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SPD-Politiker schockiert über Situation in Berliner Notaufnahme – „willkommen im Pflegenotstand“

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Von: Jana Stäbener

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Auf Twitter entrüstet sich Politiker Orkan Özdemir über die Situation in einer Berliner Notaufnahme. „Bin schockiert darüber, dass Sie schockiert sind“, antworten ihm Pflegekräfte.

Der SPD-Politiker Orkan Özdemir aus Berlin ließ seine Twitter-Follower:innen live an einem Besuch in einer Berliner Notaufnahme teilhaben. An seinem Tweet wird deutlich, wie sehr er sich über die Situation in der Klinik ärgert. „Absolut katastrophale Bedingungen. Ohne Worte“, twittert er. Neben reger Anteilnahme muss sich der Berliner Abgeordnete auf Twitter jetzt aber auch den Vorwurf anhören, dass er als Politiker wohl „ahnungslos“ sei, was die erschreckenden Zustände in Kliniken anbelangt, über die Pfleger:innen schon lange berichten.

Orkan Özdemir (SPD) erlebt in Berliner Klinik „absolutes Chaos und Überforderung“

Özdemir schreibt am Sonntagabend, 26. September, er musste mit seinem Kind, das Fieber hatte, in die Notaufnahme. Dort habe „absolutes Chaos und Überforderung“ geherrscht. Nach über drei Stunden, in denen sein Kind nicht formal aufgenommen wurde und man kein:e Ärzt:in oder eine:n Pfleger:in gesprochen habe, sei er zu einem befreundeten Arzt nach Hause gefahren. „Kannste dir nicht ausdenken“, ergänzt Özdemir in seinem Tweet.

Er habe dort auch eine Frau gesehen, die erst weggeschickt worden sei und dann mit dem Krankenwagen wieder eingeliefert wurde. Ihrem Mann habe er seine Visitenkarte gegeben und Unterstützung zugesichert, „falls er rechtlich gegen das St. Joseph Krankenhaus in Berlin vorgehen will“. Er beendete seinen Thread (siehe Bild unten) mit der Aussage: „Absolut traumatische Erfahrung in diesem offensichtlich gescheiterten Krankenhaus. #NoGo“.

Screenshot Twitter @orkanoezdemir
Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir teilte auf Twitter eine „traumatische“ Erfahrung, die er in einem Berliner Krankenhaus machen musste. © Screenshot Twitter @orkanoezdemir

Eine traumatische Erfahrung bei seiner medizinischen Versorgung musste auch dieser Affenpocken-Infizierte machen – „unwürdig, die Krankheit so ertragen zu müssen“.

Auf Twitter kritisieren viele die „Ahnungslosigkeit“ des SPD-Politikers Orkan Özdemir

Neben zahlreichen „Gute Besserungswünschen“ an den Nachwuchs, muss sich Özdemir unter dem Hashtag #medizinbrennt nun auch viel Kritik anhören. „Wie kann man als Politiker so ahnungslos über die Situation in der deutschen pädiatrischen Versorgung sein? So sieht es in nahezu allen Ambulanzen und Stationen im Land aus. Das ist nicht das Krankenhaus, was scheitert, sondern das System“, schreibt ein Intensivpfleger. Ein anderer twittert: „Stellt Euch jetzt mal vor, ihr kennt keinen befreundeten Arzt...“

„Bin schockiert darüber, dass Sie schockiert sind“, twittert eine weitere Userin. Als Politiker sei es wirklich an der Zeit, sich mal mit der Situation im Gesundheitswesen zu befassen, meint sie. Sie wirft dem SPD-Abgeordneten sogar vor, sich um die Zustände in deutschen Kliniken nicht zu scheren, weil er „sich im Notfall privat behelfen“ könne. Auch sie verweist noch einmal auf den Hashtag #Medizinbrennt.

Eine Krankenpflegerin, die auf Twitter als „SchwesterUnbequem“ unterwegs ist, sagt Özdemir „ganz unemotional“: „Willkommen im Pflegenotstand! Da kann das Personal nichts für. Es ist kein Mythos oder Fake News, dass wir über den Anschlag arbeiten. Habe sie nichts von der Berliner Krankenhaus-Bewegung mitbekommen?“ Die Berliner Krankenhaus-Bewegung ist ein Zusammenschluss von Beschäftigten der Charité, Vivantes sowie der Vivantes-Tochtergesellschaften, die seit 2021 für bessere Arbeitsbedingungen und mehr ausgeruhtes und qualifiziertes Personal in Berlin kämpft.

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St. Joseph Krankenhaus äußert sich zu Vorfall: „Polemische Kritik an Herrn Özdemir nützt nichts“

Das St. Joseph Krankenhaus in Berlin gehört nicht zur Charité oder Vivantes, sondern zum Elisabeth Vinzenz Verbund, ein christlicher Verbund des Gesundheits- und Sozialwesens mit 13 Krankenhäusern und etwa 10.000 Mitarbeitenden. Auf Anfrage von BuzzFeed News DE sagt eine Sprecherin des St. Joseph Krankenhauses, man bedauere sehr, dass Orkan Özdemir so eine schlechte Erfahrung habe machen müssen.

„Die teils sehr polemische Kritik an Herrn Özdemir nützt nichts, denn sie ändert nichts an der Situation, die er erlebt hat – und die sehr viele Menschen erleben, wenn sie eine Notaufnahme aufsuchen. Vielleicht ist das der Auftakt für eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die wirklich zu Verbesserungen führt.“ Die Kolleg:innen in der Notfallmedizin seien schließlich mit Leidenschaft bei der Arbeit – wünschten sich aber bessere Rahmenbedingungen, um diese auszuüben.

Allgemein müssten Menschen in allen Notaufnahmen Deutschlands lange warten. „Die Notfallmedizin ist personell und finanziell nicht ausreichend ausgestattet, um den hohen Anforderungen gewachsen zu sein“, sagt uns die Krankenhaus-Sprecherin. Natürlich komme es da zu kaum tragbaren Wartezeiten. „Es gab schon viele Hilferufe, das politisch zu ändern – die haben aber nicht zu wesentlichen Veränderungen geführt.“ Hinzu komme, dass die Pandemie im Krankenhaus nicht vorbei sei und immer wieder Mitarbeitende länger ausfallen würden.

In der aktuellen Situation sei es umso wichtiger, dass „Notaufnahmen für Notfälle gedacht“ sind

Laut dem Chefarzt der Notaufnahme im St. Joseph Krankenhaus Wolfgang Stahl gebe es noch einen weiteren Grund, warum Notaufnahmen am Limit seien. „Eigentlich sind Notaufnahmen für Notfälle gedacht: ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall, Verletzungen nach einem schweren Unfall werden dort zum Beispiel schnell behandelt. Mit weniger schwerwiegenden Erkrankungen sollte man abends, am Wochenende und an Feiertagen die zentrale Nummer der kassenärztlichen Vereinigung - 116117 - anrufen.“

Dort erfahre man, welche Praxis in der Nähe Notdienst habe, wohin man sich also wenden könne. Hier wäre auch Herr Özdemir mit seinem Kind besser bedient gewesen, glaubt die Sprecherin des St. Joseph Krankenhauses. „Es kommt leider vor, dass sich kleinere Beschwerden während der langen Wartezeit in einer Notaufnahme verschlimmern. Das kann verhindert werden, wenn man sich an die nächstgelegene Praxis wendet, die Notdienst hat und dort gegebenenfalls früher behandelt wird.“

„Personelle Unterbesetzung in der Krankenversorgung kann gravierende, sogar lebensgefährliche Folgen haben“, schreibt die Berliner Krankenhaus-Bewegung auf ihrer Website. Nicht nur für Patient:innen, sondern auch für Ärzt:innen, von denen immer mehr die Lust am Job verlieren.

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