Warum viele die Netflix-Serie „Dahmer“ problematisch finden

Während TikToker:innen Jeffrey Dahmer wegen der Netflix Serie „Dahmer“ regelrecht romantisieren, sprechen Familienangehörige der Opfer von einer Retraumatisierung.
Seit die Netflix-Serie „Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer“ am 21. September ihre Premiere feierte, hat sie sich zu einer der beliebtesten Serien der Plattform entwickelt. Die erste Woche war erfolgreicher als die von „Squid Game“, das Berichten zufolge mehr als 196 Millionen Sehstunden verzeichnete. Auch auf TikTok ist die Serie allgegenwärtig. Mit dem Hashtag #Dahmer, der mehr als eine Milliarde Aufrufe erreicht hat, sind das Leben des echten Jeffrey Dahmer und die Darstellungen der Schauspieler:innen viral gegangen.
Die Netflix-Show über Dahmer wurde von dem Horror- und True-Crime-Liebhaber Ryan Murphy produziert. Besonders gelobt wurde dieser dafür, dass er verdeutlicht, wie die Polizei die 17 Opfer, die überwiegend Schwarz waren, so lange im Stich gelassen hat. Dabei ist es sehr schwierig, der Serie etwas Positives abzugewinnen, wenn man die vielen Kritikpunkte bedenkt. Dazu gehört auch die Darstellung von Dahmer, die den Serienmörder bei einigen Menschen beliebt gemacht hat.
Trotz seiner Beliebtheit ist das Genre des wahren Verbrechens von Grund auf problematisch. Wie Stephanie McNeal im Mai für BuzzFeed News-US schrieb, hat der „True-Crime-Industriekomplex“ die Nachfrage nach schlimmen und schockierenderen Fällen für den öffentlichen Konsum erhöht, unabhängig davon, was die Familien der Opfer wollen. Dies geschieht auch trotz des unvermeidlich verkürzten Diskurses in den sozialen Medien, der Morde romantisiert und kapitalisiert.
Netflix-Serie über Jeffrey Dahmer löst Diskussionen im Netz aus
Angehörige der Opfer sagen, die Serie lasse sie ihr Trauma wieder erleben. Die Serie wurde dahingehend gelobt, dass sie viel Zeit den Menschen, die Dahmer getötet hat, widmet. Der Schauspieler Evan Peters, der die Rolle von Dahmer spielt, sagte in einem Interview, dass Murphys „einzige Regel“ für die Serie darin bestand, dass sie „niemals aus der Sicht von Dahmer erzählt werden sollte“. Aber auch diejenigen, die von den grausamen Verbrechen des Serienmörders betroffen sind, fühlen sich nicht besonders repräsentiert.
Eine Szene, die Rita Isbells Konfrontation mit Dahmer vor Gericht nachstellt, nachdem er ihren Bruder Erroll Lindsey getötet hatte, wurde auf TikTok und Twitter für ihre Genauigkeit gelobt.
DaShawn Barnes ist die Schauspielerin, die Isbell spielt. Sie twitterte, dass sie „dankbar sei, dass die Opfer von Dahmer nicht nur nachträglich erwähnt wurden, sondern dass verstärkt der Fokus auf ihrer Menschlichkeit und ihren Perspektiven in dieser Serie lag.“
Isbell selbst sagte jedoch gegenüber Insider, dass sie nie Teil der Produktion war oder von den Macher:innen der Serie kontaktiert wurde und dass die Familie auch kein Geld damit verdient habe. Isbell fügte hinzu, dass es sich beim Betrachten der genauen Nachbildung der Serie „so angefühlt hat, als würde man alles noch einmal erleben“.
„Wenn die Serie ihnen in irgendeiner Weise zugutekäme, würde sie sich nicht so hart und rücksichtslos anfühlen“, sagte sie gegenüber Insider und bezog sich dabei auf die Familien der Opfer. „Es ist traurig, dass sie aus dieser Tragödie nur Geld machen. Das ist einfach nur Gier.“
Eric Perry, Lindseys Cousin, twitterte, dass die Show „[die Familie] immer wieder traumatisiert“.
TikToker:innen schlagen Kapital aus den „Dahmer“-Inhalten
In jeder Ecke des Internets teilen Content-Creator Videos, die Dahmers Leben, seine Verbrechen und sein Vermächtnis anhand von Kindheitsvideos, Interviews und persönlichen Anekdoten analysieren. In den Kommentaren zu diesen Beiträgen auf TikTok diskutieren die Nutzer:innen, welche Elemente aus seinem Leben sie interessant finden.
„Eine Sache, die ich an ihm faszinierend fand, war, dass er vollkommen ehrlich war und nichts verleugnete“, sagte ein:e Nutzer:in. Einige Content-Creator erstellten Fan-Edits mit beliebten Liedern und Filmmaterial aus der Serie, die zu Kommentaren darüber anregen, wie heiß Peters in seiner Darstellung ist und sogar die Beziehungen zwischen Dahmer und den Menschen, die er tötet, romantisieren.
Deutsch: Die Leute machen romantische TikToks über einen Serienmörder und sein Opfer. Sie sind nicht „von Menschen, die man kennt, zu Menschen, die man nicht kennt“ übergegangen, es geht um einen Mörder und einen Mann, den er getötet hat. Mein Herz schlägt für die Familien der Opfer von Jeffrey Dahmer.
Einige Leute machen sich darüber lustig, wie schwer die Serie anzusehen ist, woraufhin andere sagten, dass sie noch grausamer hätte sein können.
Deutsch: Es gibt einen ganzen Trend von weißen Frauen auf TikTok, die sich darüber auslassen, wie „unbehelligt“ und „unbeeindruckt“ sie von der Dahmer-Serie auf Netflix waren. Wenn sie die Darstellung von abscheulichen gezielten Morden an LGBT und POC „nicht beunruhigend genug“ finden, dann stimmt etwas mit ihnen nicht.
Selbst wenn Netflix' Adaption der Dahmer-Geschichte ethisch einwandfrei und von den Familien seiner Opfer genehmigt worden wäre, hätte nichts die Content-Creator davon abgehalten, neue Wege zu finden, die Geschichte zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Inhalte zu lenken
Evan Peters zu seiner „Dahmer“-Rolle: Eines der „schwierigsten“ Dinge, die er je tun musste
Für Peters gibt es bereits Auszeichnungen, sowohl von Kritiker:innen als auch von Zuschauer:innen auf TikTok. In den Kommentaren eines Beitrags auf dem offiziellen TikTok-Konto von Netflix lobten die Fans alles, von seinem Akzent über sein Verhalten bis hin zur Präzision seiner Bewegungen in der Serie. Peters porträtiert häufig böse Menschen – in anderen von Murphy produzierten Serien hat er einen Schulschützen, einen Sektenführer und einen fiktiven Serienmörder gespielt – aber Dahmer zu verkörpern, so sagte er, war eines der „schwierigsten“ Dinge, die er je tun musste.
In der Netflix-Serie wird Dahmer von vernachlässigenden Eltern aufgezogen und von Tyrannen gequält. Wie Julie Fenwick für Vice schrieb, wirkt der Serienmörder einsam und unverstanden, so als ob er Menschen ermordet, damit sie ihn nicht verlassen können. Wenn ein begabter Schauspieler diese Rolle glaubhaft verkörpert und die soziale Unbeholfenheit gut darstellt, entwickelt das Publikum Empathie.
„Ernsthafte Frage: Stimmt etwas nicht mit mir, weil ich Jeffrey Dahmer in höchstem Maße bemitleidet habe?“, schrieb ein:e TikToker:in in einem Beitrag, der bereits mehrfach geteilt wurde. „Als sie Jeffrey umbrachten, hatte ich buchstäblich Tränen in den Augen.“
Die Leute haben (schon wieder) Durst nach einem Serienmörder
Tweets mit Screenshots von TikTok-Kommentaren, die nach Dahmer lechzen, gehen seit Wochen viral, aber die Menschen, die ihn romantisieren, fühlen sich nicht nur zu Peters hingezogen. Schon bevor Zac Efron 2019 in einem Netflix-Film Ted Bundy spielte, fühlten sich die Menschen zu Serienmördern hingezogen. Das hört nicht bei einer parasozialen Begierde auf.
Sheila Isenberg, Autorin von „Women Who Love Men Who Kill“, erklärte 2015 gegenüber CNN, dass sich manche Frauen in Mörder verlieben, weil sie behaupten, ihre „wahre“ gute Seite zu sehen. Charles Manson, die beiden Menendez-Brüder und das Hillside-Strangler-Duo sind allesamt verurteilte Mörder, die ihre Liebe fanden, während sie für ihre Verbrechen inhaftiert waren.
Es hat auch nicht geschadet, dass der Schauspieler, der Dahmer jetzt darstellt, talentiert und objektiv gutaussehend ist. TikToker:innen haben Szenen aus der Serie geteilt, in denen Peters tanzt und seine Muskeln zur Schau stellt. „Wurde Dahmer tatsächlich entführt oder hat Ryan Murphy sich das ausgedacht?“, fragte ein: TikToker:in. „Ich weiß, dass es in Dahmer um [einen] Serienmörder geht... aber die Kupplung Evan [Peters] hat mich mit dieser Szene überzeugt“, schrieb ein anderer.
Tweets darüber, dass der echte Dahmer „irgendwie heiß“ war und sie in seine Wohnung „gelockt“ haben könnte, gingen viral, sowohl auf Twitter als auch auf anderen Plattformen. Dahmer ist nicht der einzige Mörder, der zu Kannibalismus neigt und alle Fälle haben eine Sache gemeinsam, sie sind alle fürchterlich. Unabhängig davon, was Netflix mit der Serie bezwecken wollte, das Vermächtnis wird die Ablehnung der Angehörigen von Dahmers Opfern sein und die verstörende Art und Weise, wie sie in den sozialen Medien aufgenommen wurde.
Autorin ist Kelsey Weekman. Der Artikel erschien am 03. Oktober 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Mine Hacibekiroglu.