Warum ich mit 26 schon weiß, dass ich früh in Rente gehen will

Olaf Scholz will nicht, dass so viele Menschen früher aufhören zu arbeiten. Ich als 26-Jährige finde Früh-Rente zeitgemäß und lebenswert.
Menschen gehen immer häufiger früh in Rente und zwar deutlich vor der Regelaltersgrenze. Bundeskanzler Olaf Scholz will dagegen etwas unternehmen, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Was genau, ist noch nicht ganz klar. Ich ärgere mich darüber, dass Scholz nicht möchte, dass Menschen früher in Rente gehen. Warum ich schon mit 26 Jahren weiß, dass ich genau das tun möchte, erfährst du hier.
Zahlen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zeigen, dass viele Menschen in Deutschland bereits mit 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden – also vor der Regelaltersgrenze. Die liegt in Deutschland momentan bei 65 Jahren. Bis 2029 erhöht sich das Renteneintrittsalter dann schrittweise: Für jene, die 1964 aufwärts geboren wurden, gilt künftig eine Regelaltersgrenze von 67 Jahren – also auch für mich, die 1996 geboren wurde. Stand jetzt. Immer wieder fordern Ökonomen die Rente mit 70.
Früher in Rente gehen, bedeutet mehr Zeit zum Leben zu haben
Ich bin mit meiner Freundin Klara in der Sauna verabredet. Ja, auch ich als 26-jährige Volontärin brauche ab und zu Entspannung. Bei der Früh-Rente geht es mir dagegen nicht einfach darum, mehr zu entspannen. Zwischen zwei Saunagängen und bei einer Tasse Tee höre ich Klara zu. In diesem Jahr verbrachte sie viel Zeit in Krankenhäusern. Der Grund: Bei ihrem Partner Jonathan wurde mit Ende 20 ein Gehirntumor entdeckt.
Ich kenne Jonathan noch als jemanden, der sich leidenschaftlich für seinen Job aufopfert. Vor ein paar Jahren gründete er sein eigenes Start-up. Seitdem arbeitete er jede freie Sekunde, stellte Freizeitaktivitäten hinten an. Mittlerweile geht es Jonathan wieder besser, er könnte weiterarbeiten. Sein Start-up hat er nun dennoch aufgegeben – das erzählt mir Klara –, weil ihm klar wurde, dass er nie wissen wird, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Jetzt fängt er einen Job an, bei dem er weniger arbeiten muss und sich mehr auf das Leben konzentrieren kann.
Ganz schön kitschige Metapher denkst du dir jetzt vielleicht. Und kann man das überhaupt vergleichen? Mit 67, wie ich es scheinbar muss, oder mit 63 Jahren in Rente gehen, wie viele es zu Scholz‘ Ärger gerade machen: Das macht doch keinen großen Unterschied, oder? Im Vergleich zu Jonathans Geschichte nicht, das stimmt. Und trotzdem ist der Körper mit 67 Jahren nun mal weniger fit als mit 63. Die Wahrscheinlichkeit ist höher, schwer zu erkranken. Es ist weniger einfach, reisen zu gehen, noch etwas zu erleben.
Rente mit 67? Sorry, ich arbeite schon lang genug
Vollzeit arbeite ich, seit ich 25 Jahre alt bin. (Ich zähle bewusst nicht die Studentenjobs mit.) 42 Jahre müsste ich bis zur Rente mit 67 also arbeiten. Eins davon habe ich fast geschafft. Erleichtert darüber sein, fühlt sich anders an. Ich muss noch einmal fast doppelt so lange, wie ich auf der Welt bin, arbeiten. Das ist verdammt lange.
Hinzukommt, dass ich ziemlich privilegiert bin: Viele junge Menschen, die nach der Hauptschule eine Ausbildung anfangen, beginnen schon mit 14 Jahren zu arbeiten. Diese lange Arbeitszeit um vier, fünf Jahre verkürzen zu können, wäre schön. (Ob es die „Rente mit 63“ noch gibt, wenn ich in das Alter komme, ist nicht sicher. Zurzeit erlaubt diese Menschen, die 45 Versicherungsjahre vorweisen können, abschlagsfrei in Rente zu gehen. Viele andere gehen zurzeit früher in Rente, obwohl sie damit Abschläge in Kauf nehmen.)
Früh-Rente ist zeitgemäß wie Viertagewoche und Home-Office
In den vergangenen Monaten ging der Trend „Quiet Quitting“ viral: Junge Menschen, die nur das Nötigste arbeiten, keine Überstunden machen wollen, keine Extra-Aufgaben. Was „faul“ wirkt, hat den Hintergrund der „Work, Life, Balance“. Neben der Arbeit wird auch das eigene Privatleben als wichtig erachtet. Die Gen Z unterscheidet sich in dieser Arbeitsmoral von den Babyboomern.
Auch die Arbeitswelt verändert sich gerade: Home-Office ist seit Corona in vielen Unternehmen möglich, über die Viertagewoche wird diskutiert. Das Ideal von „Schaffe, schaffe, Häusle baue“, wie man im Schwäbischen sagt, nimmt langsam ab. Oder anders ausgedrückt: Viele junge Menschen wollen nicht mehr hustlen, was das Zeug hält. Zum Glück: Wie eine Studie zeigt, können bereits junge Menschen an Burnout erkranken.
Zu einer modernen Arbeitswelt gehören nicht nur weniger Stunden in der Woche, sondern auch weniger im Leben! Willkommen, Herr Scholz, im 21. Jahrhundert!
Fachkräftemangel lässt sich auch durch Zuwanderung bekämpfen
Der Grund, warum sich Scholz über die Früh-Rentner:innen Sorgen macht, ist der Fachkräftemangel. Wenn Menschen früher aufhören zu arbeiten, fehlen noch mehr Arbeitskräfte. Fachkräftemangel kann man jedoch anderweitig beheben: Scholz hat selbst Lösungsvorschläge parat, berichtet die dpa. Wie vor Kurzem der Arbeitsagentur-Chef Detlef Scheele, nennt er etwa die Zuwanderung. Statt junge Menschen abzuschieben, könnte Deutschland sie stattdessen als Arbeitskräfte einsetzen. Ich sage: Gleichzeitig könnten alte Menschen in ihren verdienten Ruhestand gehen.
Eine andere Möglichkeit ist laut Scholz, die Ganztagsangebote in Krippen, Kitas und Schulen auszubauen. Damit könne man Frauen noch stärker in den Arbeitsmarkt einbinden. „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können. Das fällt vielen heute schwer“, sagte Scholz den Zeitungen der Funke Mediengruppe und der französischen Zeitung Ouest-France. Ich sage, es ist mehr als verständlich, dass es Menschen schwerfällt. Deshalb sollte auch der Wunsch respektiert werden, früher in Rente zu gehen.
Ich schwitze noch etwas in der Sauna und träume von Früh-Rente. Während der Schnee hinter dem Fenster mich daran erinnert, dass ich morgen früh zur Arbeit muss.