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Gegen Pinkwashing beim CSD – braucht es queere Gütesiegel für Unternehmen?

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Von: Michael Schmucker

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CSD Parade 2022 in Köln.
Brauchen wir ein spezielles LGBTQIA+-Gütesiegel in Deutschland? © Imago/imagebroker

In der Schweiz gibt es ein spezielles LGBTQIA+-Gütesiegel. Wäre das auch eine Idee für die Pride Saison 2023 in Deutschland?

Die ersten warmen Sonnenstrahlen im März bereits den Frühling an; für die LGBTQIA+-Community sind dies zugleich die ersten Vorzeichen für die Pride-Saison 2023. Ende April geht es bereits los mit den ersten Pride-Paraden in Deutschland, deren Höhepunkte in den Sommermonaten zu erwarten sind – bereits jetzt laufen vielerorts die Vorbereitungen auf Hochtouren.

Dabei lohnt sich ein Blick über die Grenze, denn in der Schweiz geht der größte CSD des Landes neue Wege: Nur noch jene Unternehmen werden 2023 beim Zurich Pride dabei sein dürfen, die diverse queere Kriterien erfüllen, sich ganzjährig für die queere Community hausintern wie auch außerhalb einsetzen und ein spezielles LGBTQIA+-Gütesiegel aufzeigen können. Das Ziel ist klar: Kein Pink Washing mehr, kein Image-Gewinn für Firmen, die sich nicht wirklich für queere Menschen einsetzen. Wäre das nicht auch eine Idee für die Pride Saison 2023 in Deutschland?

Strenge Vorgaben für Unternehmen in Deutschland, die an den Pride-Paraden teilnehmen wollen

Die großen CSD-Veranstalter:innen in Deutschland bestätigen auf Rückfrage von BuzzFeed News DE, dass zumeist sowieso bereits strenge Vorkehrungen vorherrschen. Conrad Breyer vom CSD München sagt so: „Das ist unserer Policy sehr ähnlich. An der Polit-Parade dürfen nur Unternehmen teilnehmen, die im Rahmen ihres Diversity-Managements interne LGBTIQ*-Netzwerke unterstützen, die sich ganzjährig für gleiche Rechte und Akzeptanz einsetzen und das auch sichtbar machen.“

Auch beim Hamburger Pride ist ein glaubhaftes Engagement Grundvoraussetzung, so Manuel Opitz gegenüber BuzzFeed News DE von Ippen.Media: „Wir erwarten von allen Unternehmen, Parteien, Vereinen und sonstigen Einrichtungen, die am CSD teilnehmen, dass sie sich auch an den 364 anderen Tagen im Jahr für die LGBTIQ+-Community einsetzen und hinterfragen, wie sie intern und extern die Akzeptanz von queeren Menschen fördern und Vorurteile abbauen können. Wer sich mit der Regenbogenfahne schmückt, geht eine Verpflichtung ein.“

In Köln präsentieren sich nicht die Unternehmen, sondern die queeren Mitarbeiter:innen beim CSD

Hugo Winkels vom Cologne Pride erklärt indes die etwas andere Herangehensweise in Köln: „Bei uns präsentieren sich nicht die Unternehmen, sondern deren Mitarbeitende. Demnach gibt es in jedem Unternehmen eine LGBTIQ+-Gruppe oder Gemeinschaft, die eine Teilnahme am Cologne Pride – mit der Unterstützung des Unternehmens – umsetzen. Das sind für uns die Mindest-Voraussetzungen!“

Allerdings wirft Winkels mit Blick auf das landesweite Gütesiegel in der Schweiz auch eine spannende Frage in den Raum: „Wer legt die Kriterien fest?“. In der Schweiz entscheiden zwei queere Business-Gruppen in Zusammenarbeit mit mehreren Non-Profit-Organisationen über die Label-Vergabe, wie transparent am Ende das Verfahren tatsächlich ist, bleibt bisher offen.

Könnte ein strenges, selbst gut gemeintes, deutschlandweite Gütesiegel so am Ende zu einer Art von Bevormundung von Unternehmen führen und damit vielleicht sogar eher abschrecken als zu inspirieren? „Jeder Pride sollte für sich entscheiden, welches Unternehmen es für die Unterstützung zulässt. Ein deutschlandweites Siegel regelt die Arbeit von ehrenamtlichen Pride-Organisierenden und macht Vorschriften – warum? Wenn Menschen fähig sind, einen Pride zu organisieren, dann sollte man diesen auch zutrauen zu wissen, welche Unterstützenden sie ansprechen können und welche nicht“, so Winkels weiter.

Pride-Siegel in Deutschland nur als Hilfestellung?

Er könne sich ein Pride-Siegel in Deutschland nur als Hilfestellung vorstellen, keineswegs aber als eine einheitliche Vorschrift. Dabei sei Streit und Missgunst bereits vorprogrammiert, beispielsweise allein bei der Frage: Welche queeren Organisationen dürften dann über ein Siegel entscheiden und warum? Welche Menschen in den Organisationen haben am Ende wirklich Entscheidungsgewalt und warum? Wie abhängig sind auch queere Organisationen von staatlichen, parteilichen oder unternehmerischen finanziellen Zuwendungen?

In Hamburg wird in diesem Jahr erstmals eine Art von Gütesiegel eingeführt, konkret ein verpflichtender Selbstauskunftsbogen für alle teilnehmenden Unternehmen und Parteien, so Opitz weiter: „Wer einen Truck stellen möchte, muss darüber Auskunft geben, welche queer-freundlichen Maßnahmen bereits getroffen wurden, inwiefern die LGBTIQ+-Community außerhalb des CSDs unterstützt wird und welche Maßnahmen dieses und kommendes Jahr geplant sind, um die eigene Betriebskultur in Bezug auf LGBTIQ+ zu fördern beziehungsweise um die Unterstützung queerer Menschen und ihren Forderungen nach Gleichstellung und Akzeptanz in der Gesellschaft kenntlich zu machen.“

„Kein Pride darf sich finanziell von irgendwem abhängig machen“

Winkels aus Köln verweist in diesem Zusammenhang auch auf die etwas andere Lage kleinerer Pride-Veranstaltungen in Deutschland: „Ein Pride benötigt immer Geld, das ist klar. Aber kleine Prides haben manchmal nur wenige hundert Euro zur Verfügung und erreichen damit auch das Ziel. Kein Pride darf sich finanziell von irgendwem abhängig machen, auch nicht von einzelnen Parteien! Wichtiger ist es, seine Ziele und Voraussetzungen immer vor Augen zu behalten, als um jeden Preis etwas darstellen zu wollen.“ Allerdings gebe es inzwischen auch viele mittlere und kleinere Unternehmen, die die queere Community aktiv unterstützen wollen, sodass es auch für kleinere Prides möglich ist, eine faire und glaubwürdige Unterstützung zu erhalten.

Welcoming Out will angstfreies Coming-out fördern

Einen anderen Ansatz verfolgt da die gemeinnützige Unternehmergesellschaft Welcoming Out (WO), die mit großen und bekannten Pride-Unterstützer:innen wie beispielsweise Meta (Facebook, Instagram), dem Logistikunternehmen Hapag-Lloyd, dem Versandhaus Otto oder auch der Techniker Krankenkasse zusammenarbeitet. Geschäftsführer Markus Hoppe erklärt den Ansatz gegenüber BuzzFeed News DE so: „WO ist ein Symbol, mit dem Menschen ihrem Umfeld signalisieren können, dass sie nicht geoutete LGBTIQ+-Personen zum angstfreien Coming-out ihnen gegenüber einladen.“

Die Bewegung soll von Einzelpersonen eines Unternehmens ausgehen und der dahinterliegende Wunsch dazu ist, dass die Aktion selbst zum Movement wird. „Hier kommen die Organisationen und Unternehmen ins Spiel. Sie haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, dass die Idee von WO unterstützt und weiter bekannt machen möchte, um gemeinsam mit uns das Movement zu entfachen.“

Meta, Otto, TK und Hapag-Lloyd wollen Haltung gegenüber der LGBTIQ+-Community zu zeigen

Eine spannende Idee – nicht die Unternehmen selbst zeigen Flagge, sondern ihre Mitarbeiter:innen, die dann dabei von der Firma unterstützt werden. Die Firmen laden also ganz direkt ihre Angestellten ein, Haltung gegenüber der LGBTIQ+-Community zu zeigen. Allerdings arbeitet WO durchaus auch mit verschiedenen Qualifizierungsformaten, die mittelfristig auch in eine Zertifizierung münden sollen. Aus Sicht der Unternehmer:innen hält WO mit Blick auf ein queeres Gütesiegel auch für Deutschland fest: „Dafür spricht, dem zunehmenden Trend von Pink- beziehungsweise Rainbowwashing entgegenzuwirken. Wir sind auch der Meinung, dass ein Mindestmaß an Authentizität gewahrt werden muss. Die Frage ist, wie hoch wird der Anspruch an Unternehmen gesetzt, um einen Zugang zu gewähren. Wir empfinden es so, dass gesellschaftliche Debatten rund um Themen von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt von beiden Seiten immer unversöhnlicher geführt werden und stark polarisieren.“

Wenn Unternehmen sich so gerade erst auf den Weg hin zu mehr Engagement für Diversität machen wollen, könne ein solches Siegel auch eine zu hohe Hürde sein, so Hoppe weiter. Sinnvoller sei es also, auch jene Firmen mitzunehmen, die noch nicht alle Kriterien erfüllen, aber auf dem Weg dahin sind: „Von hier aus kann sich die Bereitschaft zu vertieftem Engagement besser und leichter entwickeln.“ Offen queer-feindliche Unternehmen seien dabei natürlich trotzdem abzulehnen.

Reaktionen auf deutschlandweites queeres Siegel – „abhängig vom Einzelfall“

Doch wie würden Unternehmen möglicherweise generell auf ein deutschlandweites Siegel reagieren? Hoppe dazu: „Das ist sicherlich abhängig vom Einzelfall. Einige Unternehmen, die sich ohnehin auf einem internen Weg befinden, mehr und mehr Diversity-freundlicher zu werden, könnten das sicherlich als Ansporn empfinden und gegebenenfalls das eigene Tempo erhöhen, um den neuen Gegebenheiten gerecht zu werden. Andere würden sicherlich ein Engagement einstellen, weil entweder der Wille fehlt oder die Ressourcen oder beides, um die neuen Standards zügig umzusetzen.“

Ruf nach mehr politischen Botschaften und Forderungen bei den Prides

Die Unternehmen sind das eine, doch wie sieht es mit politischen Parteien aus? Sollte die oftmals werberelevante Präsenz von Parteien bei den Prides in Deutschland ebenso reglementiert oder gar abgeschafft werden? Zurück zu den Wurzeln sozusagen, als die Demonstrationen noch ein Dorn im Auge der Politik waren? „Der Ruf nach mehr politischen Botschaften und Forderungen und weniger Party kommt ja zunehmend in vielen Städten auf. Wir finden das auch richtig. Dieser Trend bedeutet unserer Meinung nach aber nicht, dass Wirtschaft oder Politik keinen Platz mehr auf einem CSD haben. Gesellschaft ist ja nicht nur Zivilgesellschaft oder Aktivismus, sondern ein Zusammenspiel unterschiedlichster Bereiche. Optimal ist es doch, wenn auch Wirtschaft und Politik sich hinter den aktivistisch formulierten Zielen sammeln können, um gemeinsam mehr Impact zu erzeugen“, so Hoppe weiter.

Ähnlich sehen das auch die großen CSD-Vereine. Breyer vom CSD München: „Wir finden es wichtig, dass Unternehmen und Parteien beim CSD mit dabei sind. Der Kampf um gleiche Rechte und Akzeptanz findet schließlich auch am Arbeitsplatz statt und gerade Unternehmen können hier eine Vorbildrolle einnehmen. Parteien dienen der politischen Willensbildung. Mit ihren Programmen setzen sie sich mehr oder weniger für LGBTIQ* ein. Darüber zu diskutieren, den Austausch zu suchen, auch die Kritik gehören unbedingt zu einem CSD. Nur gemeinsam können wir Sichtbarkeit schaffen, die Gesellschaft verändern. Der CSD ist die Plattform dafür.“ 

Und Opitz vom Hamburger Pride ergänzt: „Der CSD ist der Tag im Jahr, an dem nicht nur die LGBTIQ+-Community für sich selbst eintritt, sondern auch der Tag, an dem alle Menschen in einer Stadt zusammenrücken können, unabhängig von sexueller und geschlechtlicher Identität. Unsere Ziele – Akzeptanz, Gleichstellung, ein angstfreies Leben für LGBTIQ+ – können wir nur mit gemeinsamen Verbündeten aus der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft erreichen. Was wir brauchen, ist ein umspannendes Wir-Gefühl, und das schließt Politik und Unternehmen mit ein.“

Pride in Köln: Mediale Möglichkeiten für LGBTQIA+-Sichtbarkeit nutzen

Und Winkels vom Pride in Köln setzt zudem auf die breite Sichtbarkeit in der Gesellschaft: „Wir leben im Jahr 2023 und es ist durch die heutigen medialen Möglichkeiten wichtig, diese auch für unsere Sichtbarkeit zu nutzen. Dank der großen Aktionen mit Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist das Thema bei viel mehr Menschen angekommen als ohne deren Beteiligung.

Ein Beispiel: Bei der EM 2020 war die Regenbogen-Stadionbeleuchtung in München ein wichtiges Thema. Dank Geldern und politischer Unterstützung wurde es medial ein sehr großes Thema. Menschen, die im Alltag mit dieser Thematik keine Berührungspunkte haben, wurden dadurch über die Menschenrechtsverletzungen in Ungarn und Polen informiert. Das ist doch toll. Warum sollte die Community auf solche tollen Aktionen verzichten? Und warum sollten wir uns wieder kleiner und unbedeutsamer machen als wir sind? Die Aussage ‚Früher war alles besser‘ ist nichts für Menschen, deren Ziele in der Zukunft liegen!“

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