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Rechte Esoterik: Bei Corona-Protesten demonstrieren Hippies neben Rechtsextremen – wie kam es dazu?

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Gegendemonstranten der „Querdenker“-Demo stehen mit verschiedenen Schildern am Rande der Demonstration. Erwartet wurden laut Stadt 2500 Teilnehmer sowie 50 Gegendemonstranten.
Gegendemonstranten der „Querdenker“-Demo stehen mit verschiedenen Schildern am Rande der Demonstration. Erwartet wurden laut Stadt 2500 Teilnehmer sowie 50 Gegendemonstranten. © Philipp von Ditfurth/dpa

Die Corona-Pandemie hat eine gefährliche Entwicklung an die Oberfläche befördert: Verschwörungsmythen und Rechte Esoterik. Darüber sprechen wir mit Publizistin Katharina Nocun.

„Energiesteine zerschlagen, Einhörner schlachten, Astralkörper verjagen“, brüllt Stefanie Sargnagel ins Publikum. „Nippies in die Klangschalen scheißen“, ruft die Schriftstellerin während ihrer Rede bei einer Demonstration in Wien – und meint damit „Nazi-Hippies“. Die Österreicherin ist bewusst provokativ. Man kann sich an ihrer Direktheit stören, doch sie macht auf eine Entwicklung aufmerksam, die die Corona-Pandemie lediglich an die Oberfläche gespült hat. Rechte Esoterik.

Bereits zu Beginn der sogenannten „Hygiene-Demos“ gegen die Corona-Maßnahmen reagierten Beobachtende des Treibens irritiert. Scheinbar aus dem Nichts entstand da eine Protestbewegung, die sich aus verschiedenen Strömungen und Milieus speiste. Rechtsextremist:innen mit Reichsflaggen marschierten neben Anhänger:innen des US-amerikanischen Verschwörungskults QAnon und trommelnden Hippies. Warum dieser Schulterschluss mit rechten Gesinnungen, fragte man sich.

Zeit also, sich genauer mit Verschwörungserzählungen und speziell der Verbindung zwischen Rechtsextremismus und Esoterik auseinanderzusetzen. BuzzFeed News Deutschland hat darüber mit der Politikwissenschaftlerin und Publizistin Katharina Nocun gesprochen. Gemeinsam mit der Sozialpsychologin Pia Lamberty hat sie zwei Bücher zu dem Themenspektrum veröffentlicht: „Fake Facts“ und „True Facts“. Am 30. September erscheint das dritte gemeinsame Buch mit dem Titel „Gefährlicher Glaube: Die Gedankenwelt der radikalen Esoterik“.

Verschwörungserzählungen und Corona-Proteste: Das Gefühl eines erlebten Kontrollverlusts

Eine Studie vom 17. Februar des gemeinnützigen Center für Monitoring, Analyse und Strategie zu Protestpotential während der Corona-Pandemie stellte fest: „Die Protestierenden mögen aus unterschiedlichen Milieus stammen und von außen heterogen wirken, innerhalb der Protestierenden nimmt man sich jedoch als Einheit (‚ein Volk‘) wahr, dass sich gegen die ‚Feinde‘ wehrt.“ Die Forschenden wollten unter anderem wissen, welche Meinungen und Haltungen Menschen mit hoher Protestbereitschaft gegen die Pandemie-Maßnahmen vertreten. Es sind erschreckende Erkenntnisse.

Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)

CeMAS hat einen interdisziplinären Ansatz und bündelt Expertise zu Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Auf der Webseite heißt es dazu: „CeMAS adressiert aktuelle Entwicklungen innerhalb der Themenfelder online durch systematisches Monitoring zentraler digitaler Plattformen und moderner Studiendesigns, um so innovative Analysen und Handlungsempfehlungen abzuleiten.“ Die Organisation wurde 2021 unter anderem von der Sozialpsychologin Pia Lamberty gegründet und wird vom der Alfred Landecker Foundation gefördert.

Besonders aufschlussreich ist eine Grafik, die verschiedene Verschwörungserzählungen und deren Zustimmung bei denjenigen, die gegen die Corona-Politik auf die Straße gehen, in Prozentzahlen auflistet. So zeigt sich, dass 37,6 Prozent der Protestbereiten meinten, dass unsere jetzige Politik mit der des Nationalsozialismus vergleichbar sei. 53,8 Prozent gaben an, dass das Virus absichtlich als gefährlich dargestellt wird, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Und 24,2 Prozent glauben, dass dunkle Mächte das Virus nutzen, um die Welt zu beherrschen.

Katharina Nocun stellt mit Blick auf die Studie fest: „Verschwörungsideologische Weltbilder spielen unter Menschen mit hoher Protestbereitschaft eine große Rolle.“ In diesen Gruppen werde teilweise geglaubt, man sei die schweigende Mehrheit und könne einen Systemumsturz herbeiführen. Das Selbstbild: „Man kämpft für das Gute, man möchte die Demokratie wiederherstellen und wähnt sich in der Zeit des Nationalsozialismus“, so die Autorin.

Es ist auch eine Art Heldengeschichte, die man über sich und seine Gruppe erzählt. Wir sind angetreten, um gegen das absolut Böse in der Welt zu kämpfen. Wer möchte nicht dieses Selbstbild haben?

Katharina Nocun

Der Glaube an Verschwörungsmythen zieht sich dabei quer durch die Gesellschaft. Einige Menschen macht laut Nocun das Gefühl eines erlebten Kontrollverlusts anfällig für Verschwörungserzählungen. „Man versucht, mit dem Glauben an einen großen Plan die Unsicherheit zu kompensieren. So erschafft man sich die Illusion von Kontrolle“. Auch finde dadurch eine Aufwertung der eigenen Person statt. „Es ist auch eine Art Heldengeschichte, die man über sich und seine Gruppe erzählt. Wir sind angetreten, um gegen das absolut Böse in der Welt zu kämpfen. Wer möchte nicht dieses Selbstbild haben?“, fragt Nocun.

Die Impfung gegen das Coronavirus: Deutschland hinkt im internationalen Vergleich hinterher

Oftmals im Zentrum des Protests: Das Impfen. Mit Erschrecken wurde Ende vergangenes Jahr festgestellt, dass die Bundesrepublik im Vergleich mit anderen westeuropäischen Staaten hinterherimpft. So hatten etwa Portugal, Spanien oder Belgien die deutschsprachigen Länder Deutschland, Schweiz und Österreich bei der Impfquote überholt. Stand jetzt liegt die deutsche Impfquote der vollständig geimpften Bevölkerung laut der Datenbank von Zeit Online bei über 55 Prozent Drittgeimpften, rund 75 Prozent zweifach geimpften und rund 76 Prozent Erstgeimpften. Trotz dem seit mittlerweile einem Jahr in Deutschland geimpft wird, ist die Quote im internationalen Vergleich also noch immer recht niedrig.

Einer der ersten, der mit dem Finger auf die Esoterik zeigte, war der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Sein Bundesland hinkte beim Impfen besonders hinterher. Im Bayerischen Landtag verwies er auf die historische Impfskepsis im Freistaat: „1807 hat Bayern eine Impfpflicht gegen Pocken eingeführt. Es gab damals heftigen Widerstand.“ Gegner:innen der Impfung fänden sich bei der AfD, im Querdenkertum und bei den sogenannten Reichsbürgern. Er betonte jedoch auch: „Es gibt auch in anderen Bereichen große Skepsis, gerade in Bayern und im Alpenraum. Insbesondere im Bereich der Esoteriker, die einen anderen Ansatz verfolgen. Zum Beispiel eine gewisse Skepsis gegenüber der Wissenschaft.“

Eine Studie der Grünen nahen Heinrich-Böll-Stiftung kam im November 2021 am Beispiel der Querdenker-Bewegung in Baden-Württemberg zu dem Ergebnis, dass eine „Komplementarität von verschwörungstheoretischen und esoterischen Überzeugungen“ festzustellen sei. So heißt es in der Studie „Quellen des Querdenkertums“ der Basler Soziolog:innen Nadine Frei und Oliver Nachtwey weiter: „Die Befragten inszenieren sich als Eingeweihte, fast sogar als Erwählte, die auch gegen Widerstand, Stigmatisierung und Repression an ihrer Expertise festhalten. Als Eingeweihte glauben sie, über ein höheres Wissen, über die Wahrheit der wirklichen Beweggründe der staatlichen Maßnahmen zu verfügen.“ Handlungsbestimmend seien für diese Menschen Werte wie Individualität, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Esoterik: Krankheiten durch positive Gedanken abwenden – größte Strömung ist die „Anthroposophie“

Werte, die in der Esoterik zentral sind. Esoterik ist ein Sammelbegriff für verschiedene Strömungen, beispielsweise New Age, Astrologie, Wahrsagen und Neuheidentum. Es gibt keine einheitliche Definition, wie unter anderem die Leipziger Autoritarismus Studie (2020) schreibt. Als größte esoterische Strömung in Europa gilt gemeinhin die „Anthroposophie“. Begründer ist Rudolf Steiner (1861-1925), der Vater der in Deutschland populären Walddorfschulen. „Er hat behauptet, dass er Zugang zur Akasha-Chronik hat, einer Art Weltgedächtnis und dem entnimmt er seine weltanschaulichen Erkenntnisse“, sagt Matthias Pöhlmann, Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Diese richteten sich gegen den wissenschaftlichen Erkenntnisanspruch und somit auch gegen die Medizin, sagt Pöhlmann. So werde gewarnt, dass man sich keine unbekannten Stoffe zuführen lassen sollte, weil sich das auf die Identität auswirken könne, führte der Theologe weiter aus.

Gerade für das Umfeld ist das unglaublich schwierig, jemandem beim Sterben zusehen zu müssen, weil die Person nicht mehr Medizin und Wissenschaft vertraut und stattdessen auf Verfahren setzt, die vollkommen ausgedacht sind.

Katharina Nocun

Katharina Nocun spricht mit BuzzFeed News Deutschland über das Verhältnis von Esoterik zur Humanmedizin: „Leute, die esoterische Heilmethoden beziehungsweise Pseudomedizin nutzen, glauben häufiger an Verschwörungserzählungen.“ In Folge dessen würde Menschen etwa eingeredet, lieber auf einen Heilstein gegen die Krebs-Erkrankung als auf die Chemotherapie zu vertrauen. Mit teilweise tödlichen Folgen. „Gerade für das Umfeld ist das unglaublich schwierig, jemandem beim Sterben zusehen zu müssen, weil die Person nicht mehr Medizin und Wissenschaft vertraut und stattdessen auf Verfahren setzt, die vollkommen ausgedacht sind“, schildert Nocun.

Auch gebe es in der Esoterik den Glauben, man könnte Krankheiten durch positive Gedanken wegdenken – etwa eine Covid-19-Infektion. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich auch, dass man, führt man die Logik weiter, selbst an seiner Erkrankung schuld ist. „Wenn manchmal Heil-Verfahren scheitern, dann wird den Menschen eingeredet, nicht positiv genug gedacht zu haben“, illustriert Nocun das Vorgehen. Zu der Angst vor der Krankheit gesellt sich also die toxische Verzweiflung, für das Scheitern der Behandlung verantwortlich zu sein. Gerade auch bei psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, ist das verheerend.

Rechtsextremismus und Esoterik: Bereits vor der Corona-Pandemie gab es Schnittmengen

Bleibt die Frage, was Anhänger:innen der Esoterik mit Rechtsextremismus und Antisemitismus zu tun haben. Gerade beim Schlagwort Esoterik denken ja die meisten Menschen eher an linksgerichtete Gruppierungen. „Man muss sich aber klar machen, dass Teile der Esoterik-Szene sich kaum oder gar nicht nach rechts abgegrenzt haben“, sagt Nocun dazu. „Die Esoterik wird in unserer Gesellschaft meistens als harmlos betrachtet. Die meisten Leute steigen ja nicht direkt in einer Sekte ein, sondern radikalisieren sich über einen Zeitraum hinweg in einer Szene“, berichtet die Publizistin.

So gibt es esoterische Gruppen, die an eine jüdische Weltverschwörung glauben – und sogar Esoterik-Verlage, die Bücher von Antisemiten publizieren. Digital-Angebote wie Klagemauer TV von Sektengründer Ivo Sasek verbreiten verschwörungsideologische, rechtsextreme und antisemitische Meldungen. Und beim Berliner Sturm auf den Reichstag 2020 war es eine rechte Heilpraktikerin mit Dreadlocks, die mit ihrer Rede die Menge aufhetzte. Der Schulterschluss mit Rechtsextremist:innen funktioniert durch das Gefühl eines gemeinsamen Feindbildes: die Regierung, die „Mainstream“-Medien, die Wissenschaft.

Ein weiteres verbindendes Element zwischen Rechtsextremismus und Esoterik ist der Glaube an einen idealisierten Zustand der Vergangenheit, in Einklang mit der Natur. Quasi eine Ausgangssituation, die so niemals existiert hat. „Sowohl Esoterik als auch Verschwörungserzählungen haben starke anti-moderne Motive“, betont die Sozialpsychologin Clara Schliessler bei der Deutschen Welle.

Was kommt nach der Corona-Pandemie? „Es gibt unzählige Variationen von Verschwörungserzählungen“

All das ist nicht erst mit dem Coronavirus in die Welt gekommen. Bereits vor der Pandemie gab es Schnittstellen zwischen rechtsextremer Szene, Esoterik und Verschwörungsglauben, sagt Nocun. Gruppen, die glauben, dass die Regierung eine Verschwörung geplant habe, um Menschen durch 5G-Strahlen zu kontrollieren. Organisierte Impfgegner:innen. Und Mythen, die besagen, es existiere kein menschengemachter Klimawandel, die Behauptung werde nur verbreitet, um die Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne einer „globalen, bösartigen Agenda“ umzuwandeln. So werde die Leugnung der Klimakrise in den kommenden Jahren eine große Rolle spielen, ist Nocun überzeugt. „Es gibt unzählige Variationen von Verschwörungserzählungen, diese entwickeln sich immer weiter“, sagt die Politikwissenschaftlerin.

Es gibt unzählige Variationen von Verschwörungserzählungen, diese entwickeln sich immer weiter.

Katharina Nocun

Zwar könnten sich die aktuellen geplanten Lockerungen auf die Bereitschaft der Menschen auswirken, bei solchen Protesten teilzunehmen. „Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass Menschen, die sich innerhalb einer Verschwörungsideologie stark radikalisiert haben von heute auf morgen aufhören“, so Nocun. Denn klar sei: „Wenn Menschen überzeugt sind, es gibt eine globale Corona-Verschwörung und sie sind dafür angetreten, das Böse in der Welt zu bekämpfen, dann wird in entsprechenden Telegram-Gruppen die Notwendigkeit zu konkreten Handlungen weiterhin kommuniziert.“

Ukraine-Krieg: Emotionalisierung durch Corona weiter befeuern – „klassischen Verschwörungsfantasien bemüht“

Und jetzt der Ukraine-Krieg. Die Invasion der Ukraine durch Russland hat auch im „Querdenker“-Milieu Wellen geschlagen. Und wird dort von Rechtsextremist:innen mitunter verteidigt. Wie die Tagesschau berichtet, besagt ein vielfach verbreiteter Post: „Es ist keine Invasion, es ist eine Operation.“ Russland wehre sich diesen Erzählungen nach schlichtweg gegen einen „Völkermord“ durch die Nato. In der rechtsextremen Szene wird der russische Staatschef Wladimir Putin teilweise als Widerstandskämpfer gegen den Westen verklärt. Und es gibt Mythen von angeblich entführten ukrainischen Kindern, die Russland befreien wolle. „Es ist zu befürchten, dass Rechtsextreme und Verschwörungsideolog:innen die Angriffe auf die Ukraine weiter für sich instrumentalisieren und dies auch zur Mobilisierung nutzen werden“, twitterte das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS).

Eine aktuelle Studie von COSMO, einem Gemeinschaftsprojekt unter anderem von der Universität Erfurt, des Robert-Koch-Instituts und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, zeigt, dass ungeimpfte Personen wesentlich empfänglicher für Verschwörungsmythen rund um den Ukraine-Krieg sind. 43 Prozent der befragten Ungeimpften stimmten demnach der Aussage zu, dass der Krieg in der Ukraine nur der Ablenkung von der Corona-Pandemie dienen würde. Bei den Geimpften bejahte das jede:r zehnte. Und 32 Prozent glaubten, dass der Krieg in der Ukraine genauso künstlich hochgepusht werde wie wie die Corona-Pandemie – bei den Geimpften stimmten 7 Prozent der Aussage zu.

Was all diese Variationen von Erzählungen eint, ist der feste Glaube an eine globale Verschwörung, eine „Elite“, die im Hintergrund die Fäden zieht und Wissenschaftsfeindlichkeit. Das Thema selbst ist austauschbar. (aka)

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