Konzert-Abbruch in Bern – weil weiße Musiker Dreadlocks tragen und Reggae spielen

Ein Konzert-Abbruch in Bern sorgt für mediale Aufregung. Die weißen Musiker der Reggae-Band tragen Dreadlocks, was vor Ort für „Unwohlsein“ sorgte.
Bereits am 18. Juli kam es in dem Berner Szenerestaurant Brasserie Lorraine zu einem Vorfall, der nun die Gemüter in der Schweiz bewegt. Die Mundart-Band Lauwarm gab dort ein Konzert und musste ihren Auftritt frühzeitig abbrechen. Der Veranstalter, die Genossenschaft Brasserie Lorraine, trat nach der Pause an die Musiker heran und bat sie um einen Abbruch des Konzerts. Der Grund: Mehrere Besucher:innen hatten ihr „Unwohlsein mit der Situation“ geäußert. Darüber berichteten zunächst Schweizer Medien, wie das Magazin Blick.
Stein des Anstoßes war die Tatsache, dass die weißen Musiker Reggae-Musik spielten und zum Teil auch Dreadlocks trugen. Da die aus Jamaika stammende Reggae-Musik einen afrokaribischen Hintergrund hat und Dreadlocks nach heutigem Verständnis typischer Haarschmuck Schwarzer Menschen sind, wurde den Musikern von Lauwarm kulturelle Aneignung vorgeworfen. „Nach einem Gespräch mit der Band haben wir uns zusammen dafür entschieden, das Konzert abzubrechen“, schreibt die Brasserie Lorraine in einem Facebook-Post.
Nach Konzert-Abbruch wegen Dreadlocks: Reggae-Band lädt zu Diskussion ein
Die Genossenschaft Brasserie Lorraine schreibt weiter, dass sie sich bei allen Besucher:innen entschuldigen, „bei denen das Konzert schlechte Gefühle ausgelöst hat.“ Die Band Lauwarm selbst postete am Morgen des 27. Juli eine Stellungnahme auf Instagram, „um Missverständnisse zu verhindern.“ Man begegne „allen Kulturen mit Respekt“, stünde aber auch „zu der Musik welche wir spielen, zu unserem Erscheinungsbild und zu unserer Art wie wir sind.“
Die Musiker schreiben außerdem, dass sie mit dem Thema der kulturellen Aneignung „bis jetzt noch nie direkt konfrontiert“ wurden. Unter dem Hashtag #talklauwarm lädt die Band ihre Fans nun dazu ein, „über die Definition und Unterschiede von Inspiration und Aneignung“ zu diskutieren. Offenbar erst infolge der aktuellen Aufmerksamkeit hat die Mundart-Band auch ein eigenes Twitter-Profil eingerichtet, in dessen Beschreibung ebenfalls direkt zur Debatte aufgefordert wird: „Diskutiere über den Unterschied zwischen kultureller Aneignung und Inspiration unter dem Hashtag #talklauwarm.“
Debatte um kulturelle Aneignung erreicht nun auch die Schweiz
Auf Twitter wird der Fall heiß diskutiert, seitdem auch deutsche Medien über diesen Vorfall berichten. Allerdings weniger unter dem Hashtag #talklauwarm. Kurzzeitig trendeten die Begriffe Dreadlocks und Weiße, weil vor allem die Forderung, weiße Menschen dürften keine Dreadlocks tragen, für Unverständnis und Empörung sorgte. Erst im März hatte ein ähnlicher Fall in Deutschland für Aufsehen gesorgt: Eine weiße Sängerin wurde von einer Fridays for Future-Veranstaltung in Hannover ausgeladen, weil sie Dreadlocks trug und ihr deshalb kulturelle Aneignung vorgeworfen wurde. Mit der Aufregung um den Konzert-Abbruch in Bern erreicht diese Debatte nun auch die Schweiz und erweist sich auch dort als Reizthema.
Mit kultureller Aneignung ist gemeint, dass Menschen der weißen Dominanzkultur sich einer marginalisierten Kultur bedienen und daraus Profit schlagen oder sich profilieren, zum Beispiel durch Musik oder Bekleidung. Seit einigen Jahren wird dieses Thema, aus den USA kommend, auch in Europa zunehmend diskutiert, wie der Deutschlandfunk schon 2017 berichtete. Besonders im Fokus stehen dabei Frisuren wie eben Dreadlocks, mit denen sich in erster Linie Schwarze Menschen identifizieren. Aber auch kulturelle Aneignung beim Essen ist ein heiß diskutiertes Thema.
„Die aktuelle Diskussion um Identitätspolitik und kulturelle Aneignung hat etwas sehr Destruktives“
Das Berner Szenerestaurant Brasserie Lorraine äußerte sich ebenfalls zum Vorwurf der kulturellen Aneignung. „Auch uns war zu wenig bewusst, welche Tragweite dieses Thema hat und was es mit Menschen machen kann“, teilten die Betreiber am 26. Juli laut der Deutschen Presse-Agentur mit. Allerdings sind sie nicht der Meinung, „dass Mitglieder der Band oder weiße Menschen automatisch Rassisten sind“.
Das Restaurant hat für den 19. August zu einem Austausch eingeladen. „Die aktuelle Diskussion um Identitätspolitik und kulturelle Aneignung hat etwas sehr Destruktives“, schreiben sie. „Es haben sich Fronten gebildet und es gibt nur schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Uns geht es um die Zwischentöne.“