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Geheime Dokumente: So viel Geld hat der russische Oligarch Abramovich in die USA gebracht hat

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Der russische Oligarch Roman Abramovich.
Der russische Oligarch Roman Abramovich. © Anthony Anex/dpa

Die europäischen Regierungen haben das Vermögen des russischen Oligarchen Roman Abramovich eingefroren. Aber wie viel Geld er in den USA investiert hat, wusste bisher kaum jemand.

Zwischen 2001 und 2016 flossen offenbar satte 1,3 Milliarden Dollar über ein geheimes Netzwerk von zehn Offshore-Gesellschaften in amerikanische Investmentfirmen und Hedgefonds. Das Geld, das über die hochgeheimen rechtlichen Territorien der Britischen Jungferninseln und Zypern verschickt wurde, war schwer zurückzuverfolgen. Doch mithilfe vertraulicher Bankunterlagen kamen die Ermittler von State Street, einer der ältesten Banken Amerikas, auf die Identität des geheimnisvollen Investors: Roman Abramovich. Der Oligarch, der für seine Verbindungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin bekannt ist.

In den Jahren 2015 und 2016 meldeten die Ermittler Abramovichs Investitionsnetzwerk durch eine Reihe von „Verdachtsberichten“ an das US-Finanzministerium. Sie verwiesen auf Gerichtsakten, aus denen hervorging, dass Abramovich in Russland „erhebliche Barzahlungen“ für „politische Einflussnahme“ geleistet hatte. Und sie haben dargelegt, wie sich die Unternehmensstrukturen der Firmen, in die die 1,3 Milliarden Dollar investiert wurden, häufig änderten. Dies könnte als Versuch gedeutet werden, „Eigentumsverhältnisse zu verschleiern“.

Seit dem Ukraine-Krieg gehen westliche Regierungen gegen Oligarchen wie Abramovich vor

In den folgenden sechs Jahren hat die US-Regierung keine Maßnahmen gegen Abramovich ergriffen. Die State-Street-Untersuchung blieb geheim.

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und dem Beginn des Ukraine-Krieges im Februar sind die westlichen Regierungen gegen Oligarchen mit Verbindungen zum Kreml vorgegangen. Mitte März verhängte das Vereinigte Königreich Sanktionen gegen Abramovich und begründete dies mit seinen "engen Beziehungen" zu Russlands Präsident Wladimir Putin, aber auch mit dem Vorwurf, dass Materialien eines von ihm kontrollierten Stahlunternehmens möglicherweise zum Bau russischer Panzer verwendet wurden. Das Vereinigte Königreich hat Abramovichs Vermögen im Land eingefroren. Dazu gehören auch mehrere Villen und den Premier-League-Fußballverein FC Chelsea.

Die USA haben bisher allerdings keine Schritte gegen Abramovich unternommen. Aber das könnte sich bald ändern, sagt ein US-Beamter gegenüber BuzzFeed News US. Abramovich wird von einer neuen, vom Justizministerium geleiteten Task Force namens "KleptoCapture" untersucht, die darauf abzielt, den Reichtum von Oligarchen, die Putin unterstützt haben, zu ermitteln und deren Vermögen einzufrieren, so der Beamte.

Wie viel von Abramovichs Geld in die Vereinigten Staaten gelangt ist, wurde nie öffentlich. Die Untersuchung von State Street zeigt, dass Abramovich bis zu zehn Prozent seines geschätzten Vermögens in Fonds investiert hat, die von amerikanischen Finanziers verwaltet werden. Vertreter von Abramovich reagierten nicht auf wiederholte Bitten um Stellungnahme.

Die Untersuchung gegen Abramovich basiert auf geheimen Dokumenten

Die State Street-Untersuchung, über die hier zum ersten Mal berichtet wird, basiert auf den FinCEN-Akten, geheimen Regierungsdokumenten, die BuzzFeed News erhalten und mit dem International Consortium of Investigative Journalists geteilt hat.

Banken und andere Finanzinstitute hatten Berichte über verdächtige Aktivitäten an das Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN) des US-Finanzministeriums gesendet, immer wenn sie eine Transaktion entdecken, die auf Geldwäsche oder andere finanzielle Verbrechen hindeutet. Die Berichte sind kein Beweis für ein Verbrechen, können aber für die Strafverfolgungsbehörden ein nützliches Instrument sein.

BuzzFeed News hat von Natalie Mayflower Sours Edwards, einer Whistleblowerin, die beim FinCEN gearbeitet hat, Tausende dieser Dokumente erhalten, die eigentlich nie hätten veröffentlicht werden sollen. Die Abramovich-Dokumente geben einen Hinweis darauf, wie viel die US-Ermittler über seine Besitztümer wissen - und werfen die Frage auf, ob die Regierung über ähnliche Informationen über andere Putin-nahe Oligarchen verfügt.

Abramovich ist schon seit langem Gegenstand einer Kontroverse. In den 1990er Jahren, als Russland den Übergang vom Sowjetkommunismus zum Kartellkapitalismus vollzog und staatliche Unternehmen privatisierte, machte er Milliarden mit dem billigen und intransparenten Aufkauf staatlicher Energieunternehmen. Abramovichs eigener Anwalt hat vor einem britischen Gericht eingeräumt, dass Abramovich in dieser Zeit in Korruption verwickelt war.

Der Westen hieß Abramovich lange Zeit willkommen

Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, im Westen - insbesondere im Vereinigten Königreich - immer herzlich willkommen zu sein. In den frühen 2000er Jahren hat er den FC Chelsea sowie eine Reihe von Luxusimmobilien im gehobenen Londoner West End gekauft. Er war ein so ein etablierter Teil von „Londongrad“ - einem Spitznamen für London, weil die Stadt für ihren offenen Empfang von Oligarchen bekannt ist - dass er sogar in einem Guy-Ritchie-Film parodiert wurde.

Auf dem europäischen Festland besaß Abramovich weitere Luxusimmobilien, darunter eine Villa an der Côte d‘Azur, die einst von König Edward bewohnt wurde, der 1936 vom britischen Thron abdankte. Die Yachten des Oligarchen lagen häufig im Mittelmeer vor Anker.

Abramovich ist bei der britischen Presse dafür bekannt, teure Anwälte und die strengen Verleumdungsgesetze des Landes zu nutzen, um seinen Ruf zu wahren. Während Journalist:innen und Politiker:innen gelegentlich die Herkunft von Abramovichs Geld hinterfragten, haben die westlichen Regierungen seinen Reichtum unangetastet gelassen. Selbst als sich die Beziehungen zu Russland in den 2010er Jahren verschlechterten, als Putins Regierung in die Ostukraine einmarschierte, sich in Wahlen einmischte und Nervengift einsetzte, um den übergelaufenen Spion Sergej Skripal in einer englischen Kleinstadt zu vergiften.

Das endete, als Putin die massive Invasion in die Ukraine startete. Zwei Wochen nachdem Russland die ersten Raketen abgefeuert hatte, hat die britische Regierung Sanktionen gegen Abramovich verhängt und begründete dies mit seiner jahrzehntelangen „engen Beziehung“ zu Putin. „Diese Verbindung hat finanzielle oder andere materiellen Vorteile von Putin und der russischen Regierung ermöglicht“, erklärte das britische Finanzministerium. Die Europäische Union kündigt eigene Sanktionen gegen Abramovich an.

Über Abramovichs Vermögen in den USA war bisher so gut wie nichts bekannt

Doch während Abramovichs Aufstieg und Fall in Europa gut dokumentiert ist, ist über seine Geschäfte mit dem amerikanischen Finanzsystem wenig bekannt. Die von State Street eingereichten Berichte über verdächtige Aktivitäten werfen lediglich ein Schlaglicht auf Abramovichs jahrzehntelangen Einstieg in das amerikanische Finanzsystem mithilfe von US-Investmentfirmen. (Hinweis in eigener Sache: State Street ist seit 2021 an BuzzFeed beteiligt).

State Street selbst hat kein Geld von Abramovich verwaltet. Eine der Abteilungen der Bank hat für Hedge-Fonds gearbeitet und deren Kundendateien verwaltet sowie Kontrollen zur Bekämpfung der Geldwäsche durchgeführt. Hedge-Fonds verdienen ihr Geld, indem sie Geld von Anlegern entgegennehmen und es in deren Namen investieren. Das Geld selbst kann im Ausland angelegt werden, aber wird von den USA aus verwaltet.

Die Ermittlungen der Bank haben begonnen, nachdem das Wall Street Journal berichtet hatte, dass die US-Behörden untersuchten, ob der Hedgefonds Och-Ziff von einem Darlehen wusste, das ein Unternehmen, in das der Hedge-Fonds investiert hatte, dem simbabwischen Diktator Robert Mugabe gewährt hatte.

Bei der Durchsicht der Kundenliste von Och-Ziff sind die Ermittler von State Street auf ein Netz von zehn Offshore-Gesellschaften mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln und Zypern gestoßen, die 1,3 Milliarden Dollar in verschiedene Fonds investiert hatten. Amerikanische Banken sind verpflichtet, alle verdächtigen Aktivitäten, die sie aufdecken, dem US-Finanzministerium zu melden und so haben die Ermittler von State Street zu recherchieren begonnen.

Abramovich in undursichtige Investitionen verstrickt

Eines der Unternehmen des Netzwerks, Netherfield, war an einer komplexen Offshore-Transaktion beteiligt, bei der 50 Millionen US-Dollar für ein Unternehmen mobilisiert wurden, das von Igor Schuwalow, einem der wichtigsten Berater Putins, kontrolliert wird. Über das Geschäft wurde 2011 in Barrons berichtet. In dem Bericht wurde Abramovich nicht als Eigentümer von Netherfield genannt, aber die Ermittler von State Street haben schließlich herausgefunden, dass das Unternehmen ihm gehörte. In den folgenden Monaten nach der Veröffentlichung des Artikels wurde Netherfield geschlossen und die Investitionen wurden in eine neu gegründete Gesellschaft auf den Britischen Jungferninseln verschoben, so die Ermittler von State Street.

Das Geld für die Investitionen des Netzwerks stammte von Konten bei einer kleinen Geschäftsbank in Österreich namens Kathrein. Bei der Einrichtung der Investorenkonten wurde Abramovich jedoch in keiner der Unterlagen als der eigentliche Eigentümer des Geldes benannt. Kathrein gab unter Hinweis auf das österreichische Bankgeheimnis keinen Kommentar dazu ab.

Eine Firma namens Concord Management wurde anscheinend gegründet, um die Investitionen zu überwachen. State Street hatte jedoch Schwierigkeiten, grundlegende Informationen über Concord zu finden - einschließlich der Frage, ob das Unternehmen überhaupt existiert. Die Ermittler waren "nicht in der Lage, die Existenz von CONCORD zu identifizieren oder zu überprüfen. Das Unternehmen hat noch nicht mal eine funktionierende Website", heißt es in einem Bericht über verdächtige Aktivitäten. "Mehrere der als Kontaktpersonen genannten Personen haben nur eine begrenzte Internetpräsenz".

„Außerdem ist die für CONCORD angegebene Adresse in einem kommerziellen Bürokomplex“. In einer Erklärung, die BuzzFeed News zugesandt wurde, sagt ein Sprecher von Concord Management, dass das Unternehmen „unabhängige Untersuchung von Drittparteien und Überwachung von Investitionen anbietet, aber nicht in irgendwelche Fonds investiert“. Schließlich meldeten die Ermittler von State Street Abramovich, seine Offshore-Firmen, Concord Management und die Kathrein Bank im Dezember 2015 wegen verdächtiger Aktivitäten an das Finanzministerium.

Abramovich war über diverse Firmen auch Kunde bei Blackrock

Sie stellten auch fest, dass Och-Ziff und mehrere andere amerikanische Investmentfonds, darunter auch BlackRock, Abramovichs Offshore-Firmen zu ihren Kunden zählten. State Street hat diese Fonds allerdings nicht wegen verdächtiger oder krimineller Aktivitäten angezeigt. Und es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sie gegen Finanzvorschriften oder Gesetze verstoßen haben.

Vertreter von BlackRock und von Och-Ziff, das in Sculptor Capital Management umbenannt wurde, haben eine Stellungnahme zu Abramovich abgelehnt. „BlackRock hat ein sehr fähiges Compliance-Programm, hält sich an alle geltenden Vorschriften und unternimmt die notwendigen Schritte, um die Einhaltung der relevanten Sanktionen zu gewährleisten“, sagt ein Sprecher. Keiner der Fonds hat sich dazu geäußert, ob Abramovich weiterhin Kunde sei, obwohl einige US-Investmentgesellschaften sein Geld eingefroren haben.

Ein Mitarbeiter eines Fonds, der mit Abramovich zusammengearbeitet hat, sagt, dass alle Transaktionen zum damaligen Zeitpunkt legal waren und dass es in Finanzkreisen kein Geheimnis war, dass Abramovich in den USA investiert hat. "Die Leute wussten, wer oder was Concord war und sie wussten, dass er dazugehörte, und es mag auch Fälle geben, in denen sein Name schwarz auf weiß auf Papier stand", sagt der Mitarbeiter. "Jetzt gibt es eine Dynamik, in der er manchen Leuten rückwirkend unangenehm erscheint."

Im März 2016 hat State Street eine Reihe weiterer Berichte über verdächtige Aktivitäten vorgelegt, die weitere Einzelheiten über die laufenden Ermittlungen der Bank enthielten. Die Bank erklärte, sie habe eine Reihe von Transaktionen im Zusammenhang mit Abramovichs Offshore-Netzwerk gestoppt, bis die Ermittler die Dokumente erhalten würden, die zeigen würden, wie die Unternehmen mit Abramovich verbunden seien. Die Bank hatte Abramovichs Berater im Vereinigten Königreich um diese Unterlagen gebeten, aus denen dann hervorgehen sollte, wem die Unternehmen gehören.

Als diese Unterlagen eintrafen, floss das Geld weiter. Die Ermittler beobachteten, wie Abramovich seine Investitionen in neue Unternehmen umstrukturierte, die einem Offshore-Trust gehören, der es „RA ermöglicht, die Unternehmen anonym zu besitzen/kontrollieren“. Die Bank erklärte, sie sei besorgt, dass diese Maßnahmen „dazu dienten, RA als eigentlichen Eigentümer und Nutznießer von den Vermögenswerte weiter zu entfernen.“

In Großbritannien kommt Abramovich nicht mehr an sein Vermögen

Im Vereinigten Königreich ist das Vermögen von Abramovich nun eingefroren. Was mit seinen Immobilien passiert, darunter eine 125 Millionen Pfund teure Villa in Kensington Palace Gardens, ist noch ungewiss.

Das gilt auch für den FC Chelsea, der strengen staatlichen Kontrollen unterliegt, um sicherzustellen, dass Abramovich keine Einnahmen aus dem Verein erhält. Inhaber von Dauerkarten können weiterhin Spiele besuchen, aber der Verein darf keine neuen Karten verkaufen. Seine Fußballstars müssen bei Auswärtsspielen möglicherweise in billigeren Hotels übernachten. Geschäftsleute aus aller Welt sind an einem Erwerb von Chelsea interessiert, das einst Abramovichs wertvollstes Vermögen im Westen war. Die britische Regierung hat Berichten zufolge erklärt, dass die Erlöse eines Verkaufs nicht an Abramovich gehen würden.

Wann und wie die amerikanischen Behörden handeln werden, ist noch unklar. Der politische Druck hat zugenommen: Letzte Woche haben drei Demokraten im Kongress einen Brief an Präsident Joe Biden geschickt, in dem sie ihn aufforderten, Abramovich zu sanktionieren, unter dem Motto: „US-Sanktionen gegen Abramowitsch fallen durch ihre Abwesenheit auf“. „Ich bin mir nicht sicher, warum die USA noch nicht gehandelt haben“, sagt der Abgeordnete Steve Cohen, ein Demokrat aus Tennessee, gegenüber BuzzFeed News. „Ich verstehe, dass wir gemeinsam mit unseren Verbündeten handeln müssen, aber in diesem Fall scheinen wir zu spät an den Tisch gekommen zu sein.“

In der Zwischenzeit sind Abramovichs mobilere Vermögenswerte aus dem Westen abgezogen. Seine Jachten haben europäische Häfen verlassen und sind aufs offene Meer hinausgefahren und seine Jets sind nach Russland und Istanbul geflogen. Abramovich war in der Direktorenloge des FC Chelsea einst oft gesehen, doch im Moment ist unklar, wo sich der Oligarch aufhält. Zuletzt wurde er in der Luxuslounge des Ben-Gurion-Flughafens in Tel Aviv mit einer Maske unter dem Kinn gesehen. Berichten zufolge ist er in die Türkei geflogen, vielleicht auch nach Moskau.

Autoren des Artikels sind Tom Warren, Jason Leopold, Anthony Cormier, John Templon und Scott Pham. Er erschien zuerst auf Buzzfeed News US und wurde von Leon Lobenberg übersetzt.

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