Studie: Religion macht uns nicht zu besseren Menschen - aber 3 andere Dinge sehr wohl

Studien zeigen, dass uns nicht Religion zu besseren Menschen macht, sondern viel mehr diese drei Dinge: Beobachtung, Dankbarkeit und Vorbilder.
Welche Rolle spielt Religion in unserer modernen Zeit? Diese Frage stellten sich auch die katholische Jugend und beschloss vor kurzem, Gott jetzt „Gott+“ zu nennen – es gebe schließlich nicht nur die weiße, männliche Vorstellung von Gott. Weil in diesem Jahr deutlich mehr Menschen aus der Kirche austraten als in den Jahren zuvor, stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Religion immer wieder. Vor allem ihr Einfluss auf unser Zusammenleben und unsere moralischen Werte ist immer wieder Thema. In den USA glauben 65 Prozent der Erwachsenen, dass Kinder Religion brauchen, um zu guten Menschen heranzuwachsen. Doch das ist so nicht richtig – viel mehr sind es Rituale und Praktiken aus der Religion, die uns moralisch überlegen machen.
Eine in der Zeitschrift Science veröffentlichte Studie untersuchte 2014 das Verhalten von 1200 Erwachsenen, und fragte diese fünfmal am Tag nach moralischen Fehlern. Interessanterweise zeigten sich in dieser Studie keine Unterschiede zwischen Menschen, die sich mit einer Religion identifizierten, und denen, die das nicht taten. Eine weitere Studie in der Zeitschrift Current Biology kam 2015 zu einem ähnlichen Ergebnis. Aber warum denken viele immer noch, dass Religion sie zu besseren Menschen macht?
Identifikation mit Religion macht uns nicht zu besseren Menschen – sondern das Handeln
Das liege daran, dass die Dinge, die uns wirklich moralisch weiterbilden, als Rituale oder Praktiken in vielen Religionen verankert seien, schreibt das Wallstreet Journal. Dies bedeute, dass nicht die Identifikation mit einer Religion uns zu besseren Menschen macht, sondern eher das Ausüben bestimmter Tätigkeiten, was viele Menschen auch ohne jedes Glaubensbekenntnis tun würden. Wenn es um Moral geht, liege die Macht der Religion also eher im Handeln, als im Glauben selbst. Manche Dinge, die die Kirche heute macht, können viele Menschen nicht ernst nehmen, so die Entschuldigung von Kardinal Marx bei queeren Menschen, dafür dass die Kirche ihnen das Leben schwer gemacht hat.
Ein Besuch in der Kirche kann ein solches Ritual sein. Er geht mit erhöhter Großzügigkeit einher, wie eine Studie der Harvard Business School (2010) ergab. An Tagen, an denen Menschen einen Gottesdienst besuchten, spendeten sie auf Nachfrage mehr für weltliche Wohltätigkeitsorganisationen. Zum einen, weil sie in der Kirche Beobachtung spürten, weil sie Dankbarkeit für die eigene Situation empfanden oder aber auch, weil sie Vorbilder sahen, die gute Taten vorlebten. Ein Ritual könnte in diesem Zusammenhang aber auch ein Spaziergang sein, bei dem ein Mensch an einem Obdachlosenheim vorbeikommt und sich dann entschließt, zu spenden.
Diese drei Dinge verbessern unsere Vorstellung von Moral:
- Beobachtung: Eine Studie mit 251 Teilnehmer:innen (2019) ergab, dass Gläubige in einer Aufgabe weniger schummelten, wenn sie zuvor ein Gebet sprachen. Dies hat wohl den Grund, dass das „in Erinnerung rufen Gottes“ ein gewisses Gefühl der Beobachtung auslöst. Wenn wir uns beobachtet fühlen, dann handeln wir moralisch besser, denn wir wollen uns sowohl mit einem möglichen „Gott“, als auch mit unseren Mitmenschen gut stellen. Auch Kirchenbesuche oder andere Zusammenkünfte in sozialen Gemeinschaften dürften dieses Gefühl auslösen.
- Dankbarkeit: Dieses Gefühl ist nicht nur „schön“, sondern eine wahre Quelle der Tugend. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die sie empfinden, ehrlicher, großzügiger und geduldiger werden. In einem Experiment, das in der Psychological Science veröffentlicht wurde, mussten Personen am Computer eine „Münze zu werfen“ und das Ergebnis gegen eine Geldprämie eintauschen, wobei Kopf mehr Geld einbrachte als Zahl. Wenn sie an ein neutrales Thema dachten, schummelten 53 Prozent der Teilnehmenden, wenn sie sich dankbar fühlten nur 27 Prozent.
- Vorbilder: Neben der Dankbarkeit sind auch gute Vorbilder ein Garant für moralisches Verhalten. Wenn wir sehen oder lesen, dass jemand eine gute Tat vollbringt, so wie es eben auch bei Predigten in der Kirche oft geschieht, werden wir moralischer. In einer Studie sah Gruppe A ein Video über Mentoren, die das Leben ihrer Schüler verbesserten, während Gruppe B einen Dokumentarfilm über den Ozean sah. Als die beiden Gruppen anschließend gebeten wurden, einem Fremden zu helfen, stimmten 69 Prozent der Gruppe A zu, aber nur 40 Prozent der Gruppe B.
Religion ist nur das Medium für Beobachtung, Dankbarkeit und Vorbilder
Die eben aufgezählten drei Dinge können zur Gewohnheit werden und beeinflussen dann in hohem Maße, ob Menschen moralisch handel oder nicht. Das sei der springende Punkt, macht die Recherche des Wall-Street-Journals klar: Es ist nicht Religion, die uns zu besseren Menschen macht, sondern es sind Beobachtung, Dankbarkeit und Vorbilder, die in Religion alle drei eine wichtige Rolle spielen. Kirche und Religionsunterricht sind also nur das Medium, durch das wir solche Rituale und Praktiken erleben.
Wenn Christ:innen vor dem Essen das Tischgebet sprechen oder wenn Jüd:innen nach dem Aufwachen ein Gebet zum Dank an Gott rezitieren, dann rufen sie damit Dankbarkeit hervor. Auch nicht-religiöse Eltern können mit ihren Kindern so etwas tun, indem sie sich Zeit nehmen, um mit ihnen über die Dinge zu sprechen, für die sie dankbar sind, indem sie ein gutes Vorbild abgeben und Kinder in sozialen Gemeinschaften unterbringen. So könnten sie also die mächtigsten Werkzeuge der Religion nutzen, um ihre Kinder zu guten Menschen zu machen.