Eine traumatische Erfahrung bei seiner medizinischen Versorgung musste auch dieser Affenpocken-Infizierte machen – „unwürdig, die Krankheit so ertragen zu müssen“.
Neben zahlreichen „Gute Besserungswünschen“ an den Nachwuchs, muss sich Özdemir unter dem Hashtag #medizinbrennt nun auch viel Kritik anhören. „Wie kann man als Politiker so ahnungslos über die Situation in der deutschen pädiatrischen Versorgung sein? So sieht es in nahezu allen Ambulanzen und Stationen im Land aus. Das ist nicht das Krankenhaus, was scheitert, sondern das System“, schreibt ein Intensivpfleger. Ein anderer twittert: „Stellt Euch jetzt mal vor, ihr kennt keinen befreundeten Arzt...“
„Bin schockiert darüber, dass Sie schockiert sind“, twittert eine weitere Userin. Als Politiker sei es wirklich an der Zeit, sich mal mit der Situation im Gesundheitswesen zu befassen, meint sie. Sie wirft dem SPD-Abgeordneten sogar vor, sich um die Zustände in deutschen Kliniken nicht zu scheren, weil er „sich im Notfall privat behelfen“ könne. Auch sie verweist noch einmal auf den Hashtag #Medizinbrennt.
Eine Krankenpflegerin, die auf Twitter als „SchwesterUnbequem“ unterwegs ist, sagt Özdemir „ganz unemotional“: „Willkommen im Pflegenotstand! Da kann das Personal nichts für. Es ist kein Mythos oder Fake News, dass wir über den Anschlag arbeiten. Habe sie nichts von der Berliner Krankenhaus-Bewegung mitbekommen?“ Die Berliner Krankenhaus-Bewegung ist ein Zusammenschluss von Beschäftigten der Charité, Vivantes sowie der Vivantes-Tochtergesellschaften, die seit 2021 für bessere Arbeitsbedingungen und mehr ausgeruhtes und qualifiziertes Personal in Berlin kämpft.
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Das St. Joseph Krankenhaus in Berlin gehört nicht zur Charité oder Vivantes, sondern zum Elisabeth Vinzenz Verbund, ein christlicher Verbund des Gesundheits- und Sozialwesens mit 13 Krankenhäusern und etwa 10.000 Mitarbeitenden. Auf Anfrage von BuzzFeed News DE sagt eine Sprecherin des St. Joseph Krankenhauses, man bedauere sehr, dass Orkan Özdemir so eine schlechte Erfahrung habe machen müssen.
„Die teils sehr polemische Kritik an Herrn Özdemir nützt nichts, denn sie ändert nichts an der Situation, die er erlebt hat – und die sehr viele Menschen erleben, wenn sie eine Notaufnahme aufsuchen. Vielleicht ist das der Auftakt für eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die wirklich zu Verbesserungen führt.“ Die Kolleg:innen in der Notfallmedizin seien schließlich mit Leidenschaft bei der Arbeit – wünschten sich aber bessere Rahmenbedingungen, um diese auszuüben.
Allgemein müssten Menschen in allen Notaufnahmen Deutschlands lange warten. „Die Notfallmedizin ist personell und finanziell nicht ausreichend ausgestattet, um den hohen Anforderungen gewachsen zu sein“, sagt uns die Krankenhaus-Sprecherin. Natürlich komme es da zu kaum tragbaren Wartezeiten. „Es gab schon viele Hilferufe, das politisch zu ändern – die haben aber nicht zu wesentlichen Veränderungen geführt.“ Hinzu komme, dass die Pandemie im Krankenhaus nicht vorbei sei und immer wieder Mitarbeitende länger ausfallen würden.
Laut dem Chefarzt der Notaufnahme im St. Joseph Krankenhaus Wolfgang Stahl gebe es noch einen weiteren Grund, warum Notaufnahmen am Limit seien. „Eigentlich sind Notaufnahmen für Notfälle gedacht: ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall, Verletzungen nach einem schweren Unfall werden dort zum Beispiel schnell behandelt. Mit weniger schwerwiegenden Erkrankungen sollte man abends, am Wochenende und an Feiertagen die zentrale Nummer der kassenärztlichen Vereinigung - 116117 - anrufen.“
Dort erfahre man, welche Praxis in der Nähe Notdienst habe, wohin man sich also wenden könne. Hier wäre auch Herr Özdemir mit seinem Kind besser bedient gewesen, glaubt die Sprecherin des St. Joseph Krankenhauses. „Es kommt leider vor, dass sich kleinere Beschwerden während der langen Wartezeit in einer Notaufnahme verschlimmern. Das kann verhindert werden, wenn man sich an die nächstgelegene Praxis wendet, die Notdienst hat und dort gegebenenfalls früher behandelt wird.“
„Personelle Unterbesetzung in der Krankenversorgung kann gravierende, sogar lebensgefährliche Folgen haben“, schreibt die Berliner Krankenhaus-Bewegung auf ihrer Website. Nicht nur für Patient:innen, sondern auch für Ärzt:innen, von denen immer mehr die Lust am Job verlieren.