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Notfallsanitäter über Vorwurf an Klimaaktivisten: „Komplett an den Haaren herbeigezogen“

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Von: Robert Wagner

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Die Kritik an den Klimaprotesten nimmt zu. Ein erfahrener Notfallsanitäter berichtet indes: „Als Rettungskraft wird man auf dem Weg zu jedem einzelnen Einsatz blockiert.“

Nach dem schweren Unfall in der Berliner Innenstadt, bei dem eine Radfahrerin von einem Betonmischer überrollt und lebensgefährlich verletzt wurde, hat sich die Debatte über die Grenzen des Klima-Protests verschärft. Die Polizei ermittelt we­gen unterlassener Hilfeleistung gegen zwei Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“. Die Männer hatten sich an einer Autobahn festgeklebt. Ein Spezialfahrzeug, das die verunglückte Radfahrerin bergen sollte, habe laut Berliner Feuerwehr deswegen „eine recht relevante Zeit“ im Stau gestanden. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey übte bereits deutliche Kritik und verurteilte „dieses Verhalten“, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet.

Auf Twitter geht ein Thread viral, in dem ein Nutzer, der als Notfallsanitäter im Berliner Rettungsdienst arbeitet, seine Sicht beschreibt: Die scharfe Kritik an den Klimaschutzaktivist:innen ist ungerecht und heuchlerisch. Rettungskräfte wie er steckten „bei jedem einzelnen Einsatz“ im Stau fest. Falschparker:innen, Baustellen und fehlende Rettungsgassen seien die wesentlichen Gründe dafür. Stattdessen Klima-Aktivist:innen verantwortlich zu machen, sei „heuchlerisch, verlogen und hetzerisch.“

Notfallsanitäter über Klima-Kleber:innen: „Ja, die verursachen Staus, allerdings wie ganz viele andere Sachen auch.“

Im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland erklärt der Notfallsanitäter, der seit 15 Jahren hauptberuflich im Berliner Rettungsdienst arbeitet und mittlerweile Teamleiter ist, was genau er damit meint. Er sagt, dass Klimaaktivist:innen Staus verursachen und er selbst diese Form des Protests für „nicht zielführend“ halte. Allerdings würden „viele andere Sachen auch“ für Verzögerungen bei Rettungseinsätzen sorgen. Der 43-Jährige, der anonym bleiben möchte, kann eine Vielzahl an Dingen nennen, die ihm und seinen Kolleg:innen den Berufsalltag in Berlin schwer machen.

„Als Rettungskraft wird man auf dem Weg zu jedem einzelnen Einsatz blockiert“, sagt er. Das fange mit der roten Ampel an, die beim herannahenden Einsatzwagen von den Autofahrer:innen nicht überfahren werde, „obwohl sie es müssten und dürften. Passiert in jedem Einsatz.“ Ein anderes Problem seien die Paketboten, die häufig in zweiter Reihe parken. „Dadurch entstehen massive Staus“, sagt er. Autos, die zu nah an engen Kreuzungen parken, sorgen laut dem Notfallsanitäter für weite Umwege.

Klima-Aktivisten kleben sich an Straße fest, daneben ein Krankenwagen.
Ein Notfallsanitäter aus Berlin findet es nicht gut, dass nur über die Klimaaktivist:innen, die sich an der Straße festkleben, geredet wird. Rettungskräfte hätten da ganz andere Probleme. (Symbolbild) © Christian Charisius/dpa/Frank Sorge/IMAGO

Angebliche Schuld der Klimaaktivist:innen „komplett an den Haaren herbeigezogen“

Die Verkehrsbehinderungen durch die Klimaaktivist:innen würden da eigentlich nicht weiter auffallen. „Diese Klimaproteste behindern den Verkehr und behindern damit auch den Rettungsdienst und die Feuerwehr. Aber das ist ein kleiner Teil.“ Wolle man sich darüber aufregen, müsse man konsequenterweise auch über Baumaßnahmen wie Baustellen sprechen, die für sehr viel mehr Staus sorgen würden. Warum der Fokus beim aktuellen Berliner Unfall dennoch auf die Klimaaktivisten gelegt werde, könne er sich nur schwer erklären.

Gerade in diesem Fall würden die Schuldzuweisungen keinen Sinn ergeben, da das Spezialfahrzeug, das durch die zwei Aktivisten blockiert worden sein soll, immer erst spät am Unglücksort eintreffe. Von diesen Rüstwagen gebe es in ganz Berlin nur zwei Stück. „Diese beiden Fahrzeuge haben grundsätzlich eine weite Anfahrt, die immer durch Stau verzögert wird.“

Im konkreten Fall hätte auf den Rüstwagen ohnehin nicht gewartet werden können. Sein Eintreffen hätte für die schwer verletzte Patientin „schlicht und ergreifend keinen Unterschied gemacht“, sagt der Notfallsanitäter, der Kontakt mit den Einsatzkräften hatte. Den konstruierten Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Klimaaktivist:innen nennt er „komplett an den Haaren herbeigezogen.“

Klimaaktivist:innen „sind halt einfach vom ersten Tag an ein Dorn im Auge gewesen“

Die Klimaproteste geraten seit einigen Monaten vermehrt in die Kritik. Das Rote Kreuz sieht durch die Straßenblockaden der „Letzten Generation“ sogar Menschenleben in Gefahr. In den Augen des Berliner Notfallsanitäters werden die Klimaproteste in der Diskussion dramatisiert und als gefährlich dargestellt. Die Klimaaktivist:innen seien mit ihren provokanten Protesten äußerst unbequem und „sind halt einfach vom ersten Tag an ein Dorn im Auge gewesen.“ Sie dienten vielen Menschen als Projektionsfläche für den „allgemeinen Frust“ in der Gesellschaft.

Diese Haltung sehe er auch bei den Berliner Rettungsdienstlern, die sich an die alltäglichen Verkehrsbehinderungen zwangsläufig gewöhnt habe. In den Aktivist:innen hätten sie „endlich einen Schuldigen“ gefunden. Der 43-Jährige sieht daher auch die Haltung des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst kritisch, der diese Form des Protests „moralisch verwerflich“ nennt und vor einer sinkenden „Akzeptanz für einen besseren Klimaschutz“ beim Rettungsfachpersonal warnt.

Der Notfallsanitäter nennt Verbesserungsvorschläge, die er für sinnvoll hält: Die Feuerwehr könnte die Rettungskräfte etwa über bekannte Autobahnsperrungen informieren. „Wenn das doch bekannt ist, dass die Autobahn gesperrt ist, warum schickt man da einen Einsatzwagen los und sagt ihm nicht ‚Ey, fahr nicht über die Autobahn‘“. Da könne man sich auch „an die eigene Nase fassen.“

*In einer früheren Version hieß es, dass der Notfallsanitäter vor Ort war. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.

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