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Nazi-Magazin auf AfD-Parteitag verteilt – Co-Vorsitzende Alice Weidel tut ahnungslos, kennt es aber gut

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Von: Robert Wagner

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Martin Schmidt von der ARD im Rahmen des AFD-Bundesparteitags am 19. Juni 2022 im Interview mit Alice Weidel.
Vor der ARD-Kamera will Alice Weidel (r.) das rechtsextreme Magazin nicht kennen. Tatsächlich trat sie selbst mehrmals darin auf. © Screenshot/ARD Mediathek/Twitter floris_du_mal

Auf dem Parteitag der AfD wurde offenbar ein einschlägiges Nazi-Magazin verteilt. Parteichefin Alice Weidel kennt das Blatt besser, als ihr lieb sein dürfte.

Vom 17. bis zum 19. Juni fand im sächsischen Riesa der Bundesparteitag der AfD statt. Am Eingang des großen Saals der Stadthalle Riesa, wo die Delegierten tagten, wurden offenbar kostenlos Ausgaben eines Nazi-Magazins verteilt. Das berichtete die ARD am Sonntagabend. Deren Bericht vom Parteitag zufolge enthalten die Hefte unter anderem Werbung für einen Kalender mit dem Titel „Männer der Waffen-SS“. Darin werden „unter Hervorhebung ihrer Waffentaten“ 13 Angehörige der Waffe-SS geehrt, „die im Zweiten Weltkrieg Herausragendes geleistet haben.“ Die Waffen-SS war maßgeblich an der Durchführung des Holocaust in Europa beteiligt.

Der ARD-Journalist Martin Schmidt konfrontierte die frisch gewählte Co-Parteichefin Alice Weidel am Sonntagabend im Interview mit diesem Thema. Auf die Frage, wie es dazu kommen könne, dass ein solches Magazin kostenlos am Eingang an die Delegierten verteilt werde, gab sich Weidel ahnungslos und stritt jede Verantwortung ab. „Aber was haben wir mit dieser Zeitung zu tun? Das verstehe ich jetzt nicht“. Sie war offensichtlich um größtmögliche Distanzierung bemüht und betonte, es sei „überhaupt nicht normal“, dass so etwas auf einem Parteitag der AfD verteilt werde. Auf Schmidts Hinweis, dass dies bereits seit drei Tagen geschehe, entgegnete die Co-Parteichefin nur ausweichend: „Ich bin da hinten am Arbeiten, ich sehe das da vorne nicht.“

Magazin gehört dem „rechtsextremen Spektrum“ an

Bei dem vom Schmidt in die Kamera gehaltenen Magazin handelt es sich um Zuerst!, das sich als „Deutsches Nachrichtenmagazin“ bezeichnet. Es wurde 2009 als eine Art rechtes Gegenstück zum Spiegel gegründet und wird von Fachleuten wie Armin Pfahl-Traughber und Gideon Botsch dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet. Einer Einschätzung der Amadeu Antonio Stiftung von 2015 zufolge versucht das Blatt „Themen aus dem rechtsextremen Spektrum in scheinbar seriöser Aufmachung bis an die Bahnhofskioske“ zu bringen. Laut dem Historikers Volker Weiß wurde Zuerst! „als Nachfolger des faschistischen Traditionsblatts Nation & Europa gehandelt, will aber weit in etablierte Kreise hineinwirken.“

Der aktuelle Chefredakteur Andreas Karsten ist ein bekanntes Gesicht der rechtsextremen Szene: Er war Teil der neurechten Identitären Bewegung (IB) und gehörte der Hallenser IB-Gruppe um den mehrfach vorbestraften Gewalttäter Mario Alexander Müller an. Er ist einer der ehemaligen IB-Aktivisten, die mittlerweile in „alternativen Medien“ untergekommen sind. Wie viele andere publizistisch tätige Aktivisten der extremen Neuen Rechten ist auch Karsten bestens in der AfD vernetzt, wie im Frühjahr im Rahmen eines „interfraktionellen Treffens“ der Partei deutlich wurde.

Auf Parteitag verteiltes Magazin hat gute Kontakte zur AfD

Die guten Kontakte von Zuerst! in die AfD werden nicht nur an der Person des Chefredakteurs deutlich. Tatsächlich sind Politiker:innen der AfD häufige Interviewpartner des Magazins. In der aktuellen Mai-Ausgabe spricht niemand Geringeres als der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke über „Massenmigration und Multikulturalisierung“ und beklagt den „gnadenlosen ‚Kampf gegen rechts‘“, wie Endstation Rechts aus dem Interview zitiert. Höcke ist nach Einschätzung von Beobachter:innen der große Gewinner der innerparteilichen Auseinandersetzungen auf dem Parteitag, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet. Der Kurs der stetigen Radikalisierung, der die Geschichte der AfD prägt, scheint damit fortgesetzt zu werden.

Weitere Vertreter der AfD, die in der Mai-Ausgabe zu Wort kommen, sind laut Endstation Rechts die Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck und Steffen Kotré sowie der saarländische Landesvorsitzende Christian Wirth. Andere bekannte Köpfe der Partei traten bereits zuvor in Zuerst! auf, darunter der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban, der thüringische Landtagsabgeordnete Thomas Rudy und der als russlandfreundlich bekannte Hardliner Hans-Thomas Tillschneider aus Sachen-Anhalt.

Auch Alice Weidel gab dem Nazi-Magazin bereits ein Interview – will es aber nicht kennen

Zu den illustren Gesichtern der AfD, die dem Nazi-Magazin Zuerst! bisher Rede und Antwort standen, gehört auch Alice Weidel selbst. Laut des Rechtsextremismusexperten Andreas Kemper gab sie dem Blatt seit 2017, dem Jahr des Einzugs ihrer Partei in den Bundestag, mindestens sechs mal ein Interview. Das letzte wurde erst im Februar 2022 veröffentlicht, worauf auf Twitter der Politikwissenschaftler Floris Biskamp aufmerksam macht. Weidel sprach darin anlässlich des Amtsantritts der Ampelkoalition über deren „Kabinett der Unfähigkeit.“

Gegenüber der ARD schien sie das Magazin, dem sie seit Jahren Interviews gibt, nicht zu kennen. Weitere Aussagen dazu machte sie nicht mehr: „Ja, was soll ich noch dazu sagen. Dazu kann ich gar nichts mehr sagen.“

Ähnlich sprachlos war Weidel im selben Interview unmittelbar zuvor, als Martin Schmidt von ihr wissen wollte, was eigentlich rechtsextrem ist. Die Co-Bundesvorsitzende der AfD und langjährige Bundestagsabgeordnete, die zuvor jedes Problem ihrer Partei mit Rechtsextremismus verneinte („Wir haben kein Problem mit Rechtsextremisten“), wusste darauf keine Antwort: „Das kann ich Ihnen nicht beantworten, was rechtsextrem ist.“ Die AfD wird seit dem vergangenen März offiziell als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet.

Rassistische Aussagen will die AfD-Chefin Weidel nicht als rechtsextrem benennen

Daraufhin zitierte Schmidt Beiträge aus den sozialen Medien, die die thüringische AfD-Bundestagsabgeordnete und Höcke-Vertraute Christina Baum verfasst hatte (ab Min. 7:58). Diese hatte laut Schmidt geschrieben, dass „das hellhäutige, hier seit Jahrhunderten ansässige Volk fast keine Interessenvertretung mehr habe.“ In einem anderen Beitrag kommentierte Baum das Foto eines Schwarzen Babys: „Und hier ein bildlicher Beweis dafür, wie wichtig die Korrektur des Staatsangehörigkeitsrechtes ist“, trug Schmidt der Co-Parteichefin vor. Christina Baum wurde auf dem Parteitag in den Bundesvorstand der AfD gewählt – mit mehr Stimmen als Weidels Amtskollege Tino Chrupalla, wie Schmidt betonte.

Diese eindeutig rassistischen Aussagen bezeichnete Weidel als „grundfalsch“, konnte oder wollte sie aber nicht als rechtsextrem einordnen. Stattdessen verwies sie auf das vermeintliche „Linksextremismus-Problem“ im Innenministerium der aktuellen Bundesregierung. Damit spielt sie auf die angeblich linksextreme Vergangenheit der Innenministerin Nancy Faeser an, die im rechtsextremen Milieu ein ausgesprochenes Feindbild geworden ist. Die aktuelle Juni-Ausgabe von Zuerst! zündelt ebenfalls mit exakt diesem Feindbild und spricht auf seiner Titelseite von „Faesers willigen Vollstreckern.“

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