Gericht entscheidet, ob du ein AfD-Mitglied als „Nazi“ beleidigen darfst

Manche in der AfD reagieren schon auf „FCK NZS“-Aufkleber allergisch. Ist es eigentlich erlaubt, ein Mitglied der AfD als „Nazi“ zu beschimpfen?
Der Slogan „FCK NZS“ gehört seit Jahren zum verbalen Standardrepertoire antifaschistischer Bekundungen. Im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen ist dieser Schriftzug an einem Auto im Design der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Anlass für Streit. Der Lieferwagen gehört nicht mehr zum Fuhrpark der AWO, dennoch ist der kleine „FCK NZS“-Aufkleber an der Hecktür dem Stadtrat Olaf Barth dermaßen ein Dorn im Auge, dass er sich an die Medien gewandt hat. Unter anderem der Südkurier berichtet darüber.
Olaf Barth von der AfD reagiert offenkundig gereizt auf die Verwendung des Wortes „Nazi“ als Beleidigung. Vertreter:innen dieser Partei, deren Spitze erst kürzlich der Faschistin Giorgia Meloni zu ihrem Wahlsieg in Italien gratuliert hat, sehen sich oft dem Vorwurf ausgesetzt, Nazis zu sein. Mehr als einmal sind solche Fälle auch schon vor Gericht gelandet.
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat sich laut jurios.de im Juli 2022 damit beschäftigt, wann „Nazi“ eine Formalbeleidigung mit juristischen Folgen ist, als es über ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Reutlingen zu entscheiden hatte. Letzteres hatte einen Mann zu einer Geldstrafe verurteilt, weil dieser auf Instagram unter einem Beitrag des Bürgermeisters der Gemeinde Eningen eine provokante Frage gestellt hatte: „Wer braucht den Nazi in Eninigen???“ Der Angesprochene hatte einen Landtagsabgeordneten der AfD empfangen. Der Abgeordnete erstattete daraufhin Anzeige wegen Beleidigung, das AG Reutlingen sah hier die Kriterien einer Formalbeleidigung erfüllt.
„Nazi“ ist bei Beleidigungen ein Grenzfall
Das OLG Stuttgart verwies im Revisionsverfahren darauf, dass es auf den Kontext ankomme, um die Bezeichnung „Nazi“ als Formalbeleidigung werten zu können. Der Begriff an sich werde für gewöhnlich als „schlagwortartige Qualifizierung der politischen Einstellung oder Geisteshaltung“ verwendet, und sei damit durchaus zulässig. Das treffe besonders auf die AfD zu, die „von nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung dem rechten Spektrum zugeordnet“ und „in mehreren Bundesländern von den Verfassungsschutzbehörden als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft“ wird.
Gerade in der Öffentlichkeit stehende Abgeordnete und andere Amtsträger:innen der AfD müssten sich laut OLG diese Bezeichnung gefallen lassen, da sie von jedermann möglichst frei und auch scharf kritisiert werden sollen dürfen. Ob das im Einzelfall beschimpfte Parteimitglied selbst unmittelbar in das rechtsextreme Spektrum einzuordnen ist, sei dabei gar nicht wichtig. Es reiche schon, mit einschlägigen Rechtsextremisten dasselbe Parteibuch zu teilen. Das OLG hob daher die Entscheidung des Amtsgerichts Reutlingen wieder auf und sprach den Angeklagten frei.
Die AfD hat Grenzen des Diskurses selbst verschoben
Ähnlich entschieden Gerichte schon zuvor. Ende 2017 lehnte das Landgericht (LG) Offenburg es ab, ein Strafverfahren gegen einen Politiker der Grünen einzuleiten. Er hatte auf einer Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg ein Parteimitglied der AfD als „Nazi“ beschimpft. Zwar handle es sich dabei laut LG Offenburg um eine „Missachtung gegenüber dem AfD-Mitglied, was den Tatbestand der Beleidigung erfülle.“ Allerdings hielt das Gericht diese Beleidigung für von der Meinungsfreiheit gedeckt.
2019 mussten gleich zwei AfD-Politiker aus Sachsen vor zwei Dresdner Gerichten akzeptieren, als „Nazi“ und „Neonazi“ beschimpft zu werden. Der immer noch amtierende Landesvorsitzende Jörg Urban und der Pressesprecher der sächsischen AfD Andreas Harlaß hatten gegen denselben Journalisten geklagt, der beide auf Twitter entsprechend bezeichnet hatte. Urban und Harlaß gehören zu den rechtsextremen Netzwerken in der AfD, die diese laut Olaf Scholz zur Partei Russlands machen.
Der Anwalt des Beklagten, Jürgen Kasek, sagte im Gespräch mit Watson, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit im politischen Diskurs weit gefasst sind. Die AfD habe selbst dazu beigetragen, diese Grenzen der Meinungsfreiheit zu verschieben. „Jetzt könne sie nicht verlangen, dass sie enger gefasst werden.“