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„Falsche Solidarität“: Empathie kann Diskriminierung und Rassismus befeuern

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Von: Jana Stäbener

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ZWei Frauen im Park - Empathie, Mitgefühl, Trösten.
Empathie ist nicht immer gut, denn sie beschränkt sich oft auf die Personen, die näher an uns dran sind. © Westend61/IMAGO

Empathisch zu sein, gilt als wünschenswert. Doch wusstest du, dass Empathie auch negative Seiten hat und Phänomene wie Diskriminierung oder Rassismus fördern kann? 

Ich bin ein sehr empathischer Mensch. Wenn ich im Fernsehen einen Film schaue, dann bin ich (ganz im Gegensatz zu meinem Freund) sofort Teil der Handlung. Ich ärgere mich, was das Zeug hält, wenn der Protagonist etwas Dummes tut. „Das kann doch nicht sein ernst sein??!!“, fluche ich laut, wenn ich schon sehe, was sich da anbahnt. Gefolgt von weiteren Sätzen wie „Neeeeeein bitte nicht!!“ oder „Och nö, das ist doch blöd.“ Manchmal vergeht mir sogar die Lust, eine Serie überhaupt weiterzuschauen, wenn einer der Hauptcharaktere gestorben ist, oder etwas anderes passiert ist, dass mich zu sehr emotional berührt. Über den Tod von McDreamy bei Greys Anatomy (sorry für den Spoiler) brauchen wir gar nicht erst zu reden.

Was ich empfinde, wenn ich Filme oder Serien schaue, ist nichts anderes als Empathie. Das Wort kann vom spät griechischen Wort empátheia abgeleitet werden, was so viel wie „heftige Gefühlsregung“ bedeutet. Aber warum fühlen wir so heftig mit, wenn ein Charakter im Film stirbt? Wir wissen schließlich, dass das alles nur Fiktion ist. In einem Interview mit der BBC erklärt der Professor für Psychologie, Michael Banissy, dass in unserem Gehirn, wenn wir beispielsweise eine Person sehen, die Schmerzen hat, ähnliche Bereiche aktiv werden, als würden wir selbst Schmerzen erleben. „Wir nennen das ‚stellvertretende Gehirnaktivität‘“, erklärt Banissy der BBC.

Auch beim Krieg in der Ukraine und all den schlechten Nachrichten erleben wir diese stellvertretende Gehirnaktivität. Hier erklärt eine Psychologin, was euch bei Ängsten und Panikattacken wegen des Ukraine-Kriegs hilft

Junge Frau weint zu einem Film.
Dass wir weinen müssen, wenn ein Seriencharakter stirbt, hat auch mit Empathie zu tun. © Panthermedia/IMAGO

Empathie bestärkt mitunter auch Rassismus

Klingt eigentlich erst einmal gut. Wir fühlen also ähnlichen Schmerz, wenn andere Personen leiden. Das macht uns dann doch zu besseren Menschen, oder? Genau das fragt die BBC-Journalistin einen weiteren Experten: den Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt. „Bei Empathie gibt es eine große Tendenz dazu, die eigene Gruppe über andere Gruppen zu stellen“, erklärt er. Deswegen wäre mit Empathie ein großer „In-group/out-group-Bias“ verbunden. Empathie kann mitunter auch Rassismus bestärken – 90 Prozent der Menschen sehen, dass in Deutschland Rassismus existiert.

Wir fühlen den Schmerz also viel stärker, wenn die Menschen, die ihn erleben, Ähnlichkeit mit uns haben. Das wiederum kann Rassismus oder Diskriminierung aufgrund von Herkunft, sozialem Stand oder körperlichen Merkmalen bestärken, sagen Experten. An der Flüchtlingsbewegung im Ukraine-Krieg wurde das deutlich, denn Ukrainer:innen wurden gegenüber anderen Geflüchteten bevorzugt behandelt – auch eine Hamburger Flüchtlingsunterkunft wurde kritisiert.

Diese Bezugnahme auf eine Gruppe sei ein Punkt, an dem Empathie nach hinten losgeht, so Breithaupt. Sie stärke dann das Gruppengefühl und mache blind mache für die Probleme derer, die nicht zur Gruppe gehören. Phänomene wie Massenmord, Kolonialismus oder Krieg, könnten durchaus auch damit erklärt werden. „Bei Konflikten in der Welt ist Empathie also meist eher ein Problem, als die Lösung“, sagt der Experte. Auch Hatespeech auf Social Media und Shitstorms gegenüber einer spezifischen Gruppe oder Person, fallen hierunter, schlussfolgert die BBC. Im Prozess gegen Johnny Depp musste sich beispielsweise Amber Heard mit Hatespeech und lächerlichen TikTok-Videos über sie herumschlagen.

Bei Empathie fehlt der Verstand – das öffnet die Tür für Korruption und Manipulation

Auch die Wirtschaftswoche schreibt darüber, dass Empathie in Gruppen „eine falsche Solidarität heraufbeschwören“ kann. Sie begünstige daher Korruption, denn wer gegenüber Kolleg:innen mal ein Auge zudrückt, der billigt eher Versäumnisse – und zwar nur, weil er Mitgefühl hat. Empathie lässt sich außerdem manipulieren, sagt Claus Lamm, Neurowissenschaftler und Psychologe an der Universität Wien, der Wirtschaftswoche. Sie sei ein reines Gefühl, das sich schon mit Schmerztabletten beeinflussen lasse. Der Verstand werde hier oft völlig außen vor gelassen.

Ein weiteres Problem der Empathie ist laut Tania Singer, einer deutschen Professorin für soziale Neurowissenschaft, dass sie Menschen schnell überfordern kann. In Pflegeberufen beispielsweise ist ein zu hohes Maß an Empathie nicht von Vorteil. „Problematisch wird es dann, wenn eine Person nicht mehr sieht, dass es nicht ihre eigenen Emotionen sind, die sie gerade fühlt“, erzählt die Wissenschaftlerin der BBC.

Grund dafür ist laut Wirtschaftswoche das Stresshormon Cortisol, das bei sehr empathischen Menschen stärker fließt und auf Dauer ermüdet. Dies hatte Singer in einer Untersuchung im Jahr 2014 herausgefunden, bei der Proband:innen schwere Rechenaufgaben lösen mussten. Ihr Stresslevel färbte auf die Personen ab, die deren Leistung eigentlich nur bewerten sollten.

Empathie ja bitte, aber eben auch mal für die gegenteilige Gruppe

Ich glaube nicht, dass es mich oder dich zu einem schlechteren Menschen macht, wenn wir bei Disney-Filmen anfangen zu weinen oder einen ganzen Tag lang schlechte Laune haben, weil unsere Lieblingsfigur gestorben ist. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass auch vermeintlich positive Eigenschaften wie die Empathie ihre Schattenseiten haben. Gerade bei hitzigen politischen Debatten oder unterschiedlichen Vorstellungen, tut es vielleicht mal ganz gut, die Rationalität vorzuziehen. Oder eben sich bewusst nicht in die Gruppe hineinzuversetzen, zu der man selbst gehört, sondern genau der gegenteiligen. Über den Tellerrand hinausblicken, wie man so schön sagt. Oder (digital gesprochen): Einfach mal aus der eigenen Filterblase hinausklettern.

Auch diese emotionalen Fotos wecken Empathie: Sie zeigen die letzten Augenblicke zwischen Menschen und ihren Haustieren.

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