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Malen gegen Rassismus: Unternehmen verkauft Buntstifte in diversen Hauttönen

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Von: Robert Wagner

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Die Produktpalette der Hautfarben UG (2022)
Die Produktpalette der Hautfarben UG ist noch klein und voll auf ein Thema ausgerichtet: Die Bekämpfung von Rassismus. © Hautfarben UG

„Gib mir mal die Hautfarbe.“ Den Satz kennen viele aus ihrer Kindheit. Gemeint war damit bisher vor allem Schweinchenrosa. Ein Unternehmen will dafür sorgen, dass sich das ändert.

Es ist eine Idee, die banal erscheint, aber große Wirkung erzielen könnte: Kinder sollen Menschen auch mit einer anderen Hautfarbe als dem bekannten Schweinchenrosa malen können. Stets war dies der Farbton, den man hierzulande im Kindesalter (und darüber hinaus) umgangssprachlich „Hautfarbe“ nannte – selten reflektierte man aber, warum eigentlich nur dieser Farbton so genannt wird. Das ist problematisch, da auf diese Weise die Idee reproduziert wird, Menschen wären grundsätzlich immer weiß.

Es ist diese Reflexion über scheinbar Selbstverständliches, die ein junges Berliner Unternehmen mit Buntstiften in unterschiedlichen Hautfarbtönen anregen will. Sie sollen Kindern die Möglichkeit geben, sich selbst und andere Menschen mit den Hautfarben malen zu können, die der Realität entsprechen. Auf diese Weise soll ihnen frühzeitig vermittelt werden, dass es so etwas wie eine weiße „Standardhautfarbe“ nicht gibt. Rassismuskritische Kindererziehung und Sensibilisierung für die menschliche Vielfalt ist das Anliegen der 2021 gegründeten Hautfarben UG.

Hervorgegangen ist dieses Unternehmen aus dem gemeinnützigen Verein GoVolunteer, der im August 2015 gegründet wurde, um in der damals akut werdenden „Flüchtlingskrise“ konkrete Hilfe vor Ort zu leisten. Was mit der Organisation und Koordination ehrenamtlicher Flüchtlingshilfe begann, nennt sich heute „Deutschlands größte Community für soziales Engagement“. Dem Vereinsgründer Malte Bedürftig kam 2016, als Rassismus, Pegida und der Aufstieg der AfD in aller Munde waren, die Idee, dass auch nicht-weiße Kinder sich im gängigen Sortiment an Buntstiften wiederfinden sollten.

Unternehmensgründer fragten sich: „Was können wir gegen Rassismus konkret tun?“

Malte Bedürftig, ein ehemaliger Unternehmensberater, ist ein umtriebiger Mann mit großem sozialen Verantwortungsbewusstsein. GoVolunteer und die Hautfarben UG sind mittlerweile zwei von fünf Berliner Start-ups, die unter der Dachorganisation Join Impact zusammengefasst sind. Alle drei Projekte verantwortet Bedürftig gemeinsam mit seinem Freund Thomas Noppen, der auch die Hautfarben UG mitgegründet hat. Es war ein gemeinsamer Kneipenabend der beiden Freunde, an dem die Idee inklusiver Buntstifte Form annahm.

Den Antrieb der beiden Männer fasst ein Satz auf der Internetseite der Hautfarben UG gut zusammen: „Wir möchten jedem Menschen die Chance geben, sich aktiv in unsere Gesellschaft einzubringen.“ Der Kampf gegen rassistische Strukturen ist dabei nur eines von vielen Feldern. Die anderen drei Start-ups unter dem Dach von Join Impact fördern den kulturellen Austausch und verschenken Gutscheine (HiMate), betreiben einen sozial nachhaltigen Coworking-Space (Machwerk) und organisieren Projekte im Natur- und Artenschutz (GoNature).

Die Produkte der Hautfarben UG sollen das Problem des überall vorhandenen Rassismus an der Wurzel angehen. Wie aktuell dieses Thema weiterhin ist, wird immer wieder deutlich. Etwa, wenn eine Schwarze Frau auf Twitter Schutzräume für Schwarze Menschen einfordert und dafür einen rassistischen Shitstorm kassiert. Sogar Roboter können rassistisch sein. „Wir haben uns vor ein paar Jahren die Frage gestellt: Was können wir gegen Rassismus konkret tun?“, sagt Thomas Noppen im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland. Das Ergebnis dieser Überlegungen waren Buntstifte, mit denen Kinder nicht-weiße Menschen malen können.

Hautfarben UG will mit Buntstiften gegen rassistische Stereotypen angehen

„Wir wollten ein greifbares Produkt schaffen, das die Entstehung rassistischer Strukturen bekämpft“, erklärt Thomas Noppen. Bei der Kindererziehung anzusetzen, sei da naheliegend gewesen. „Kinder kommen ohne Vorurteile zur Welt. Stereotypen werden erst erlernt, zum Beispiel dadurch, dass der Begriff Hautfarbe unreflektiert mit der Farbe Rosa gleichgesetzt wird.“ Ein anderer Weg, auf dem sich rassistisches Denken ausbilden kann, ist rassistisches Spielzeug, wie eine Kulturwissenschaftlerin hier erklärt.

Durch den Gebrauch von rosafarbenen Buntstiften, die für das Ausmalen von Menschen und deren Gesichtern gedacht sind, erlernen die Kinder diese Stereotype und damit letztlich rassistisches Denken: Menschen sind grundsätzlich weiß. Andere Hautfarben werden dann als Abweichung von der Norm empfunden, die eigentlich gar nicht vorgesehen sind. Dem wollen Bedürftig und Noppen mit ihren Produkten entgegenwirken und ihren Teil dazu beitragen, „Kinder diskriminierungsfrei zu erziehen.“

Mache man Kinder nur frühzeitig genug mit der Realität unterschiedlicher Hautfarben vertraut, würden sie sehr schnell lernen, dass es nicht den einen Hautfarbton gibt. Der Süddeutschen Zeitung erzählte Malte Bedürftig im Jahr 2020 eine Anekdote, die das veranschaulicht. Eine Mutter erzählte ihm, dass sie gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter etwas ausgemalt und sie um den Hautfarbenstift gebeten hatte. Das Kind reagierte überfordert und fragte: Welchen meinst du denn? Die Mutter fühlte sich ertappt.

Forschung bestätigt Bedeutung rassismuskritischer Erziehung

Kinder seien so viel klüger als Erwachsene, sagt Bedürftig damals. „Sie teilen die Welt nicht in Schubladen ein, sondern übernehmen vorgelebte Denkstrukturen.“ Deshalb sei es so wichtig, die Realität richtig abzubilden. „Wir wollen alle Hautfarben repräsentieren“, betont auch Noppen im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland. Die Erkenntnis, wie wichtig Repräsentation ist, setzt sich inzwischen immer häufiger durch. Auch in der Kinder- und Jugendliteratur ist ein Umdenken zu beobachten: Die „Wilden Hühner“ wären heute nicht mehr alle weiß, sagt die Autorin Cornelia Funke.

Die medizinisch-psychologische Forschung bestätigt die Bedeutung rassismuskritischer Erziehung im frühkindlichen Alter. Der Schweizer Kinderarzt und Entwicklungspsychologe Sepp Holtz vom Kinderspital Zürich erklärt in einem Artikel auf dem Erziehungsportal Pro Juventute: „In uns allen schlummert eine gewisse Neigung, vorschnell zu urteilen oder eine Tendenz, rassistisch zu denken. Diese Seite in uns, gilt es anzuerkennen und ihr zugleich entgegenzuwirken.“ Deshalb sei es wichtig, dass Kinder früh lernen, mit unterschiedlichen Menschen umzugehen, damit sich rassistische Vorurteile gar nicht erst entwickeln.

Holtz betont, dass Rassismus an sich nicht angeboren ist. Er ist eine Verhaltensweise, die sich Kinder von ihrem Umfeld abgucken und die auf der natürlichen Neigung beruht, Menschen in Kategorien einzuteilen. Rassismus wird also vorgelebt. Wie sehr das zutrifft, hat vor einigen Jahren die Geschichte zweier Schuljungen aus Kentucky/USA gezeigt. Einer war Schwarz, der andere weiß. Und doch waren sie felsenfest davon überzeugt, dass ihre Lehrerin sie nicht würde unterscheiden können, wenn sie nur dieselbe Frisur tragen. Die Geschichte ging damals in den sozialen Medien viral und macht auf sehr eindrückliche Weise deutlich, wie farbenblind Kinder sind, wenn sie die richtigen Vorbilder haben.

Macher der Hautfarben UG „wollen was erreichen“

Noppen und Bedürftig erfahren von vielen Seiten Zuspruch für ihr Vorhaben, dem Konzept des rosafarbenen Hautfarbstiftes etwas entgegenzusetzen. „Wir haben von vielen Seiten viel Feedback bekommen, dass das nötig war. Von nicht-weißen Kindern, aber auch von weißen Kindern, die den Wunsch äußerten, nicht-weiße Menschen malen zu können. Auch von weißen Eltern, die ihre Kinder rassismuskritisch erziehen möchten“, sagt Noppen.

Noch ist die Produktpalette der Hautfarben UG klein. Neben einem Set aus insgesamt zwölf Buntstiften, das in Kooperation mit einem großen Stifthersteller entstand, umfasst das Angebot ein Malbuch, ein Puzzle und Wachsmalstifte. Weitere Produkte sind laut Noppen in Planung, darunter dickere, unlackierte Stifte für Kleinkinder und neue, selbst entwickelte Farbtöne. Die Unternehmer sind zuversichtlich, was die Zukunft angeht. „Das Interesse an unseren Stiften ist riesig“, sagt Noppen. „Die Nachfrage ist größer als das, was wir bisher erreicht haben.“

Aktuell konzentriert sich ihre Aktivität auf die Märkte in Deutschland und Österreich, wo es „noch viel Potenzial für unsere Produktpalette gibt“, so Noppen. Bis 2023 will man hier expandieren, mehr Einzelhändler erreichen und mit unterschiedlichen Einrichtungen zusammenarbeiten. Aber Noppen und Bedürftig denken schon weiter: Auch eine Expansion ins europäische Ausland ist langfristig geplant. „Testballons“, wie Noppen es ausdrückt, wurden bereits gestartet, beispielsweise in Frankreich. Dort sei man bereits mit einer Stiftung im Gespräch.

„Wir gucken uns an, wie der Diskurs über die Repräsentation diverser Hautfarben in anderen Ländern geführt wird, ob es dort überhaupt Bedarf gibt an unseren Hautfarben-Buntstiften. Davon hängt es ab, wo wir expandieren wollen,“ erklärt Noppen. Jedenfalls habe man das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft, sagt er. „Wir wollen was erreichen.“

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