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„Ich fühle mich hilflos“: Eine Notfallsanitäterin erzählt, was bei ihrem Job schiefläuft

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Von: Felicitas Breschendorf

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Notfallsanitäterin bei ihrem Einsatz.
Eine Notfallsanitäterin hilft bei einem Einsatz. (Symbolbild) © Kzenon / Imago

Pfleger:innen überlastet, Krankenhäuser überfüllt: Eine Notfallsanitäterin erzählt, warum sie sich gegen einen Job in Vollzeit entschieden hat.

Immer mehr Notfallretter:innen werfen ihren Job hin. Das „Bündnis pro Rettungsdienst“ hat Mitte Dezember 2022 vor einem Kollaps der Notfallrettung gewarnt, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete. In unserer Serie „Azubis Ausgefragt“ erzählt die Notfallretterin Berit von ihrer Ausbildung als Notfallsanitäterin – und was in dem Job ihrer Meinung nach gerade schiefläuft.

In der Notfallrettung gibt es zwei Ausbildungen: als Rettungssanitäterin und als Notfallsanitäterin. Die Ausbildung als Rettungssanitäterin ist eher ein Einstieg in den Rettungsdienst und die der Notfallsanitäterin eine vollständige Berufsausbildung. So heißt es auf der Seite der Rettungsdienstschule Schleswig-Holstein. Berit machte beides und entschied sich am Ende dazu, doch nicht Vollzeit in dem Beruf zu arbeiten. Die 24-Jährige ist mittlerweile nur nebenberuflich als Notfallsanitäterin im Einsatz und studiert parallel ein naturwissenschaftliches Studium. „Weil das aktuelle Gesundheitssystem nicht dazu in der Lage ist, allen Menschen gut helfen zu können“, sagt sie gegenüber BuzzFeed News DE.

Ausbildung zur/zum Rettungssanitäter:inAusbildung zur/zum Notfallsanitäter:in
Einstieg in den Rettungsdienst, ideal für Nebentätigkeitvollwertige Berufsausbildung
Krankenbeförderung, bei Bedarf auch med. NotfälleNotfallrettung, Patient:innenversorgung
Hauptschulabschluss oder BerufsausbildungMittlerer Schulabschluss / Hauptschulabschluss + Ausbildung
etwa 500 Stunden (Krankenhaus, Rettungswache, Schule)etwa 4500 Stunden (Krankenhaus, Rettungswache, Schule)

(Quelle: Deutsches Rotes Kreuz, Rettungsdienstschule Schleswig-Holstein)

Überlegst du gerade selbst, eine Ausbildung zu machen? Hier erzählt eine LKW-Fahrerin von ihrer Ausbildung.

Das Gesundheitssystem ist „total überlastet“, sagt die Notfallsanitäterin

Berit erzählt gegenüber BuzzFeed News DE von einem Einsatz als Notfallsanitäterin: Es ist mitten in der Nacht. Bei dem Ehepaar ist die eine Person pflegebedürftig, die andere sorgt für sie. Die zu pflegende Person hat Schmerzen. Berit geht mit dem Ehepaar die Optionen durch: Krankenhaus, Hausärzt:in, Fachärzt:in? Diese Entscheidung klingt einfach, in der Realität sieht es anders aus:

Ich fühle mich hilflos, wenn ich nicht helfen kann, weil das Gesundheitssystem gerade total überlastet ist – beispielsweise, weil Menschen keinen Facharzttermin bekommen oder der/die Hausärzt:in mit der Situation überfordert ist.

Berit, Notfallsanitäterin und Studentin

Oft komme es vor, dass der/die Hausärzt:in erst gar nicht erreichbar sei. Das kann auch der Grund sein, warum der Rettungsdienst überhaupt erst angerufen wurde. „Hausbesuche passen nicht in ihren eng getakteten Zeitplan.“ Berit muss in so einer Situation also weiter überlegen, was sie tun kann, um der Person zu helfen. „Medikamente geben und Patient:innen dann zu Hause lassen, dürfen wir ohne Notärzt:in nicht.“

Überfüllte Krankenhäuser belasten den Rettungsdienst

Auch sie ins Krankenhaus zu fahren, könne „die Situation der Patient:in nur verschlimmern, denn Krankenhäuser sind überfüllt und müssen Patient:innen nach Dringlichkeit behandeln.“ Der SPD-Politiker Orkan Özdemir äußerte sich vor Kurzem schockiert über die Zustände der Notaufnahme. Wenn das Krankenhaus dann noch zu weit weg sei und die Angehörigen nicht mehr mobil, sei laut Berit „die ungewohnte Umgebung“ des Krankenhauses ein Problem – „gerade für demente Patient:innen“.

In dem Fall des Ehepaars muss Berit und ihr Team wieder fahren. „Ich weiß dann, dass ich die Menschen in der miserablen Lage, aus der heraus sie angerufen haben, zurücklassen muss“. Auch könne der pflegenden Person oft nicht weitergeholfen werden, „weil sie überfordert ist“. Dabei sei ja genau der eigene Anspruch an eine Notfallsanitäterin: Menschen in Not zu helfen.

Die Notfallsanitäterin bemerkt den Pflegenotstand bei ihrer Arbeit

Wenn sie einer zu pflegenden Person nicht helfen kann, erlebt Berit den Pflegenotstand am eigenen Leib. Laut der Initiative „Pflegenot Deutschland“ fehlen hierzulande fast 150.000 Fachkräfte, „allein in der Altenpflege, um eine angemessene Betreuung zu gewährleisten“ (Stand 17. Januar 2023). „Die Pflegesituation hat sich nochmals stark verschlechtert“, sagt Berit. Viele Pfleger:innen berichten von erschreckenden Zuständen in Kliniken. In Krankenhäusern gibt es laut Berit zu wenige ambulanten Pflegeplätze oder sie seien zu teuer. All das sorge dafür, dass pflegende Personen immer öfter den Krankenwagen rufen müssen, „weil sie überfordert sind“.

Solche Situationen könnten laut Berit verhindert werden, wenn in die Pflege besser investiert würde. Wenn all die Systeme (Hausärzt:innen, Fachärzt:innen, Krankenhäuser) überlastet seien, muss laut Berit der Rettungsdienst einspringen. Das wiederum führe dazu, dass Notfallsanitäter:innen an ihre Grenzen kommen.

Azubis ausgefragt

In unserer Serie sprechen wir mit jungen Menschen über ihre Ausbildung. Was treibt sie an? Was fordert sie heraus? Wie sieht es mit Gehalt und Jobaussichten aus? Wovon träumen sie? Was macht ihnen Angst? Azubis geben Einblicke in ihren Beruf und verraten, was du dich schon immer gefragt hast.

Auch aus unserer Reihe „Azubis Ausgefragt“: Dinge, die du schon immer von einer angehenden Hebamme wissen wolltest.

Probleme des Rettungsdiensts: Fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten und wenig Freizeit

Um die Einsätze auszuführen, brauche man „eine gewisse Ruhe und Gelassenheit“, sagt Berit. „Das funktioniert aber nicht, wenn ich in meiner Freizeit ständig angerufen werde, ob ich nicht einspringen kann.“ Spontane Einsätze, bei denen sie von einer Schicht in die andere habe wechseln müssen, brachten teilweise auch Berits Schichtrhythmus durcheinander, wie sie sagt. Notfallsanitäter:innen sind nämlich rund um die Uhr im Einsatz. Sie arbeiten meist in einer Früh-, Spät- oder Nachtschicht. Die Schicht plötzlich zu wechseln, sei für den Köper, der sich dann schnell umstellen muss, nicht einfach.

Ein weiterer Grund, warum sich Berit entschieden hat, nicht mehr Vollzeit als Notfallsanitäterin zu arbeiten, seien fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten. Möglich sei eine Weiterbildung aktuell nur durch ein Medizinstudium. „Das habe ich aus denselben Gründen nicht gewählt, aus denen ich nicht weiter Rettungsdienst fahren möchte“, also wegen der Überlastung des Gesundheitssystems.

Aber auch die Bezahlung von Notfallsanitäter:innen ist, wie es scheint, kein Argument für die Ausbildung: Zu Beginn ihrer Ausbildung habe sie netto 850 Euro mit Zuschlägen verdient, am Ende 1200 Euro. Ausgelernt erhielt sie nach eigenen Angaben 2400 Euro netto. „Ich als Alleinstehende kann davon prima leben. Davon eine Familie in einer Großstadt zu ernähren, ist schwierig“, sagt Berit gegenüber BuzzFeed News DE.

Die Arbeit als Notfallsanitäterin ist „psychisch viel zu belastend“

Nebenberuflich übt Berit ihren Job weiterhin gerne aus. Sie habe daran „immer noch unheimliche Freude“. „Besonders dann, wenn ich Menschen helfen kann“, sagt sie gegenüber BuzzFeed News DE. „Trotz aller Schwierigkeiten ist es ein unglaublich belohnender Beruf, in dem man schnell viel für Patient:innen erreichen kann und im Alltag viel Abwechslung hat.“ Vollzeit ein Leben lang als Notfallsanitäter:in zu arbeiten, möchte Berit niemandem empfehlen. „Dafür ist der Beruf körperlich und unter den jetzigen Bedingungen psychisch viel zu belastend.“

Falls du dich trotzdem für den Beruf als Notfallsanitäter:in entscheiden solltest, brauchst du laut Berit vor allem vier Eigenschaften: „Empathie, Geduld, Reaktionsvermögen und Spaß an der Arbeit“. Durch die aktuelle Situation des Gesundheitssystems sei außerdem „eine gewisse Resilienz dem System gegenüber“ notwendig. Berit verrät außerdem, was ihr in schwierigen Situationen hilft: „Der Austausch mit meinen Kolleg:innen.“

Für die Zukunft wünscht sich Berit mehr Investitionen in das gesamte Gesundheitssystem. „Die Politik sollte nicht aus den Augen verlieren, dass der Rettungsdienst wichtig ist, um Patient:innen schnell in Notfällen helfen zu können“, sagt sie. „Das Gesundheitssystem muss menschenorientierter werden.“

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