Rassismus in der Medizin: Ignoranz und Irrtümer können für Schwarze Menschen gefährlich werden

Rassismus im Gesundheitswesen ist vor allem seit Corona zunehmend ein Thema. Besonders Schwarze Menschen werden von Mediziner:innen offenbar oftmals nicht ernst genommen.
Rassismus im Gesundheitswesen wird auch in Deutschland vermehrt als Problem wahrgenommen, wie das Deutsche Ärzteblatt berichtet. Zuverlässige Daten dazu liegen bisher hauptsächlich aus dem Ausland vor, besonders aus den USA, Kanada und Großbritannien. Für Deutschland hat im Jahr 2020 der Afrozensus erstmals systematisch Stimmen Schwarzer und afrikanischstämmiger Menschen gesammelt, die im Bereich „Gesundheit und Pflege“ rassistische Diskriminierung erfahren haben. Diese Befragung ist jedoch nicht repräsentativ.
Eine Studie aus dem 2021 bestärkt die Vermutung, dass Rassismus ein relevantes Problem auch im deutschen Gesundheitssystem ist. Sie stellt fest, dass zwischen Januar und August 2021, also während der Coronapandemie, über 4.500 ausländische Staatsangehörige mehr verstorben sind als im gleichen Zeitraum 2019. Allerdings liefert sie nur Hinweise in diese Richtung, da die Staatsangehörigkeit nicht zwingend etwas darüber aussagt, ob ein Mensch Opfer von Rassismus ist oder nicht. Von Rassismus betroffen sind in der Ukraine derzeit auch viele Schwarze Geflüchtete, die an der Grenze „wie Tiere behandelt“ werden.
Diskussion um Rassismus im Gesundheitswesen neu angestoßen
Der klinische Notstand während der Pandemie hat die Diskussion um Rassismus im Gesundheitswesen neu angestoßen. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) will nun für die Situation in Deutschland eine belastbarere Datengrundlage schaffen. Für den März 2023 plant es die Veröffentlichung eines Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa), der das Rassismusproblem auf einer breiten Grundlage abbilden will.
„Die Coronapandemie und ihre Folgen haben die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Rassismus, sozialer Ungleichheit und Gesundheit neu gestellt“, erklärt der Projektleiter des NaDiRa Cihan Sinanoglu gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. „Wir wollen wissen, welche Diskriminierungserfahrungen rassifizierte Gruppen beim Zugang ins Gesundheitssystem und in der Versorgung machen“, so Sinanoglu weiter. Außerdem werde man die ärztliche Ausbildung und das dort weitergetragene rassistische Wissen sowie die Perspektiven der Ärzteschaft auf nicht-weiße Menschen in den Blick nehmen.
Rassismus in der Medizin ist tief verwurzelt
Gerade was Letzteres betrifft, gibt es offenbar großen Verbesserungsbedarf. Rassismus kann für Schwarze Menschen ganz konkret zum Risikofaktor für die Gesundheit werden. Hautkrankheiten etwa äußern sich auf dunkler Haut anders als auf weißer und werden bei Schwarzen Patienten oft falsch eingeschätzt, heißt es im Ärzteblatt. Das Problem: Medizinische Fachbücher und Nachschlagewerke erläutern Krankheitsbilder anhand von Fallbeispielen an weißer Haut.
Die gesamte Schulmedizin nimmt stets den männlichen Körper eines weißen Europäers zur Grundlage von Forschung und klinischer Praxis. Das führt nicht nur dazu, dass die Medizin bis heute die Besonderheiten von Frauen ignoriert, sondern auch die Bedürfnisse nicht-weißer Menschen zu wenig berücksichtigt. Hier teilen Frauen absurde Kommentare von Mediziner:innen, die sprachlos machen.
Einerseits wird dem ethnischen Hintergrund mutmaßlich auch zu viel Bedeutung beigemessen, etwa wenn Lungen- oder Nierenwerte bei nicht-weißen Menschen mittels „Race-Korrekturfaktoren“ anders gelesen werden als bei Weißen. Diese Praxis gerät zunehmend in die Kritik, wie das Deutsche Ärzteblatt ausführt.
Beschwerden von Schwarzen Frauen werden heruntergespielt
Neben diesen vermeintlich wissenschaftlich fundierten „Race-Korrekturfaktoren“ kursieren in der Medizin auch Stereotype über Schwarze Menschen, die Jahrhunderte zurückreichen. So wird ihnen oftmals unterstellt, besonders unempfindlich gegenüber Schmerzen zu sein. Ein rassistisches Vorurteil, das auf die Zeit der Sklaverei zurückgeht und die Ausbeutung und Misshandlung Schwarzer Menschen rechtfertigen half.
In der Lebenswirklichkeit der heutigen Zeit führt dieses Stereotyp dazu, dass nicht-weiße Menschen, insbesondere Frauen, sich mit nicht verstanden fühlen, weil ihre Beschwerden heruntergespielt werden, wie der Spiegel berichtet. Auch Dermatillomanie wird bei Schwarzen seltener diagnostiziert, als bei weißen Menschen. Betroffene machen auf TikTok auf die psychische Störung Dermatillomanie aufmerksam.
Mikroaggressionen sind Alltag für Schwarze Patient:innen
Noch häufiger sind die typischen Mikroaggressionen, mit denen sich Schwarze Menschen in einer weißen Mehrheitsgesellschaft ohnehin jeden Tag konfrontiert sehen. Vielfach erfahren sie einen „Othering-Prozess“, das heiß, sie bekommen das Gefühl vermittelt, fremd zu sein und nicht wirklich zur Gesellschaft zu gehören. Sätze wie „Seien Sie froh, dass Sie in unserem Land so eine gute Behandlung bekommen“, gehören für Schwarze Menschen in einer Arztpraxis zum Alltag, wie Muna Aikins gegenüber der Zeit ausführt. Die Sozialwissenschaftlerin war federführend an der Ausarbeitung des Afrozensus beteiligt, der gezielt nach solchen Erfahrungen fragte.
Es sind solche auf Außenstehende harmlos wirkende Bemerkungen, die in der Summe und über Jahre hinweg zermürben können. „Für einige Schwarze Menschen bedeutet es großen Stress, zum Arzt zu gehen“, sagt Aikins. Manche würden Arztbesuche deshalb sogar aufschieben oder vermeiden. Dieser erstmals vom Afrozensus festgestellte Umstand macht deutlich, wie notwendig weiterführende Untersuchungen zu diesem Thema sind.