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Pilotprojekt zum Drug-Checking startet in Berlin

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Von: Michael Schmucker

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Party in einem Club.
Seit 2018 laufen die Planungen an dem Projekt „Drug-Checking“. (Symbolbild) © Imago/Westend61

Überdosierungen sollen durch das neue Drug-Checking-Projekt in Berlin vorgebeugt werden. Die Unterstützung fällt unterschiedlich aus.

Fast fünf Jahre Planung, nun endlich soll es in Berlin losgehen: Drug-Checking in Berlin. Ab März können Drogenkonsument:innen an mehreren Stellen ihre illegalen Substanzen auf Verunreinigungen, Beimischungen und Zusammensetzung hin überprüfen lassen – kostenfrei und anonym. Das Pilotprojekt könnte daraufhin in mehreren großen Städten in Deutschland etabliert werden. Doch warum braucht es das überhaupt? Und wie sinnvoll ist das Vorhaben?

Seit 2018 laufen die Planungen an dem Projekt „Drug-Checking“ (kurz DC), zwischendurch fehlte es am Geld, jetzt sind jährlich rund 200.000 Euro fest im Haushalt der Berliner Gesundheitsverwaltung eingeplant. Eine jener künftigen Anlaufstellen ist die Schwulenberatung Berlin. Das Team ist bestens darauf vorbereitet, so Suchtberater Conor Toomey, der gegenüber BuzzFeed News von Ippen.Media die Wichtigkeit des Projekts betont: „Neben anderen Angeboten der Drogen- und Suchthilfe soll das Drug-Checking ein Beitrag zur Gesundheitserhaltung und zur sozialen Integrität von Drogenkonsument:innen leisten.“

Überdosierungen und ungewollte Intoxikationen sollen vorgebeugt werden. Die Reflexion der Konsumwirkung und des individuellen Risikos sollen angeregt werden. Schließlich sollen bisher schwer zu erreichende Drogenkonsument:innen durch das Hilfesystem erreicht werden und der frühzeitige Zugang zu Angeboten der professionellen Drogen- und Suchthilfe ermöglicht werden, sagt Toomey.

Grüne und FDP befürworten das Drug-Checking-Projekt – AfD klar dagegen

Die Drug-Checking-Sprechstunden werden dezentral an drei Standorten voraussichtlich in Kreuzberg, Neukölln und Charlottenburg oder Schöneberg durchgeführt. Vorbilder sind ähnliche Einrichtungen in Wien und Zürich, in Deutschland hat das Projekt in dieser Form Modellcharakter. Bisher gibt es nur vereinzelt kleinere Aktionen in der Bundesrepublik, beispielsweise werden in Thüringen Substanzanalysen mittels Schnelltests bei Partys durch das Projekt SubCheck der Suchthilfe in Thüringen (SiT) durchgeführt. In Hessen untersucht das Projekt Legal High ebenso im kleinen Rahmen Inhaltsstoffe von Proben, die psychoaktive Substanzen enthalten.

Die Unterstützung für das Projekt fällt indes in Berlin unterschiedlich aus. Während sich die Grünen und die FDP dafür ausgesprochen haben, votiert die AfD klar dagegen. Die Berliner CDU ist bis heute gespalten, so Christian Zander, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Berlin gegenüber BuzzFeed News DE: „Nach meiner Einschätzung geht die Tendenz aber in die Richtung, die Möglichkeit des DC zu akzeptieren beziehungsweise zu unterstützen. Ich persönlich stehe dem offen gegenüber.“

Die Erfahrungen müssten dann zeigen, wie sich das Drug-Checking tatsächlich entwickelt. Dabei ist für Zander allerdings auch klar: „DC ist aus meiner Sicht weder eine Maßnahme im Kampf gegen Drogen, noch eine, die einen Anstieg des Konsums fördert. Zweck ist ja, Menschen, die eh Drogen nehmen würden, davor zu bewahren, verunreinigte oder zu hoch dosierte und damit noch sehr viel schädlichere Drogen zu konsumieren als sie es ohnehin sind.“ Dabei könnte sich der gesundheitspolitische Sprecher durchaus auch andere Strategien, ähnlich dem Kampf gegen den Tabakkonsum vorstellen. „Durch einen Mix aus Restriktionen und Aufklärung muss klar werden, dass jegliche Art von Drogen, auch Alltagsdrogen, erhebliche Gesundheitsschäden zur Folge haben können.“

„Der Zugang zu therapeutischen Maßnahmen ist nach wie vor wichtig“

Toomey von der Schwulenberatung Berlin gibt zu bedenken, dass Drug-Checking nur eine von vielen Maßnahmen ist, die zu einem besseren Gesundheitsschutz beim Drogengebrauch beitragen sollen. „Es ist vor allem eine Intervention, bei der Drogengebrauchende dazu motiviert werden, ihren Konsum zu reflektieren und wenn nötig zu verändern. Bei festgestelltem Beratungs- oder Hilfebedarf kann die Beratung intensiviert und Hilfe vorbereitet werden. Der Zugang zu therapeutischen Maßnahmen ist nach wie vor wichtig.“

Ein Kernaspekt bleibt also die Schadensminimierung, sodass vor allem auch verunreinigte Schwarzmarktprodukte leichter erkannt werden können. Wie wichtig das ist, zeigten jüngst immer wieder Kontrollen aus den Nachbarländern, so Toomey weiter: „So werden im europäischen Ausland regelmäßig Ecstasy-Tabletten analysiert, deren MDMA-Gehalt über 250 Milligramm liegt, das ist die zwei bis dreifache der üblichen Dosis. In Kokain-Pulvern wird neben dem Schmerzmittel Phenacetin und dem Antiwurmmittel Levamisol gelegentlich auch Lidocain gefunden, das beim intravenösen Kokainkonsum zu zahlreichen Todesfällen auch in Berlin geführt hat.“

Wie läuft das Drug-Checking eigentlich im Detail ab?

Wenn Drogen-Konsument:innen in die DC-Sprechstunde kommen, wird ihnen dort zunächst das Verfahren erklärt. Anschließend erhalten sie Gelegenheit, ihren Drogenkonsum zu reflektieren und ihre Fragen anzusprechen. Bei jedem Termin können bis zu drei Proben zur Analyse abgegeben werden. „Hierbei reichen einige Milligramm eines Pulvers oder einige Mikroliter einer Flüssigkeit aus. Bei einzeldosierten Anwendungsformen wie Tabletten, Kapseln oder Papiertrips (Filze) sollte nach Möglichkeit die gesamte Konsumeinheit abgegeben werden.“

Für jede Probe erhalten die Nutzer:innen dann einen Probencode. Nach Beendigung der Sprechstunde werden die gesammelten Proben anschließend in das Labor des Berliner Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin transportiert und dort analysiert. Liegt das Ergebnis vor, geht es zurück an die DC-Anbieter, wie beispielsweise die Schwulenberatung Berlin. Hier können die Drogen-Konsument:innen dann telefonisch oder persönlich das Ergebnis abfragen und gegebenenfalls noch einmal offen Fragen stellen. Der Vorgang dauert im Schnitt drei Tage – und genau hier liegt das Kernproblem.

Viele „planen ja nicht Tage im Voraus, wenn sie sich etwas einwerfen wollen“

„Das ist einfach völlig unrealistisch. Ich verstehe schon, dass die im Labor auch nicht zaubern können, aber die meisten meiner Freunde planen ja nicht Tage im Voraus, wenn sie sich etwas einwerfen wollen“, so Thomas gegenüber BuzzFeed News. Der Berliner arbeitet unter einem Künstlernamen als DJ und konsumiert seit rund zehn Jahren regelmäßig unterschiedliche Drogen und illegale Substanzen.

„Noch dazu, gerade in der Party-Community und unter schwulen Jungs findet sehr viel sehr spontan statt, beispielsweise auch bei Chemsex-Partys, die online klargemacht werden. Fast immer ist das eine Frage von ein paar Stunden, bevor sich genügend Männer dafür zusammenfinden – kaum einer plant das langfristig!“

Jene queeren Konsument:innen, die tatsächlich mit Vorlauf planen, achten laut Thomas sowieso bereits häufig darauf, woher sie ihre Substanzen bekommen und wie vertrauensvoll die Händler:innen sind. Allen anderen ginge es zumeist und dem schnellen Kick, eine Mischung aus Rausch, Party und Sex – eine dreitägige Planungsphase wirke da nahezu „lächerlich naiv“.

Drogenkonsum hat in der queeren Community „stark zugenommen“

Dass es gerade auch in der queeren Community ein Problem mit Drogen gibt, bestätigt auch Toomey: „In der Tat beobachten wir seit einigen Jahren, dass der Konsum stimulierender Substanzen im sexuellen Kontext vor allem – aber nicht nur – in der schwulen Community stark zugenommen hat. Wir machen die Erfahrung, dass Personen, die Chemsex praktizieren, sich häufig selbst nicht als Drogenkonsument:innen identifizieren. Aus diesem Grund finden sie nur schwer Zugang zur klassischen Drogenberatung. Das Wissen über Wirkungen und Nebenwirkungen der Substanzen sowie über Safer-Use-Praktiken ist häufig gering. Gekoppelt mit der erhöhten Verfügbarkeit von sehr potenten Substanzen mit deutlichen Risikoprofilen, zum Beispiel Crystal Meth, haben wir es mit einem Problem zu tun, das mit verschiedenen Unterstützungsangeboten angegangen werden muss.“

Die Hoffnung ist somit hoch, dass sich jetzt auch queere Menschen an die Schwulenberatung wenden, die dies bis heute noch nicht getan haben: „Beim Thema Chemsex kommen nun mal zwei Tabu-Themen zusammen: Sex und Drogenkonsum. Als Schwulenberatung möchten wir queere Personen einen sicheren Ort anbieten, um offen und vertrauensvoll über Sex und Substanzgebrauch zu sprechen.“

Mobiles Drug-Checking vorerst nicht vorgesehen

Klar bleibt aber eben auch, das Projekt Drug-Checking richtet sich vorerst nur an Personen, die eine Wartezeit akzeptieren können. „Mobiles Drug-Checking mit Vor-Ort Analyseangeboten zum Beispiel auf Partyveranstaltungen ist wegen des hohen materiellen und organisatorischen Aufwands in der Anfangsphase des Berliner Drug-Checking Projekts nicht vorgesehen.“

Für Zander von der CDU gibt es allerdings noch einen weiteren Vorteil, der langfristig positive Folgen haben kann: „Den Nutzen sehe ich auch darin, dass denjenigen, die die Drogen verkaufen, bewusst sein muss, dass objektiv überprüft werden kann, ob tatsächlich das verkauft wird, was sie anpreisen. Wer seine Abnehmer behalten möchte, muss also die gewünschte Qualität liefern. Schon der Umstand, dass DC besteht, kann also dazu beitragen, den Umlauf von minderwertigen oder sogar noch gesundheitsschädlicheren Substanzen zu reduzieren, was im Ergebnis auch spontanen Suchtgewohnheiten zu Gute kommt.“

Und auch Toomey sieht im Drug-Checking gerade auch für queere Konsument:innen weitere Vorteile: „Queere Personen sind in besonderem Maße Diskriminierungserfahrungen und Minderheitenstress ausgesetzt. Die Erfahrung beziehungsweise Erwartung von Diskriminierung bei der Gesundheits-Versorgung kann auch dazu führen, dass Präventions-Angebote nicht angenommen und medizinische Behandlungen hinausgezögert oder vermieden werden. Der Bedarf in der queeren Community ist daher um einiges höher als in der nicht-queeren Bevölkerung. Die am Drug-Checking beteiligten sozialen Träger weisen ein hohes Maß an Diversität auf.“ So verfügten alle Anbieter:innen über einen akzeptierenden Arbeitsansatz und eine zieloffene und wertschätzende Beratung und viel Erfahrung bei den Themen Sucht und queere Community.

Drug-Checking „könnte uns Queers weiter stigmatisieren“

„Ich halte das Angebot grundsätzlich für eine gute Idee, kann mir aber auch denken, dass viele Durchschnittsbürger, die weder mit Drogen oder der queeren Party-Szene etwas zu tun haben, verstört sein könnten, so nach dem Motto, der Staat hat jetzt aufgegeben. Ich denke, das könnte uns Queers weiter stigmatisieren“, so Thomas.

Vielleicht muss man sich in der Tat einen Moment mit dem Gedanken vertraut machen, warum staatlich finanzierte Projekte Menschen den Drogenkonsum erleichtern sollen. „Diese kritischen Gedanken kann ich nachvollziehen. Zwar wäre zu entgegnen, dass Menschen nicht dazu motiviert werden, Drogen zu konsumieren, nur weil die Qualität der Drogen nun getestet werden kann. Aber gerade im Zusammenhang mit der Debatte über die Legalisierung sogenannter weicher Drogen kann durchaus der Eindruck entstehen, dass Drogenkonsum zumindest staatlich erleichtert und geduldet oder gar verharmlost werden soll. Auch deshalb stehe ich der Freigabe von Cannabis übrigens skeptisch gegenüber“, so Zander weiter.

Toomey von der Schwulenberatung Berlin erwidert dem abschließend: „Der Konsum illegaler Substanzen ist eine Realität. Das Drug-Checking erfolgt nach klaren Standards durch anerkannte Träger der Drogen- und Suchthilfe. Es ist mit sachlicher Aufklärung und individuellen Beratungsangeboten verbunden. Dabei wird Drogenkonsum weder befördert noch verharmlost. Es wird darauf geachtet, dass bei der Mitteilung von Ergebnissen kein falsches Sicherheitsgefühl erzeugt wird. Studien zeigen, dass das Drug-Checking weder zur Steigerung des Konsums noch zur Erweiterung des Kreises der Drogenkonsument:innen führt. Im Gegenteil: Drug-Checking kann bei Unentschlossenen den Einstieg in den Konsum verhindern oder verzögern. Des Weiteren haben Warnungen vor gesundheitsgefährdenden Substanzen ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit und Akzeptanz, wenn sie im Rahmen von Drug-Checking-Angeboten ausgegeben werden.“

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