Queere Community streitet um Regenbogenflagge als LGBTQIA+-Symbol: Muss eine neue her?

Die Regenbogenflagge steht seit Jahrzehnten für die queere Community. Nun ist ein Streit darüber entbrannt, wie das LGBTQIA+-Symbol denn nun genau aussehen.
Die Regenbogenflagge – sie ist DAS Symbol der queeren Community und steht seit Jahrzehnten als Zeichen für alle LGBTQIA+-Menschen. Dabei schwelt seit längerem ein Streit innerhalb der Community darüber, welche Flagge es denn nun genau sein soll. Reicht die klassische Regenbogenflagge mit den sechs unterschiedlichen Farben aus oder sollte es inzwischen die Progressive-Flagge sein, die ein besonderes Augenmerk auf trans- und nicht-binäre Menschen legt?
Auf den Pride-Paraden in diesen Tagen sind beide Varianten vertreten, die Betreiber von Romeo, eine der größten Dating-Apps mit rund zwei Millionen homo– und bisexuellen Nutzern, stellten nun offiziell klar, dass sie an der klassischen Regenbogenflagge festhalten werden. Was wie ein einfaches Statement wirkt, birgt Sprengkraft in sich, weil sich gerade trans- und nicht-binäre Menschen angegriffen fühlen könnten, wie Gabriel_Nox Koenig, Referent*in für Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesverband Trans* e.V. gegenüber Buzzfeed News Deutschland erklärt: „Wird die Regenbogenflagge verwendet, ist letztlich nicht klar, ob die Lebensrealitäten von les-bi-schwulen BIPoC Personen sowie von BIPoC und weißen trans*, inter und nicht-binären Personen mitgedacht werden. Daher werden die Progressflagge und die erweiterte Progressflagge beliebter.“
„Man sieht die neue Flagge überall, und es fühlt sich bereits wie sozialer Druck an.“
Für das Unternehmen Romeo ist indes klar, dass viele Firmen in diesem Jahr vielleicht nur aus Gründen der politischen Korrektheit zur Progressive-Flagge greifen: „Man sieht die neue Flagge überall, und es fühlt sich bereits wie sozialer Druck an. Verständlicherweise will jeder in der Pride-Saison Solidarität zeigen und keinen Shitstorm riskieren. Da wir Teil der LGBT+ Gemeinschaft sind, ist dies ein wichtiges Thema für uns. Ist es wirklich Fortschritt, die neue Flagge zum Standard zu machen?“, so das Team von Romeo.
Zur besseren Einordnung hilft auch ein kurzer Blick in die Geschichte: Gilbert Baker entwarf die klassische Regenbogenflagge im Jahr 1978, nach der Ermordung des homosexuellen Stadtrats Harvey Milk aus San Francisco wurde sie zum Zeichen der weltweiten LGBTQIA+-Bewegung. Von der ersten Stunde an symbolisieren die sechs Farben dabei nicht einzelne Teile der Community, sondern stehen für allumfassende Themen wie Leben, Gesundheit, Harmonie oder Geist. Die Progressive-Flagge wurde 2018 dann von Daniel Quasar erfunden und soll explizit einzelne Teile der Community hervorheben.
Die Progressive-Flagge sehen viele kritisch: „völlig konträr“
Genau diesen Aspekt sehen nicht nur die App-Betreiber kritisch, sondern beispielsweise auch die LGB Alliance, eine Interessenvertretung für Lesben, Schwule und Bisexuelle, so Martina Haardt gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „Die Regenbogen-Flagge war und ist immer ein Symbol der Vielfalt. Die vermeintlich progressive Flagge dagegen ist identitär ausgerichtet, indem sie einzelne Gruppen hervorhebt und somit völlig konträr zur Aussage der ursprünglichen Regenbogen-Flagge ist, die nie einen Unterschied zwischen Menschen gemacht hat und mit der auch keine kommerziellen Interessen verbunden waren, wie jetzt mit der vermeintlich progressiven Flagge, die in Wirklichkeit ein Rückschritt ist.“ Haardt spielt dabei auf die Tatsache an, dass die Bildrechte an der Progressive-Flagge im Gegensatz zur Regenbogenflagge noch immer geschützt sind und eine Benutzung grundsätzlich auch jederzeit gebührenpflichtig werden könnte.
Spaltet die neue Flagge also die queere Community? Gabriel_Nox Koenig sieht das anders: „Diskriminierung innerhalb der LGBTQIA+-Communities ist ein Thema, das zu oft in den Hintergrund rückt. Dabei reißt Diskriminierung an dieser Stelle immer wieder tiefe Gräben. Die Verwendung der Progressflagge ist eine Möglichkeit, einen Beitrag dazu zu leisten, diese Gräben wieder zu schließen.“
„Das Hervorheben einer Gruppe kann von anderen als Ungleichheit empfunden werden.“
Das Team von Romeo gibt dabei noch einen anderen Punkt zu bedenken: „Das Hervorheben einer Gruppe kann von anderen als Ungleichheit empfunden werden. In Verbindung mit sozialem Druck kann dies dazu führen, dass Menschen verstummen und Misstrauen entsteht. Manche Trans*Menschen oder PoC wolle nicht herausgehoben werden. Sie wollen ganz einfach ein gleichberechtigter Teil unserer Community sein. Wir befürchten, dass die neue Flagge zu einer Spaltung führt und es noch schwieriger wird, Fortschritte zu erzielen. Wir glauben, dass wir die besten Chancen auf Fortschritt haben, wenn wir dies unter einer Flagge tun, die uns alle eint.“
Koenig vom Bundesverband Trans* hinterfragt dabei, um wessen Fortschritt es dabei konkret ginge: „Dass es die Progressflagge gibt, symbolisiert Fortschritte für die am stärksten marginalisierten Personen der LGBTQIA+-Communities: für trans*, inter und nicht-binäre BIPoC Personen. Die Flaggen schaffen Bewusstsein für diese Marginalisierungen, innerhalb und außerhalb der LGBTQIA+-Szenen. Repräsentation ist wichtig und hilft, Diskriminierung abzubauen. Daher entscheiden sich mehr und mehr Vereine, Organisationen und Initiativen für die Progressflagge.“ (Autor: JHM Schmucker)