Doch Jenny ist nicht alleine hier: Sängerin Casey und Musikproduzent Freddy sind schon stundenlang mit ihr im Studio – das verraten teils leere und halbvolle Club-Mate- und Paulaner-Spezi-Flaschen, die sich im Raum verteilen. Aus den Boxen dröhnen Gitarrensounds, Freddy sitzt vor dem PC und wippt mit seinem Kopf im Rhythmus, seine dunkelblonden Locken hüpfen im Takt. Er ist sehr konzentriert. Als Jenny die Melodie hört, die Freddy zusammengebastelt hatte, sagt sie grinsend: „Ich bekomme hier richtige ‚Zombie-Vibes‘, von The Cranberries.“ Tatsächlich fallen einige düstere Gitarren-Elemente auf, die an den bekannten Song der irischen Band aus dem Jahr 1994 erinnern.
Jenny ist 24 Jahre alt und wohnt noch nicht lange in Berlin. Im Sommer 2021 entschied sie sich schließlich dazu, für die Karriere von Mannheim in die Hauptstadt zu ziehen. Das große Interesse an Musik habe Jenny aber schon seit ihrer Kindheit – und das, obwohl sie aus einer eher unmusikalischen Familie stamme. Gitarre habe sie als neunjähriges Mädchen in einem örtlichen Mandolinenorchester gelernt, mit zwölf Jahren habe sie angefangen, ihre ersten Songs zu schreiben. Fragt man sie nach ihrem Vorbild, kommt die Antwort: „Taylor Swift – schon immer.“
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Noch während ihres Studiums in Mannheim, wo sie Gesang und Songwriting studierte, arbeitete sie an eigener Musik. 2021 beschloss sie unter dem Namen PENNY X ihr Soloprojekt zu starten, was sie nun weiterverfolgt – in Berlin, dem großen und vielfältigen Berlin. Den Namen habe sie in erster Linie gewählt, weil er sich auf ihren Vornamen Jenny zurückführen lässt. „Und das X ist wie eine Variable, also wie in Mathe, weil ich verschiedene Seiten habe, was man auch in meiner Musik hört, und ich mich konstant verändere“, sagt Jenny. Seit sie nach Berlin gezogen ist, nimmt sie an vielen Songwriting-Sessions teil und lernt immer mehr Produzent:innen, Songwriter:innen sowie Künstler:innen kennen, darunter eben auch Casey und Freddy.
Die drei haben sich an diesem Dienstag im Studio verabredet, um zusammen an einem neuen Song zu arbeiten. Im Juli 2022 kam PENNY X’ erste Single „Faster“ raus. Ende August folgte dann der Electropop-Song „Obsessed“, im Oktober die dritte Single „Stupid“ und im Dezember schließlich die Ballade „The one (that got away)“. Ins Jahr 2023 startete sie Mitte Januar mit dem Release ihrer fünften Single namens „Back to your dad’s“ zu der auch ihr erstes Musikvideo produziert wurde (siehe unten).
Mit mehr als 7000 monatlichen Hörer:innen auf Spotify hat sie sich schon eine kleine Fanbase aufgebaut. Am 24. Februar 2023 erscheint dann unter dem Namen „How (not) to get over your X“ ihre erste EP mit insgesamt sechs Titeln. „Single Song“ wird zusammen mit den bereits veröffentlichten Liedern am selben Tag erscheinen und das Mini-Album komplett machen. Damit eine EP aber finanziell überhaupt möglich ist, bekommt sie Unterstützung von der „Initiative Musik“, die im Auftrag der Bundesregierung Künstler:innen in Deutschland fördert, wie sie erzählt.
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Während Freddy weiter an der Melodie des Songs tüftelt, sind Jenny und Casey am Tisch dahinter mit dem Songwriting beschäftigt. Casey tippt Ideen an ihrem Laptop nieder, Jenny auf ihrem Handy. Sie diskutieren über Wörter und Sätze. Ganz langsam singen sie einander den Text vor. Bei der Suche nach einem Wort, das sich auf „street“ reimt, hat Casey einen Einfall: „Concrete!“, ruft sie. „Ja, das ist doch geil“, sagt Jenny und gibt ihr ein High-Five. Sie legt ihre Ed-Hardy-Kappe auf den Tisch, lehnt sich auf dem Stuhl zurück und fährt sich durch ihre langen schwarzen Haare. Diesmal ist Casey die Co-Writerin in der Session, das wechsele sich immer ab, erzählt Jenny. Der Workflow sei jedoch verschieden, es gebe keinen festen Ablauf.
An diesem Dienstag hätten sie erst Akkorde auf der Gitarre gesucht, die Melodie entwickelt und sich anschließend ein Thema mit einem passenden Text überlegt – ein Titel steht zwar noch aus, doch eine bestimmte Story hat Jenny im Kopf. „Es geht darum, sich verloren zu fühlen und nicht dort zu sein, wo man hingehört – eher metaphorisch auf das Leben bezogen“, erklärt sie.
Es soll ein ruhigerer Popsong werden, an dem die drei stundenlang tüfteln. Zwischendurch gehen sie etwas essen, plaudern über alltägliche Dinge, oder beschäftigen sich mit Themen wie der Wohnungssuche, erzählt Freddy, der an diesem Dienstag während der Session noch eine Zusage bekommen hatte. „Das ist aber auch okay so, dann arbeiten wir eben länger“, sagt Casey. Es habe auch schon Sessions gegeben, die bis morgens um sieben Uhr gingen.
„Kann ich mal hören, was ihr schon so habt?“, fragt Freddy und dreht sich auf seinem Bürostuhl um. Jenny nickt und fängt an zu singen, während die Musik im Hintergrund läuft. Die Melodie klingt für Popverhältnisse eher düster und bekommt durch Gitarrenelemente noch eine gewisse rockige Note. Passend zu Jennys Gesang: Ihre Stimme ist leicht rauchig und tief, aber dennoch klar und harmonisch.
„I see her dancing on her own with her feet tied to the ground, I’m afraid she’ll never know, she don’t belong here”, singt Jenny im Refrain. Freddy, der mit geschlossenen Augen im Takt nickt, ist besonders angetan. „Also den Verse finde ich sehr geil – richtig coole Geschichte, man möchte direkt mehr wissen“, sagt er. Jenny und Casey grinsen und klatschen sich ab.
Es geht ans Aufnehmen. Jenny zieht die Kopfhörer auf, mit einer Hand umklammert sie den Mikrofonständer, mit der anderen hält sie das Handy und liest den Text ab. Ihr buntes Perlenarmband, auf dem das Wort ‚Love‘ zu lesen ist, rutscht ihr das Handgelenk herunter. Freddy drückt auf ‚Play‘ und Jenny fängt an, Zeile für Zeile bis zum Refrain zu singen. Dreimal, viermal, fünfmal, doch so ganz zufrieden ist sie noch nicht. „Ich weiß nicht, die Stelle erinnert mich irgendwie an Amy MacDonald…“, sagt sie und schaut Freddy an.
„Du bekommst in einem Song Vibes von The Cranberries und Amy MacDonald, interessant“, antwortet er und lacht. Schließlich schlägt die britische Folk-Pop-Sängerin eine ganz andere Musikrichtung ein als die irische Rockband. Mit ein paar Klicks lassen sich Änderungswünsche aber direkt anpassen, bis alle – aber hauptsächlich Jenny – zufrieden sind. Dann ist es Zeit für eine kurze Pause im Hof des mehrstöckigen Gebäudes.
Obwohl das Projekt PENNY X noch in der Anfangsphase ist und sie erst fünf Titel veröffentlicht hat, weiß Jenny ganz genau, wo sie hinwill. Ihr großes Ziel sei es, langfristig von der Musik leben zu können, eigene Konzert-Touren zu spielen und Songs zu schreiben – für ihr Solo-Projekt und für andere Künstler:innen. „Ich schreib gern Songs, das ist das, was ich am allerliebsten mache“, sagt Jenny, während sie aus ihrer beigefarbenen Handtasche eine Schachtel Camel plus Feuerzeug zieht und sich eine Zigarette anzündet.
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Doch bis es so weit ist, gibt es noch eine Menge zu tun. Da sie eine unabhängige Musikerin ist, kümmert sich die 24-Jährige derzeit um alles selbst. Wird ein neuer Song veröffentlicht, postet sie ihn auf allen Social-Media-Kanälen – Instagram und TikTok seien besonders wichtig – schickt diesen an Blogs und Radiosender. Wenn sie Glück hat, wird er dort gespielt und erreicht dadurch wieder mehr Menschen. Hier gilt: je mehr Beziehungen, desto besser.
„Die Musik ist ein absolutes Connection-Business“, sagt Jenny. Besonders in Berlin gebe es viele Möglichkeiten, neue Leute kennenzulernen und sich weiterzuentwickeln. Das kann auch Freddy bestätigen: „Die Stadt ist inspirierend, besonders künstlerisch – viel Szene, viel Kultur – das färbt dann auch auf das Schöpferische ab.“
Inzwischen ist es 20 Uhr, draußen wird es dunkel. Im Studio nimmt die Konzentration langsam ab. „Ich muss mal raus“, sagt Jenny, „kommt ihr mit?“ Casey nickt, Freddy schlägt vor, etwas essen zu gehen. Und so lassen die drei alles liegen, um nach dem Abendessen dort wieder anzufangen, wo sie aufgehört haben. Dass die Session noch bis spät in die Nacht gehen wird, wissen sie zu dem Zeitpunkt nicht.
Von Alina Schröder