Stauffenberg ein Antisemit? Olaf Scholz‘ Tweet zum 20. Juli entfacht Debatte über deutsches Heldentum

Bundeskanzler Olaf Scholz twittert, er bewundere Stauffenberg dafür, sich den Nazis entgegengestellt zu haben. Dafür hagelt es Kritik – denn auch Stauffenberg war offenbar selbst Antisemit.
Der 78. Jahrestag des gescheiterten Stauffenberg-Attentats auf Adolf Hitler wurde von der Bundesregierung groß zelebriert. Am 20. Juli 1944 hätten der Wehrmachtsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Mitarbeiter:innen „ein Zeichen für unbedingten Mut gesetzt“, um Adolf Hitlers NS-Regime zu beenden, schreibt die Bundesregierung auf ihrer Website. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußert sich am Mittwoch in einem Tweet zum misslungen Attentat. „Ich bewundere ihren Mut und den all derer, die sich den Nazis entgegenstellten.“ Dafür erntet er viel Kritik und löst eine Debatte über deutsches Heldentum aus. BuzzFeed News Deutschland erklärt, warum.
Stauffenberg brachte laut Olaf Scholz „Opfer für die Demokratie“
Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) es schreibt, versuchten Wehrmachtsoffiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 vergeblich, Hitler mit einer Bombe zu töten und den Krieg zu beenden. Stauffenberg und drei Mitverschwörer wurden noch am Abend des Attentats im Innenhof des Bendlerblocks erschossen. In den folgenden Wochen und Monaten richteten die Nazis rund 90 weitere Beteiligte und Unterstützer hin.
Scholz schrieb in seinem Tweet vom 20. Juli: „Ihr Opfer verpflichtet uns, stets für die Demokratie einzustehen.“ Und auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte am Mittwoch: „An keinem Tag des Jahres ist es passender, Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr auf die Werte unseres Grundgesetzes, auf die Demokratie und auf das treue Dienen zu verpflichten.“ Sie sieht im Attentat direkte Auswirkungen auf den moralischen Kompass von deutschen Soldat:innen, denn seitdem sei klar, das „Gewissen steht über dem Gehorsam“.
Im Mai sorgte Scholz mit einem Nazi-Vergleich für Schlagzeilen – er muss „für Klarheit sorgen“, sagte der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank damals.
Stauffenberg ein Antisemit – hatte gegen Bereinigung der „arischen Rasse“ nichts einzuwenden
Auf Twitter trendet noch am Donnerstag, 21. Juli, #Stauffenberg und #Mischvolk. Warum das? Weil Claus Schenk Graf von Stauffenberg in einem Brief an seine Frau Nina einmal über die Menschen in Polen schrieb: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt.“ Der Deutschlandfunk sieht in diesem Zitat Stauffenberg einen Beleg, dass er die Rassenpolitik der Nazis zumindest 1939 noch unterstützte und ein Antisemit war. Kritik an unserer Erinnerungskultur übt auch diese NS-Regime-Überlebende: „Nichts, gar nichts hat man gelernt“, so Lucia Heilman im Interview.
Viele Twitter-User:innen nehmen dieses Zitat als Aufhänger, um an Scholz Tweet Kritik zu äußern. „Zu keinem Zeitpunkt stand #Stauffenberg für Demokratie ein“, schreibt der User @aluhutt. Er habe die Idee eines deutschen Großreichs befürwortet und auch gegen die Bereinigung einer „arischen Rasse“ nichts einzuwenden gehabt, fährt er fort (siehe Tweet unten).
Auch der Journalist Hanning Voigts twittert, dass zumindest klar sein sollte, dass am Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 „Antisemiten, Kriegsverbrecher, Monarchisten, Völkermörder und überzeugte Nationalsozialisten beteiligt“ waren. „Vielen ging es vor allem darum, eine drohende Kriegsniederlage und Besetzung Deutschlands abzuwenden“, schreibt er am Jahrestag des Stauffenberg-Attentats (siehe Tweet unten). Viele AfD-Politiker:innen kommentieren unter dem Hashtag #Stauffenberg, dass er für sie dennoch ein Held sei. Das verwundert nicht, wenn man liest, dass auf einem AfD-Parteitag ein Nazi-Magazin verteilt wurde – Co-Vorsitzende Alice Weidel tut ahnungslos, kennt es aber gut.
Das „wahre Gesicht“ von Claus Schenk von Stauffenberg: ein Antisemit?
Doch wer war Stauffenberg dann, wenn nicht ein Held der deutschen Zeitgeschichte? Schon seit Jahrzehnten wird immer wieder Kritik am Widerstandskämpfer Stauffenberg geübt. Zum Filmstart des bekannten Hollywood-Klassikers „Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat“ mit Tom Cruise in der Hauptrolle veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) 2009 eine Recherche zur Person Claus Schenk von Stauffenberg. Sie trug den Titel „Sein wahres Gesicht“ und legt dar, dass Stauffenberg „ein idealisiertes mittelalterliches Reich“ ersehnte, „durch das Europa – unter der Führung Deutschlands – ein neues Maß an Kultur und Zivilisation erlangen würde“.
Stauffenberg glaubte an die Politik der „Bereinigung der deutschen Rasse und des Ausmerzens jüdischer Einflüsse“, um Deutschland wieder zur gewünschten Größe zu verhelfen. Er unterschied sich in der Hinsicht also nicht entscheidend von dem Antisemiten Hitler, den er am 20. Juli 1944 aus dem Weg räumen wollte. Erst spät realisierte er, dass Deutschland sich durch die Morde an Juden und auch an Kriegsgefangenen die Chance verbaute, in Europa eine als Deutsches Reich zu herrschen. Mit seinem Anschlag versuchte er also „nur“ die „Ehre des deutschen Volkes zu retten“, heißt es im Text der SZ.
Um Antisemitismus dewur auch bei der Documenta 15 viel diskutiert: Jüdischer Museumsdirektor Loewy kritisiert Documenta: „Jetzt müssen wir Tacheles reden“.
Widerstandskämpfer wie Stauffenberg: „Respekt bedeutet nicht, sie als Helden zu verehren“
Auch die Jüdische Allgemeine griff die Frage, ob Stauffenberg als Held verehrt werden sollte, in einem aktuellen Artikel auf. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, findet, man solle der Gruppe um Stauffenberg Respekt zollen. Aber: „Respekt bedeutet nicht, sie als Helden zu verehren“, denn diese Männer waren keine Demokraten – einige sogar Antisemiten gewesen. Es sei deswegen falsch, sie immer auf einen Sockel zu stellen. Das sieht auch der Jurist Niema Movassat so. Laut ihm sollten wir „lieber diejenigen gedenken, die vom 1. Tag aus Überzeugung Widerstand leisteten“.
Genauso wie Jules El-Khatib, Landessprecher und Spitzenkandidatder Linken in Nordrhein-Westfalen (siehe Tweet ganz unten), spielt Movassat auf Aktivist:innen wie die Weiße Rose oder auch Georg Elser an. Über letzteren schreibt die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg (lpb bw), dass er schon „früh in seinem Leben ein ausgeprägtes Freiheitsgefühl und Unabhängigkeitsstreben“ entwickelt habe. Deshalb habe Elser das rechte Gedankengut von Anfang an abgelehnt, den „Hitlergruß“ verweigert und von August 1939 in München gelebt, um das Attentat am 8. November 1939 Adolf Hitler zu planen.
Mehr Nazi-Themen? Diese 36 Menschen antworten auf Alexander Gaulands Wehrmachts-Rede von 2017 – viele sehr persönlich.