Queerfreundlichkeit in Europa: Warum ist Deutschland nur Mittelmaß?

Deutschland landet beim Thema Queerfreundlichkeit nur auf Platz 15 von 49. Warum sind wir nur Mittelmaß in Europa?
Die europäische Organisation ILGA präsentiert einmal im Jahr das aktuelle Ranking der queerfreundlichsten Länder in Europa – spannend dabei ist vor allem zu sehen, welche Entwicklungen einzelne Länder in den vergangenen Jahren durchgemacht haben. Eines fällt dabei mit Blick auf Deutschland sehr schnell auf: Die Bundesrepublik stagniert seit mehr als zehn Jahren nur im Mittelfeld.
Im jüngsten Ranking liegt Deutschland auf Platz 15 und konnte gerade einmal einen Punkt im Vergleich zum Vorjahr aufholen. Fortschritt sieht anders aus. Das meint auch die queerpolitische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „In den letzten 16 Jahren regierten die Konservativen der Union in verschiedenen Konstellationen. Fortschritt im Queerbereich kam zumeist erst auf Druck des Bundesverfassungsgerichts zustande. Es gibt einen großen gesellschaftlichen und gesetzlichen Reformstau!“
Queerfreundlichkeit: Frankreich hat Deutschland weit überholt
Die geringfügige Verbesserung im Ranking der 49 Länder gelang Deutschland so auch nur durch das Verbot der intersexuellen Genitalverstümmelung. Deutlichen Nachholbedarf sieht die ILGA in diversen Punkten, beispielsweise bei den Konversionstherapien – ein Verbot dieser unseriösen Heilungsangebote von Homosexualität existiert zwar seit Juni 2020, doch nur für Minderjährige. Frankreich ging da Anfang des Jahres weiter und verbot solche Methoden allumfassend – einer von mehreren Gründen, warum das Nachbarland Deutschland inzwischen längst überholt hat und aktuell auf Platz 7 steht.
Weitere kritische Aspekte in Deutschland sind die halbherzigen Verbesserungen des Blutspende-Verbots für homo- und bisexuelle Männer, gesundheitliche Versorgungslücken für queere Menschen oder auch die noch immer fehlende Umsetzung eines nationalen Aktionsplans. Die Bundesregierung will dazu im Sommer 2022 erste Details bekanntgeben, geplant ist eine bundesweite Förderung von Projekten und Aktionen, die sich explizit gegen Queerfeindlichkeit richten.
Auch in anderen Punkten sind uns mehrere europäische Länder weit voraus, beispielsweise wenn es um eine Gleichstellung des Abstammungsrechts für Kinder und Eltern in Regenbogenfamilien geht. Zudem kritisiert die ILGA auch, dass die gesetzliche Selbstbestimmung für LGBTQIA+-Menschen massiv ausgebaut werden müsse und die Tatsache, dass Deutschland viel zu wenig gegen Hassverbrechen und Gewalt gegenüber queeren Menschen tut.
Linke: Regierung „vernachlässigt das Soziale in den Programmen“
Vieler dieser Themenfelder will sich die Ampel-Koalition annehmen – realistisch wird vor Ende 2022 beziehungsweise 2023 allerdings keine wesentliche Verbesserung eintreten. Aber könnte es Deutschland mit der Umsetzung dieser politischen Konzepte vielleicht endlich raus aus der starren Mittelmäßigkeit schaffen? Kathrin Vogler von den Linken: „Sicherlich wird das einen positiven Einfluss auf das Ranking haben. Aber die LINKE kritisiert an den Vorhaben, dass sie das Soziale in den Programmen und Gesetzesvorhaben vernachlässigt. Den Ausbau des Diskriminierungsschutzes am Arbeitsplatz oder der Wohnungssuche, den Kampf gegen die Obdach- und Wohnungslosigkeit von queeren Jugendlichen. Das finden wir nicht in den Regierungsvorhaben. Der queere Fortschritt sollte auch bei denen ankommen, die über nur wenig finanzielle Ressourcen verfügen.“
Andere Länder scheinen hier Deutschland tatsächlich längst überholt zu haben. Ganz vorne im Ranking landeten Malta, Dänemark, Belgien, Norwegen und Luxemburg. Besonders hervorheben möchte die ILGA dabei die positive Entwicklung in jenen Ländern, in denen lange Zeit Stillstand herrschte: In Griechenland, Lettland, Litauen, Serbien, der Slowakei und Slowenien gibt es endlich positive gesetzgeberische Maßnahmen für die LGBTQIA+-Community.
Studie betrachtet Lage queerer Menschen anhand von 74 Kriterien
Die ILGA untersucht anhand 74 einzelner Kriterien die Lage von queeren Menschen in Europa. Die Schlusslichter im Ranking sind wie die Jahre zuvor auch Aserbaidschan, die Türkei und Armenien. Dabei stellt die ILGA auch immer wieder in anderen Erhebungen wie beispielsweise der Menschenrechtslage für LGBTQIA+ einen besorgniserregenden Trend fest: Während einige Länder immer engagierter für queere Gleichberechtigung kämpfen, entwickeln sich andere Länder rapide zurück. Negativ-Beispiel 2021 war so Großbritannien.
Doch was können wir insgesamt aus der aktuellen Stimmungslage mitnehmen? Vogler gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „Gesetze sind das Eine. Das Andere sind die gesellschaftliche Stimmung und die Einstellung. Da sind Symbole wie das Hissen von Regenbogenfahnen wichtig, aber wir müssen auch aktiv die Zivilgesellschaft in ihrem Engagement für Vielfalt unterstützen. Der Rechtsextremismus ist weiterhin stark, auch parlamentarisch. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu.“ Für die queerpolitische Sprecherin ist daher klar, dass es um ein gesamtgesellschaftliches Umdenken gehen sollte: „In einer Gesellschaft, wo Reiche und Superreiche noch reicher werden und Arme ärmer, wächst die Gefahr des Hasses auf Minderheiten. Da hilft keine noch so tolle Antidiskriminierungspolitik.“ (Autor: JHM Schmucker)