Die 60 erfundenen Hitler-Tagebücher stammen aus der Feder des schwäbischen Fälschers Konrad Kujau, der Adolf Hitlers Handschrift (das muss man ihm lassen) sehr gut zu kopieren wusste. Genau darin lag bisher jedoch das Problem, denn es handelt sich um alte deutsche Schreibschrift, die nur schwer zu entziffern ist. Der NDR beauftragte deswegen Wissenschaftler:innen, die mithilfe einer Künstlichen Intelligenz (KI) ein Transkript erstellten.
Beim Lesen des Transkriptes verfestigte sich für die Journalist:innen des NDR ein wiederkehrendes Motiv: die Leugnung des Holocausts, den auch AfD-Abgeordneter Gauland schon einmal als „Vogelschiss“ bezeichnete. Hitler soll unwissend gewesen sein, suggerieren die Tagebücher. So schreibt der falsche Hitler am 31. Juli 1941, man solle die Juden zur schnellen Auswanderung bewegen oder ihnen „einen sicheren Landstrich in den besetzten Gebieten suchen, wo sie sich selbst ernähren und verwalten können.“ Zu diesem Zeitpunkt war der Holocaust laut NDR aber von den Nazis „längst radikal entfesselt“. Hier drei Gründe, warum das Wort „Machtergreifung“ für den 30. Januar 1933 problematisch ist.
Immer wieder ließ Kujau in die Tagebücher angebliche Aussagen Hitlers einfließen, die ganz klar verharmlosen, welche Verbrechen er während des Holocausts beging. „Diese ‚Tagebücher‘ sind Ausdruck von Holocaust-Leugnung. Das ist eindeutig“, sagt der Historiker Professor Hajo Funke von der FU Berlin zum NDR. „Sie wollten Hitler von den schlimmsten Verbrechen der Nazis freisprechen“, so Funke.
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Bisher sei der Fälscher Konrad Kujau immer als lustiger Ganove dargestellt worden. So auch in der RTL-Serie „Faking Hitler“ mit Lars Eidinger, in der Kujau von Moritz Bleibtreu gespielt wird. Laut NDR-Recherche sei dieses Bild irreführend. Kujau soll „in seiner Stammkneipe regelmäßig den Hitlergruß gezeigt haben“ und „gelegentlich in SS-Kluft erschienen sein“, berichtet der NDR.
Er soll sich laut Zeugen wiederholt als Neonazi bezeichnet haben und Kontakte zu Lothar Zaulich, Pressesprecher der nationalsozialistischen Partei ANS/NA, gehabt haben. Mit dem soll Kujau gemeinsam Hitler-Bilder vervielfältigt und auf Flohmärkten verkauft haben, berichtet der NDR. Auch bei der Perfektion der Hitler-Handschrift soll ihm Zaulich geholfen haben.
Laut NDR finden sich in Kujaus Hitler-Tagebüchern „zentrale Narrative der westdeutschen Neonazis“. Diese seien der Mythos vom angeblich guten Hitler und die Vertuschung der Gaskammern. Eine Suche im vollständigen Transkript zeigt, dass Begriffe wie „Gaskammer“ oder „Deportation“, „Endlösung“ und „Auschwitz“ kein einiges Mal in den Tagebüchern vorkommen. „Diese ‚Tagebücher‘ sollten den Holocaust löschen“, schreibt das NDR-Recherche-Team. „Nichts, gar nichts hat man gelernt“, würde die NS-Regime-Überlebende Lucia Heilman dazu wohl sagen.
Der Stern äußert sich auf Anfrage des NDR zuerst nicht zu den neuen Recherchen. Man betont lediglich, dass man die Originale der Tagebücher nie für die Öffentlichkeit freigegeben habe, um „Missbrauch zu verhindern“. Eine 2013 vom Stern zugesagte Freigabe der Originale an das Bundesarchiv ist bis heute nicht erfolgt.
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