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„Ein schwuler Tatort-Kommissar bewirkt mehr als hundert queere Filme“

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Von: Michael Schmucker

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In Jurys zur Film-Förderung finden sich nicht genug queere Menschen, findet ein Filmverleiher. Doch wie sinnvoll sind LGBTQIA+-Produktionen überhaupt?

Im Jahr 1987 erregte der erste schwule TV-Kuss in der deutschen Kultserie „Lindenstraße“ die Gemüter der Bundesrepublik – gut dreißig Jahre später regt das glücklicherweise fast niemanden mehr auf. Neben homosexuellen Charakteren dürfen inzwischen auch queere oder trans* Menschen selbstbewusst Einzug in unsere deutsche Filmwelt halten.

Alles wunderbar also? Nicht ganz, erklärte jüngst Björn Koll, Vorstand der Queeren Kulturstiftung und bis Ende 2022 für über 30 Jahre geschäftsführender Gesellschafter des LGBTI*-Filmverleihers Salzgeber. Gerade beim Thema Filmförderung in Deutschland gingen queere Produktionen nach wie vor beinahe immer leer aus, so der Vorwurf.

Verleihung DEUTSCHER SCHAUSPIELPREIS 2021 Preisträger ActOut und Queer Media Society Verleihung Deutscher Schauspielprei
Verleihung des Deutschen Schauspielpreis 2021: Die Preisträger damals „ActOut“ und „Queer Media Society“. © Eventpress/IMAGO

Vorwurf an Claudia Roth: Queere Menschen in Jurys nur in der zweiten Reihe

Zuständig für die Filmförderung ist das Amt der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) – im Jahr 2021 wurden so insgesamt laut Koll rund 314 Millionen Euro verteilt. Neben einigen festgelegten Aspekten entscheiden am Ende rund 100 Menschen in verschiedenen Jurys der Filmförderung darüber, welche Produktion gefördert wird und welche nicht. Turnusgemäß wurden diese Jurys Anfang 2023 für die kommenden Jahre neu besetzt und Kulturstaatsministerin Claudia Roth konnte dabei auf Vorschläge verschiedenster Verbände zurückgreifen.

Unter anderem schlug so auch die Queer Media Society zwölf Personen vor, doch nur fünf Menschen wurden laut Koll berufen, vier davon nur als Stellvertreter:innen. Laut Koll haben diese in der Regel „nichts zu tun und nichts zu entscheiden.“ Für den Filmexperten ist klar: „Die Entscheidung von Claudia Roth, die Vorschläge der Queer Media Society in die zweite Reihe – in der eben nichts entschieden wird – zu verbannen, ist eine weitere verpasste Chance für den deutschen Film.“

Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien widersprechen dem Vorwurf

Eine Sprecherin des BKM erklärte gegenüber BuzzFeed News DE dazu: „Bei dem Aufruf an die Fachverbände für die Amtsperiode ab 2023 wurde dezidiert um Vorschläge gebeten, die die diverse Gesellschaft in Deutschland abbilden. Nach Auswertung der eingereichten Vorschläge der Fachverbände wurde darauf geachtet, unter Berücksichtigung der fachlichen Qualifikation und Repräsentanz der Gewerke eine ausgewogene Auswahl der insgesamt 114 Mitglieder für 11 Jurys nach allen gesellschaftlichen Gruppen zusammenzustellen, beispielsweise auch ethnische Herkunft und Nationalität, soziale Herkunft, Alter, Geschlecht.“

Dabei widerspricht das BKM der Aussage, dass Stellvertreter:innen nicht zum Zuge kämen und führt als Beispiel die erste Sitzung der Jury Dokumentarfilm in diesem Jahr an. „Unter den regulär fünf Jurymitgliedern befanden sich vier stellvertretende Jurymitglieder, zwei davon wurden von der Queer Media Society vorgeschlagen.“

Mehr zum Thema: 13 Filme, die meinen Glauben in LGBTQ+-Repräsentation wiederhergestellt haben.

Filme mit queeren Themen müssen häufig ohne Förderung hergestellt werden

Ungereimtheiten scheint es auch mit Blick auf LGBTQIA+-Filme der letzten Zeit zu geben. Koll erklärt hier: „Warum mussten in den vergangenen Jahren die paar deutschen Filme mit queeren Themen wie ‚Futur Drei´, ‚Genderation‘, ‚Kokon´, ‚Neubau´ oder ganz aktuell ‚Drifter´und ‚Knochen und Namen´ prekär, das heißt ohne Förderung, hergestellt werden? Was passiert da in den Jury-Sitzungen und warum sind es immer wieder die queeren Stoffe, die aus welchen Gründen auch immer abgelehnt werden?“

Die Antwort seitens der Filmförderung dazu: „Es können nur Projekte gefördert werden, die bei den BKM auch zur Förderung eingereicht werden. Für drei der sechs von Herrn Koll beispielhaft genannten Projekte wurde jedoch kein Antrag auf Produktionsförderung bei der BKM gestellt. Von den verbleibenden drei Projekten erhielten zwei in der Tat keine Produktionsförderung. Ein weiteres (Neubau) wurde entgegen der anderslautenden Behauptung in erheblichem Maße (43 Prozent Förderquote) von BKM in der Produktion gefördert.“

Auch Marek Spreitzer vom LGBTI*-Filmverleih ProFun sieht vorrangig oftmals eher generelle Probleme, die sich queere Filmemacher:innen stellen müssen: „Hinsichtlich der Förderkriterien bei Filmproduktionen, insbesondere bei queeren Themen, sehe ich viele Hürden wie Mindestbudget, Finanzierung des meist fünfzigprozentigen Eigenanteils, Budget- und Vertriebsplanung, Zuschauer- und Ertragspotential.“

Wann ist ein Film eigentlich ein queerer Film?

Die Frage, die sicherlich auch zu heftigen Diskussionen führen kann, ist jene nach der grundsätzlichen Definition: Wann ist ein Film eigentlich ein queerer Film? Müssen die Hauptprotagonisten allesamt queer sein? Darf sich die Story nur um die Lebenswelt von LGBTQIA+-Menschen drehen und falls ja, wie sieht diese denn genau aus? Haben Homosexuelle beispielsweise nicht auch Probleme mit der Miete oder sind auf der Suche nach einem neuen Job? Was genau ist eine queere Story also? Und muss es immerzu um Themen wie das Coming-out gehen?

Je mehr man ins Detail blickt, desto schwieriger wird die Sachlage. Filmfachmann Koll wünscht sich so vielleicht einfach auch nur generell mehr Sichtbarkeit von queeren Menschen in deutschen Filmproduktionen: „Hat die queere Szene es versäumt, bei der völlig verständlichen Forderung von Pro Quote Film nach 50 Prozent für die Frauen auch mal zaghaft vielleicht ein Prozent für queere Inhalte zu fordern? (…) Die Anzahl an queeren Nebenrollen wächst. Das ist gut so, aber könnte nicht auch ab und zu mal ein Film aus einer tatsächlich queeren Perspektive erzählt werden?“

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Filme mit queeren Charakteren und Handlung gehen bei Filmförderung nach wie vor beinahe immer leer aus, sagt ein Filmexperte. (Symbolbild) © IMAGO/Jordi Bataller/Addictive Stock

Das Film-Festival „QueerStream“ war 2020 für viele queere Menschen ein Lichtblick.

Förderanstalten schauen nach „Erfolgsaussichten, Refinanzierung und die Breitenwirkung“

Eines jener jungen Talente ist Maxim aus Berlin, der gerade an seinem ersten Filmdrehbuch arbeitet und gegenüber BuzzFeed News DE sagt: „Natürlich wünsche ich mir mehr Geschichten, die meine Lebensrealität widerspiegeln. Doch am Ende wünscht sich das wahrscheinlich jede marginalisierte Gruppe in Deutschland, oder? Vielleicht sollte schlussendlich die wichtigste Frage sein: Wie gut ist der Stoff, der da gefördert werden soll? Und nicht, wie queer, vielfältig oder was auch immer ist er.“

Sehr ähnlich sieht das auch Spreitzer von ProFun: „Die Förderanstalten entscheiden unter vielen konkurrierenden Produktionen eher mit Blick auf die Erfolgsaussichten, Refinanzierung und die Breitenwirkung als bewusst gegen ein queeres Thema. Wir wollten im Mainstream wahrgenommen werden, dann müssen wir uns nun auch dort inhaltlich und qualitativ messen und bewerten lassen.“

2023 soll es erstmals Diversitäts-Workshops geben

Dass das Thema Diversität für die Filmförderung ein wichtiges Anliegen darstellt, bestätigt die Sprecherin des BKM: „Für die BKM ist eine in allen Belangen diverse und vielfältige deutsche Filmlandschaft von großer Bedeutung für den Erfolg des deutschen Films. Deshalb werden in diesem Jahr erstmals Diversitäts-Workshops für die Jurys der kulturellen Filmförderung der BKM angeboten, die durch eine externe Beratungsfirma durchgeführt werden. Sie sollen dazu dienen, unbewusste Denkmuster zu finden und zu hinterfragen.“

Es tut sich also durchaus etwas – auch wenn das mancherorts vielleicht als nicht ausreichend wahrgenommen wird: „Kann es vielleicht auch sein, dass der ziemlich bescheidene Zustand des deutschen Films auch mit dem ziemlich bescheidenen Zustand der Entscheidungskompetenz der Jurys zusammenhängt, die fast grundsätzlich jedes Wagnis, jedes Anderssein, alles Außergewöhnliche und auch Queere eben nicht fördern?“, so Koll fragend weiter.

„Da bewirkt ein schwuler Tatort-Kommissar mehr als hundert queere Filme“

Maxim fasst das Dilemma abschließend so zusammen: „Beim Film ist es immer auch eine Frage des persönlichen Geschmacks. Was mir gefällt und förderwürdig erscheinen mag, kann ein anderer ganz anders sehen. Bei einigen queeren deutschen Filmemacher:innen, die immer wieder seit vielen Jahren gefördert werden, frage ich mich seit langem, warum?“ Am Ende sei nicht die Anzahl der Filme wichtig, sondern, dass queere Figuren sowohl im Fernsehen als auch im Kino schrittweise immer realistischer dargestellt werden.

„Das schafft auch den Impact, den wir brauchen, um gesellschaftlich etwas zu verbessern. Weg von den klischeehaften Nebenfiguren und Stichwortgeber:innen, hin zu echten Charakteren. Da bewirkt ein schwuler Tatort-Kommissar mehr als hundert queere Filme. Wir dürfen nicht vergessen, der berühmte schwule Lindenstraßen-Kuss mag knapp dreißig Jahre her sein, der Mief jener Zeit ist in einigen Köpfen aber noch vorhanden!“

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