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3 Gründe, warum das Wort „Machtergreifung“ für den 30. Januar 1933 problematisch ist

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Von: Jana Stäbener

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Vor 90 Jahren kamen Adolf Hitler und die Nationalsozialisten (NSDAP) an die Macht. Drei Gründe, warum wir das nicht als „Machtergreifung“ bezeichnen sollten.

Am 30. Januar 1933 ernannte der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Dieser Tag markiert das Ende der Weimarer Republik und ist für uns heute, neben dem 27. Januar (an dem 2023 erstmals eine Gedenkstunde für queere Opfer der Nazi-Zeit im Bundestag stattfand), ein Gedenktag. Er erinnert daran, wie Adolf Hitler und die Nationalsozialisten damals an die Macht kamen.

Die Nationalsozialisten feierten ihre Machtübernahme damals mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor. Nach der Ernennung zum Reichskanzler, die umgangssprachlich oft als „Machtergreifung“ bezeichnet wird, hebelten Hitler und die NSDAP das demokratische System Stück für Stück aus und errichteten eine Diktatur, in der 1,1 Millionen Menschen, vor allem Jüd:innen, ermordet wurden. Doch der Begriff „Machtergreifung“ ist problematisch. Hier drei Gründe, warum.

1. Die Nationalsozialisten verwendeten das Wort „Machtergreifung“ selbst.

Laut dem Friedrich-Verlag und Historiker Dan Diner verwendeten die Nationalsozialisten selbst den Begriff „Machtergreifung“, weil er einen „revolutionären Vorgang“ beschrieb. Irgendwann bevorzugten sie dann den Begriff „Machtübernahme“. Sie wollten damit ausdrücken, dass es einen legalen und politisch normalen Machtwechsel gegeben habe.

Mehr zum Thema: Mögliche Nazi-Bezüge: Aktivisten markieren „kritische Straßennamen“ in Städten.

2. Die deutschen Bürger:innen zur NS-Zeit sind beim Wort „Machtergreifung“ eher fein raus.

Wie der Friedrich-Verlag, es ausdrückt, beschreibt der Begriff „Machtergreifung“ ein „aktives, usurpatorisches Vorgehen einer handelnden Person oder Gruppe“. In diesem Fall von Adolf Hitler und die NSDAP. Das Wort legt nahe, dass es einen gewalttätigen, illegalen Vorgang gab, gegen den sich niemand wehren konnte.

„Der Begriff suggeriert einen Gewaltakt, einen Staatsstreich. Dem war nicht so“, schreibt der Freitag-Autor Leander Badura. „Das Sicherheitsschloss der Demokratie musste von den Nazis nicht aufgebrochen werden – es war längst zerbrochen und die Tür zur Macht weit aufgestoßen worden. Es war keine Machtergreifung, es war eine Machtübergabe der konservativen Eliten an die Nazis.“

Das Entscheidende sei gewesen, dass die NSDAP Teil einer Rechtskoalition wurde. Laut Freitag-Autor gab es „eine rechtsextreme Einheitsfront“, gegen die es kaum Widerstand von bürgerlicher Seite gegeben habe. „Am 21. März, als der am 6. März neu gewählte Reichstag – bei dem die NSDAP und ihre Bündnispartner zusammen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielten – eröffnet wurde, konnte die ganze Welt sehen, dass es weder im konservativ-bürgerlichen, noch im reaktionär-aristokratischen Milieu nennenswerte Ambitionen gab, sich gegen Hitler zu stellen.“

Die Erinnerung an den Holocaust ist nicht auch durch explizite Taten in Gefahr. Zum Beispiel schändeten Unbekannte die KZ-Gedenkstätte Buchenwald und sägten Erinnerungsbäume ab.

3. „Machtergreifung“ klingt so, als könne es uns heute nicht mehr passieren.

Am Abend der „Machtübertragung“ huldigen die Schlägertrupps der NSDAP per Fahnenappell ihrem Führer vor der Reichskanzlei. dpa
Am Abend der „Machtübertragung“ huldigen die Schlägertrupps der NSDAP per Fahnenappell ihrem Führer vor der Reichskanzlei. © dpa

Auch der Historiker Dan Diner sagt in einem Interview mit der Morgenpost, dass das Wort „Machtübertragung“ viel zutreffender sei. „Diejenigen, die die Macht in Händen hielten, übertrugen diese Macht in einem bestimmten Augenblick auf Hitler.“ In dem Fall sei das Hindenburg gewesen, der Reichstag sei „gelähmt“ gewesen von der „negativen Mehrheit der Nationalsozialisten und Kommunisten“, so Diner. „In diesem Sinne war es ein Akt, dem aus heutiger Sicht, aber auch aus Sicht der Zeitgenossen etwas Unerwartetes, vielleicht sogar des Zufälligen zukam. Also etwas, das jenseits von Wahlen oder eines militanten Zugriffs erfolgte.“

Ein Zufallsakt, bei dem mehrere Dinge genau so ineinander spielten, dass Adolf Hitler und die NSDAP an die Macht kommen konnten. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass so etwas auch in unserer Demokratie nicht ausgeschlossen ist. Nicht umsonst, ruft die Kampagne #KeinVogelschiss dazu auf, das NS-Regime nicht als einmaligen Ausrutscher zu bezeichnen. „Demokratischer Widerstand und Wachsamkeit ist wie ein Muskel, den wir ständig trainieren müssen“, sagt Julia Yael Alfandari, die Leitung politische Bildung der Bildungsstätte Anne Frank.

Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ruft pünktlich zum 90. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten dazu auf, die Demokratie aktiv zu verteidigen. Man dürfe sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, warnte der SPD-Politiker laut Deutscher Presse-Agentur (dpa). Immer wieder zeigten auch hierzulande Menschen offen ihre Ablehnung gegenüber demokratischen Institutionen und Repräsentanten. Demokratie lebe von unterschiedlichen Meinungen, „Hass und Verachtung aber zerstören den demokratischen Diskurs“ (so auch bei Twitter) und müssten bekämpft werden.

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