Panik in der AfD: Wird die ganze Partei zum Fall für den Verfassungsschutz? Politisches Erdbeben droht

Die AfD streitet mal wieder vor Gericht mit dem Verfassungsschutz. Diese Woche steht eine wichtige Entscheidung an. Worum geht es?
Der AfD-Politiker Björn Höcke, Landesvorsitzender seiner Partei in Thüringen, ist dafür bekannt, in seiner rechtsextremen Agitation sprachlich kreativ zu sein. Ein gutes Beispiel dafür: Die Angst vor der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz als Verdachtsfall oder gar „gesichert extremistische Bestrebung“ bezeichnete er 2018 auf einem Landesparteitag als „politische Bettnässerei“. Ein typischer Spruch aus Höckes Mund, der subtil dessen Verachtung für weniger radikale Parteifreunde zum Ausdruck bringt. Auf knallharte Rechtsaußen wie ihn mag diese Gelassenheit in Sachen Verfassungsschutz zutreffen. Für viele andere in der AfD ist eine nachrichtendienstliche Beobachtung jedoch ein Horrorszenario, das es unbedingt zu verhindern gilt. Dieses Horrorszenario droht nun, Realität zu werden.
Am 8. und 9. März wird das Verwaltungsgericht Köln über zwei Klagen der AfD (und zwei weitere von deren Jugendorganisation) verhandeln, mit denen die Partei unter anderem zu verhindern versucht, vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) offiziell als Verdachtsfall eingestuft und mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet zu werden. Das öffentliche Interesse ist groß, für die anstehende Verhandlung wurde eigens eine Kölner Messehalle angemietet, um dem zu erwartenden Andrang unter Coronabedingungen Herr zu werden. Das Urteil wird mit großer Spannung erwartet, da erstmals ein Gericht ein Urteil fällen wird über die Frage, ob die AfD als Ganzes rechtsextrem ist oder nicht.
Sollte bereits im März über diese Verfahren entschieden werden, steht der deutschen Politik ein Erdbeben bevor, denn es gilt als sehr wahrscheinlich, dass eine Entscheidung zugunsten des BfV fallen wird. Der Verfassungsschutz dürfte dann die Gesamtpartei, bisher nur ein Prüffall, als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen und entsprechend beobachten sowie die Öffentlichkeit darüber informieren. Eine weitere Hochstufung als „gesichert extremistische Bestrebung“ wäre dann wohl nur noch eine Frage der Zeit, ein Verbotsverfahren in letzter Konsequenz durchaus im Bereich des Möglichen. Auf jeden Fall säße dann mit der AfD ein offizieller rechtsextremer Verdachtsfall im deutschen Parlament - zum ersten Mal in der bundesrepublikanischen Geschichte.
- Prüffall
- Liegt vor, wenn der Verfassungsschutz „erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik“ zu erkennen glaubt. Zur weiteren Beobachtung und Einordnung dürfen aber nur öffentlich verfügbare Quellen wie Presseberichte, Redebeiträge auf Demonstrationen und Postings in den sozialen Medien („offen wahrnehmbare Aktivitäten“) herangezogen werden. Die AfD als Gesamtpartei wurde im Januar 2019 zum Prüffall, das BfV sprach damals von „Verdachtssplittern“. Gegen die öffentliche Nennung als Prüffall klagte die AfD damals mit Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Köln. Das BfV äußerte sich bis 2021 nicht mehr zu seinen Einschätzungen hinsichtlich der Gesamtpartei.
- Verdachtsfall
- Wenn der Verfassungsschutz zu der Erkenntnis gelangt ist, dass „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen“, wird der Prüffall zum Verdachtsfall. Man spricht bereits hier vom einem Beobachtungsobjekt, zu dessen Beobachtung im eingeschränkten Rahmen auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden dürfen. Dazu gehören beispielsweise der Einsatz von V-Leuten oder das Mitschneiden von Telefonaten. Auf dieser Stufe befinden sich mittlerweile zahlreiche Landesverbände der AfD, darunter Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin, sowie die Jugendorganisation „Junge Alternative“. Weitere rechtsextreme Verdachtsfälle sind das neofaschistische Netzwerk „Ein Prozent“ und der neurechte Verlag Antaios von Björn Höckes Duzfreund Götz Kubitschek.
- „gesichert extremistische Bestrebung“
- Haben sich die „tatsächlichen Anhaltspunkte zur Gewissheit verdichtet“, wird der Verdachtsfall zur „gesichert extremistischen Bestrebung“ und damit zum ständigen Beobachtungsobjekt. Zu dessen Observierung darf nun das vollständige Instrumentarium nachrichtendienstlicher Mittel angewendet werden bzw. hat der Verfassungsschutz bei deren Anwendung mehr Spielraum. Neben klassischen rechtsextremen Beobachtungsobjekten wie der NPD oder der „Identitären Bewegung“ gehört mittlerweile auch der von Björn Höcke geführte AfD-Landesverband von Thüringen in diese Kategorie. Weitere „gesichert extremistische Bestrebungen“ des (neu)rechten Spektrums sind das Compact-Magazin, der brandenburgische Verein „Zukunft Heimat e.V.“, das Fake News-Portal „PI-News“ und das neurechte „Institut für Staatspolitik“.
Panik in der AfD vor dem Verfassungsschutz
Die nun anstehende Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Köln hat eine lange Vorgeschichte. Eingereicht wurden die Klagen der AfD bereits im Januar 2021. Damals bekam es die Partei ernsthaft mit der Angst zu tun, weil in den Medien das Gerücht die Runde machte, das BfV plane die Hochstufung der Partei zum Verdachtsfall und wolle dies am 25. Januar öffentlich zu machen. Am 21. Januar reichte die Kanzlei Höcker im Auftrag der AfD zwei Klagen beim VG Köln ein. Die dazugehörigen Schriftsätze sind bezeichnend für die Panik, die der Verfassungsschutz bei den Parteigranden offenbar auslöst: Sie waren überschrieben mit „BITTE SOFORT VORLEGEN! EILT! Drohendes Ereignis am 25.01.2021!“, wie das Juraportal Legal Tribune Online berichtete.
Mit den zwei Klagen beziehungsweise den damit verbundenen Eilverfahren wollte man zweierlei erreichen: Zum einen sollte dem Verfassungsschutz gerichtlich untersagt werden, die AfD überhaupt als Verdachtsfall oder gar „gesichert extremistische Bestrebung“ einzuordnen, nachrichtendienstlich zu beobachten UND die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Die Partei argumentierte mit „unzumutbaren Nachteilen“ und einer „negativen Abschreckungswirkung“, sollte sie zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes werden. Die Chancengleichheit der politischen Parteien sei dann nicht mehr gegeben.
Zum anderen sollte dem BfV außerdem untersagt werden, die Mitgliederzahl des formal aufgelösten rechtsextremen „Flügels“ mit 7.000 anzugeben. Diese Zahl sei „völlig aus der Luft gegriffen und nicht im Ansatz durch Fakten (...) belegt“. Dahinter steht die Sorge, dass der berüchtigte rechtsextreme „Flügel“ als wichtiger erscheinen könnte, als er nach Meinung der Parteispitze ist. Der „Flügel“ ist bereits im März 2020 als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingestuft worden, woraufhin er seine Strukturen auf Druck des Bundesvorstands auflöste. Die Netzwerke um die Rechtsextremisten Björn Höcke und Andreas Kalbitz bestehen aber weiterhin.
Kompromiss vor Gericht - Verfassungsschutz gibt Stillhaltezusage in Sachen AfD
Da man spät dran war und das „drohende Ereignis“ vor dem Hintergrund der damals anstehenden Bundestagswahl unbedingt abwenden wollte, wurde zusätzlich zu den beiden Eilverfahren jeweils eine sofort wirksame Zwischenregelung beantragt. Mit diesem sogenannten Hängebeschluss hätte man die Anliegen der zwei Verfahren sofort und bis zu deren Abschluss vorläufig durchgesetzt. Die AfD wäre demnach auf dem Status eines Prüffalls verblieben, den sie seit Januar 2019 genießt. Für eine weitergehende Behandlung der Partei wären dem Verfassungsschutz dann vorerst die Hände gebunden gewesen.
Um diesen Hängebeschluss zu verhindern, gab das BfV dem Gericht die Zusage, bis zum Abschluss der Verfahren keine weiteren Informationen über seinen Umgang mit der AfD nach außen dringen und die Öffentlichkeit darüber im Unklaren zu lassen (Stillhaltezusage). Außerdem würde man keine Parlamentarier und auch keine Kandidat:innen zur Bundestagswahl der AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, unabhängig davon, ob man die Gesamtpartei nun tatsächlich als Verdachtsfall einstufen würde oder nicht.
Mit diesem Kompromiss gab sich das Verwaltungsgericht Köln zufrieden und lehnte die Anträge der AfD auf einen Hängebeschluss Ende Januar 2021 ab. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte diese Vereinbarung, so Legal Tribune Online. Das BfV durfte die Partei also intern zum Verdachtsfall hochstufen und sie nachrichtendienstlich beobachten, solange keine Landtags-, Bundestags- oder Europaabgeordneten davon betroffen waren UND die Öffentlichkeit davon nichts erfuhr. (Die Mitgliederzahl des „Flügels“ durfte es öffentlich mit 7.000 angeben, da diese Zahl ohnehin schon in der Welt war.) Doch aus Sicht des Gerichts wurde diese Stillhaltezusage durch den Verfassungsschutz gebrochen.
AfD: Peinliches Debakel für den Verfassungsschutz
Am 2. März 2021 berichteten erste Medien, dass das BfV die AfD bereits Ende Februar intern zum Verdachtsfall hochgestuft und die Landesämter für Verfassungsschutz darüber informiert habe. Außerdem zitierten am 4. März die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR aus einem 1.000-seitigen Gutachten, mit dem das BfV die Einordnung der AfD als Verdachtsfall detailliert begründet, und aus einem umfangreichen Anwaltsschreiben, das das BfV dem VG Köln als Antragserwiderung vorgelegt hatte. Der Verfassungsschutz selbst hielt aber still und äußerte sich nicht zur AfD.
Das mediale Echo war groß, ebenso die Empörung in der AfD - und nach Informationen der ARD Rechtsredaktion auch der Ärger aufseiten des Verwaltungsgerichts Köln: Dass Informationen über eine interne Einstufung und qualitative Bewertung der AfD an die Öffentlichkeit gelangt sind, werteten die Richter der zuständigen Kammer als fahrlässigen Bruch der Ende Januar getroffenen Vereinbarung durch den Verfassungsschutz. Dieser habe es zugelassen, dass Informationen „durchgestochen“ wurden. Die „Vertrauensgrundlage, auf der die vorhergehenden Entscheidungen beruhten“, betrachtete das VG Köln als „nunmehr zerstört“, wie tagesschau.de aus dem Gerichtsbeschluss zitiert.
Auf erneuten Antrag der AfD erließ das VG Köln am 5. März 2021 nun doch einen Hängebeschluss im Eilverfahren gegen das BfV. Diesem wurde damit bis auf Weiteres richterlich verboten, die AfD als Verdachtsfall einzuordnen und zu beobachten, auch wenn diese Einschätzung bereits publik war. Denn mit jeder weiteren öffentlichen Äußerung in dieser Sache vertiefe sich der Eingriff in die Chancengleichheit der politischen Parteien „in unvertretbarer Weise“. Die Spitzen der AfD nahmen diesen Richterspruch gegen den „zum Regierungsschutz mutierten“ Verfassungsschutz spottend und triumphierend zur Kenntnis, wie das ZDF berichtete.
Schonfrist für die AfD bis 2022
Seitdem befinden sich der Verfassungsschutz bzw. dessen Beamt:innen in der etwas bizarren Lage, die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall zu betrachten, aber nicht dementsprechend handeln und diese Einschätzung aktenkundig machen zu dürfen. Eigentlich wollte das Verwaltungsgericht Köln im Juli 2021 diesen Zustand beenden und über die ausstehenden Verfahren entscheiden. Wegen deren Komplexität und weil das BfV Aktenordner, die der Gegenseite zur Einsicht gegeben werden müssen, verspätet beim Gericht eingereicht hatte, verschob es diesen Termin jedoch auf das erste Quartal 2022.
Ein weiterer Grund für diese Verschiebung war die Bundestagswahl. Deren Ausgang werde in unzulässiger Weise beeinträchtigt, da „sowohl eine für die AfD positive als auch eine negative Entscheidung die Wahlentscheidung der Bürger zugunsten und zulasten der Partei beeinflussen könne“, wie das VG Köln in einer Pressemitteilung schreibt. Wegen der verspäteten Abgabe der angeforderten Aktenordner könne für die Verhandlung kein „ausreichender Abstand zur Bundestagswahl“ mehr eingehalten werden. „Der Respekt vor der Entscheidung der Wähler“ mache es daher erforderlich, erst nach der Wahl über diese Verfahren zu entscheiden.
Tage des Bangens für die AfD - bald Verdachtsfall?
Nun stehen die auf den 8. und 9. März angesetzten Verhandlungstage an, deren Ausgang von erheblicher Bedeutung für die AfD sein wird (falls die Entscheidung nicht wieder vertagt werden sollte). Was deren Vertreter:innen stets geflissentlich ignorieren: Das Verwaltungsgericht Köln hat im März 2021 nicht darüber befunden, ob eine nachrichtendienstliche Beobachtung der AfD inhaltlich gerechtfertigt ist oder nicht. Es hat damals dem BfV die Einstufung der AfD als Verdachtsfall vorerst verboten, weil für die nachrichtendienstliche Beobachtung politischer Parteien besonders hohe Hürden bestehen und keine Zeit mehr bestand, die im Raum stehende Frage „in ausreichendem Abstand“ zur Bundestagswahl zu klären. Diese Bewertung steht erst jetzt an.
Die Bundestagswahl ist nun Geschichte, das Gericht kann sich in aller Ruhe mit der entscheidenden Frage beschäftigen: Ist eine Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall zulässig und vom Verfassungsschutz gut begründet? Das BfV hat seine Hausaufgaben gemacht. Sein 1.000-seitiges Gutachten, das es dem VG Köln bereits im Februar 2021 vorgelegt hat, beschreibt detailliert den in der Partei wuchernden Rechtsextremismus und hebt insbesondere auf den immer noch prägenden Einfluss der Köpfe des ehemaligen „Flügels“ ab. Dieser übe immer noch einen „erheblichen personellen und ideologischen Einfluss“ auf die Gesamtpartei aus, wie die Süddeutsche Zeitung aus dem Dokument zitiert.
Chrupallas Zweckoptimismus: „Wir können nur gewinnen“
Die Zeichen stehen schlecht für die AfD. Zu ihrem Nachteil dürften sich auch die Äußerungen des langjährigen Parteichefs Jörg Meuthen auswirken. Er begründete seinen Rücktritt und Parteiaustritt Ende Januar 2021 mit der sehr weit vorangeschrittenen Radikalisierung und attestierte seiner ehemaligen Partei sogar „totalitäre Anklänge“. Der Verfassungsschutz wird diese Einschätzung sicherlich zur Untermauerung seiner Thesen heranziehen. Der Optimismus, den Meuthens ehemaliger Kollege und verbliebene Parteichef Tino Chrupalla an den Tag legt, ist also nicht sehr überzeugend. Wie er selbst richtigerweise prognostiziert, werde man in diesem Prozess „eine neutrale Bewertung unserer Partei, aber auch der Arbeit des Verfassungsschutzes erhalten (...).“ Seine Schlussfolgerung daraus ist allerdings gewagt: „Wir können daher nur gewinnen.“
Der AfD droht also ganz unmittelbar die offizielle Geheimdienstbeobachtung und sehr wahrscheinlich auch eine Welle an Parteiaustritten, da es gerade in dieser Partei überdurchschnittliche viele Beamte und Angestellte im Öffentlichen Dienst gibt. Und der Staatsdienst ist mit der Mitgliedschaft in einer nachrichtendienstlich beobachteten Organisation nur schwer in Einklang zu bringen. Damit dürfte sich ein Trend fortsetzen: Bereits seit geraumer Zeit ist ein Mitgliederschwund in der Partei zu beobachten. Während die AfD 2019 noch knapp 35.000 Mitglieder zählte, waren es zum vergangenen Jahreswechsel nur noch etwas über 30.000.
Ob dieser langwierige Rechtsstreit mit den nun anstehenden Verhandlungstagen beendet sein wird, ist allerdings unklar. Das Verwaltungsgericht Köln signalisierte bereits, dass der Prozess durchaus länger dauern könnte. Und AfD-Chef Chrupalla kündigte laut dpa bereits an, Rechtsmittel einlegen zu wollen, sollte das Gericht „unserer Argumentation nicht folgen.“