russland, die beständig daran arbeiten, LGBTQIA+-Rechte abzubauen – wenn der mutmaßliche Täter einer queerfeindlichen Tat einen muslimischen Hintergrund hat oder Geflüchteter ist, ändern diese Leute aber sehr schnell nach außen ihre Meinung. Plötzlich setzen sie sich scheinbar für queere Menschen ein, agitieren aber tatsächlich gegen Geflüchtete. Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung erklärt diese perfide Strategie sehr anschaulich auf Belltower News.

Die Ermittlungsbehörden selbst halten sich bedeckt, was den Hintergrund des mutmaßlichen Täters angeht. Dessen Nationalität sei den Ermittlern bekannt, werde aber nicht genannt, sagte Oberstaatsanwalt Ollech laut dpa. Man sehe keinen Zusammenhang zwischen seiner Nationalität und der Tat.

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