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Wie der erste Schwarze Polizist Ostdeutschlands zum gesuchten Verbrecher wurde

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Von: Jana Stäbener

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Samuel Njankouo Meffire (52) kündigte 1994 bei der Polizei und gründete das Sicherheitsunternehmen „Alpha“, das jedoch schnell pleite ging. Um die Firma am Laufen zu halten, beging er in den mehrere Raubüberfälle und landete im Gefängnis.
Samuel Njankouo Meffire (52) kündigte 1994 bei der Polizei und beging danach mehrere Raubüberfälle. Aber warum? © Chris Amouzou

Sam, ein Sachse, spricht bei BuzzFeed News über die neue Disney+-Serie zu seinem Leben, das Scheitern und warum alles „maximal weird“ ist.

Samuel Njankouo Meffires Leben ist die (un)perfekte Antiheldengeschichte, die wir uns alle wünschen. Auch wenn er selbst das gar nicht so sieht. Im Gegenteil: „Ich sehe mich nicht als Held“, sagt Meffire schulterzuckend im Gespräch mit BuzzFeed News DE. „Eher als Projektionsfläche für die Leute und ihre Krisen.“ Irgendwie passend. Denn Krisen, die hat der 52-Jährige, der heute als Autor, Coach und Jugendhelfer arbeitet, einige erlebt.

Er beschreibt sie in seinem Buch. Es heißt „Ich, ein Sachse – Mein deutsch-deutsches Leben“ und erzählt von einem kleinen Schwarzen Jungen aus Leipzig, der seinen Vater zu früh verlor. Es erzählt von Rassismus und Rechtsextremismus und einem wiedervereinigten Deutschland, in dem „nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen war“. Von einem jungen Mann, der als erster Schwarzer Polizist in Dresden für die Demokratie kämpfen wollte – und dann selbst straffällig wurde.

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Samuel Meffires Geschichte wird mit „Sam – Ein Sachse“ als Serie verfilmt

Bis für das Buch, das er gemeinsam mit Lothar Kittstein geschrieben hat, der Rahmen stand, habe es Jahre gedauert, erzählt Meffire. „Und viele Menschen, die in meiner Geschichte mehr sahen, als ich selbst.“ So viel, dass sie sein Leben sogar verfilmten: Am 26. April startet „Sam – Ein Sachse“, eine Serie auf Disney+, produziert von Jörg Winger und Tyron Ricketts. Wie fühlt sich das an? „Es ist maximal weird. Manchmal denke ich, die Matrix hat einen Riss oder so“, lacht Meffire.

Tinder-Schwindler, die Hochstaplerin Anna Sorokin und jetzt er selbst: Warum werden echte Antihelden so gehypt, fragen wir Meffire. Er überlegt. „Ich glaube, unsere Welt ist mit viel Aufwand maximal sauber gewischt. Wir versuchen allen Risiken aus dem Weg zu gehen, aber dem größten Risiko des Scheiterns entkommen wir nicht.“ Antiheldengeschichten seien da der ideale Gegenpol, weil sie Menschen zeigten, die Fehler machen. „Und das tut einfach gut“, sagt Meffire zu BuzzFeed News DE.

Zur Person

Samuel Njankouo Meffire kam am 11. Juli 1970 in Zwenkau als Sohn eines kamerunischen Vaters und einer deutschen Mutter zur Welt. Sein Vater starb am Tag seiner Geburt, seine Mutter vermutete einen Giftangriff auf ihren Mann, der als Ingenieur-Student nach Ostdeutschland gekommen war. Meffire wuchs nahe Leipzig auf und lebte kurzzeitig in Dresden bei seinen Großeltern, was er als die „glücklichsten zwei Jahre seiner Kindheit“ beschreibt.

Nach einer Ausbildung zum Maurer lebte er zur Zeit der Wende in Dresden und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Zu dieser Zeit bekam er auch einen Sohn. 1990 ging er zur Volkspolizei, wurde zum ersten Schwarzen Polizist Ostdeutschlands. Ab 1991 studierte er Kriminalistik, wurde kurz darauf Kripo-Beamter im polizeilichen Staatsschutz. 1992 ließ er sich für eine bundesweite Antirassismus-Kampagne „Ein Sachse“ fotografieren, durch die er den damaligen Innenminister Sachsens, Heinz Eggert, kennenlernte.

1994 wurde Meffire der Medienzirkus und die Arbeit bei der Polizei zu bunt. Er kündigte und gründete das Sicherheitsunternehmen „Alpha“, das jedoch schnell pleite ging. Um die Firma am Laufen zu halten, beging er in den darauffolgenden Jahren mehrere Raubüberfälle mit teilweise schwerer Körperverletzung. Er floh in den Kongo, um einer Verhaftung zu entgehen, wurde dort festgenommen und schließlich nach Deutschland zurückgeführt. 1996 verurteilte ihn das Landgericht Dresden zu neun Jahren Haft.

Nach sieben Jahren im Gefängnis wird Meffire vorzeitig entlassen. Heute lebt er mit seiner Familie (zwei Töchter) in Bonn und arbeitet als Schriftsteller, Coach und Helfer für gewaltbereite Jugendliche.

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„Ich hoffe, ich kann mit dem Buch und der Serie den Riss heilen, den ich verursacht habe“

„Ich hoffe, ich kann mit dem Buch und der Serie den Riss heilen, den ich verursacht habe“, sagt Meffire im Gespräch mit BuzzFeed News DE. Er wirkt nachdenklich. Auf viele Fragen reagiert er erst einmal mit vielsagendem Schweigen. Dann die überlegte Antwort: „Manchmal wünsche ich mir, dass nicht ich die Bürde des ersten Schwarzen Polizist tragen hätte müssen.“

Der Riss, den Meffire meint, ist das jähe Ende, das seine Arbeit als Polizist nahm. Und mit ihm auch die Karriere als Schwarzes Testimonial für das Innenministerium in Sachsen. „Ich habe nicht nur einen Polizisten beerdigt, sondern auch [Innenminister Eggerts] kleines ‚Werbe-Pony‘ umgebracht“, schreibt Meffire über seine „hastige Kündigung“ bei der Polizei. Mit dem Minister tingelte er eine Zeit lang von Talkshow zu Talkshow, um über Rassismus und Rechtsextremismus zu sprechen.

Danach der neue Plan: Nicht als Polizist, sondern mit einer Sicherheitsfirma die Welt verbessern. Nur, dass Meffire das Unternehmertun nie gelernt hatte. Und ihn die Versagensangst blind machte, sagt er. Die Firma sei mit seinen Ambitionen überlagert gewesen. Anstatt zu akzeptieren, dass es einfach nicht lief, begingen er und seine Kollegen Überfälle und vernichteten innerhalb weniger Wochen ihre „gesamte bürgerliche Existenz“, erzählt der ehemalige Polizist.

Samuel Meffire und Malick Bauer (spielt Meffire in „Sam – Ein Sachse“) bei der Premiere der Disney+ Streamingserie im Kino International Berlin.
Samuel Meffire und Malick Bauer (spielt Meffire in „Sam – Ein Sachse“) bei der Premiere der Disney+ Streamingserie im Kino International Berlin. © IMAGO/Sebastian Gabsch/Future Image

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Samuel Meffire: Vom Verbrecher zum Trainer für straffällige Jugendliche

„Es war mir wichtig, zu zeigen: Das hier ist eine deutsch-deutsche Geschichte“, sagt Meffire über den Titel seiner Autobiografie. „Nur, weil ich Schwarz bin, bin ich kein Experte für Kolonialismus oder Antirassismus.“ Nachdem er die Überfälle in Deutschland begangen hatte, floh der heute 52-Jährige Mitte der 90er-Jahre in den Kongo. Die Zeit dort habe ihm gezeigt, was für ein „ostdeutsches Brötchen“ er sei.

Und sie sei hart gewesen. Lebensgefährlich hart. Im Buch beschreibt er, wie er im Kongo in Gefangenschaft endete und wie er „diesem Horrorfilm von einem Land endlich entkommen“ konnte. Zurück in Deutschland, saß Meffire sieben Jahre Haft ab, bekam dort psychiatrische Hilfe und arbeitete auf, was ihn in den 90er-Jahren hat Verbrechen begehen lassen. Heute ist er Familienvater und lebt in Bonn. Er hat zwei Töchter, arbeitet mit straffälligen Jugendlichen und coacht Menschen in Gefahrenlagen.

Sam ein Sachse, gespielt von Malick Bauer in der neuen Disney+-Serie. (links)
Sam ein Sachse, gespielt von Malick Bauer in der neuen Disney+-Serie. (links) © Disney+

Wiedervereinigung: „Es war schwer, im neuen Land anzukommen“

Als wir ihn zur aktuellen Situation in ostdeutschen Bundesländern befragen, in denen es wieder viel rassistische Hetze gegen Geflüchtete gibt, runzelt er die Stirn. Wenn man über den Osten spreche, dann müsse man Leute wie Björn Höcke von der AfD ausklammern, bei dem sei ganz klar eine rote Linie überschritten. Kritisch sei es, alle Ostdeutschen beim Thema Rechtsextremismus in einen Topf zu werfen. Vor der Wende habe er in der DDR als Schwarzer weniger Angst haben müssen, als nach der Wiedervereinigung.

„Ich hatte damals die Hoffnung, dass die DDR nicht aus der Geschichte gewischt wird. Aber genau das ist irgendwie passiert. Es hat keinen langsamen Annäherungsprozess gegeben und für viele – mich inklusive – war es schwer, im neuen Land anzukommen“, so Meffire zu BuzzFeed News DE. Wenn er heute durch Dresden laufe, sei da „so eine unterschwellige Traurigkeit“. Um die zu heilen, brauche es eine „Wahrheitskommission“, die aufarbeite, wo die Politik welche Fehler gemacht habe.

Samuel Njankouo Meffire lebt heute mit Frau und zwei Töchtern in Bonn und arbeitet als Schriftsteller, Coach und Helfer für gewaltbereite Jugendliche.
Samuel Njankouo Meffire lebt heute mit Frau und zwei Töchtern in Bonn und arbeitet als Schriftsteller, Coach und Helfer für gewaltbereite Jugendliche. © Chris Amouzou

„Deutschland ist Opfer des eigenen Aufarbeitungserfolgs geworden“

Meffire klingt ein wenig resigniert, als wir ihn fragen, wie es im Jahr 2023 um das wiedervereinigte Deutschland und das Leben als Schwarzer Mensch steht. Und das, obwohl er sich eigentlich als Optimist bezeichnet. „Wir kämpfen seit 30 Jahren gegen rechts und haben Millionen in Antirassismus-Kampagnen gesteckt. Trotzdem sind die Gräben so tief wie nie zuvor“, meint er.

„Ich weiß, was ich jetzt sage, mag für einige krass klingen: Deutschland ist Opfer des eigenen Aufarbeitungserfolgs geworden.“ Aber was bedeutet das? Der Trainer für gewaltbereite Jugendliche erklärt, was er meint: Die Polizei, die auch immer wieder an Klimaaktivist:innen gerate, sei heute zu weich, findet Meffire. Was Fremdenhass aller Art anbelange, müsse sie schärfere Grenzen ziehen – egal von wem der Hass komme. 

„Wir müssen eine Diskussion darüber führen, wie man die Demokratie verteidigen kann, ohne rassistisch zu sein. Wie man Gewalt und Hass im öffentlichen Raum sanktionieren kann, ohne Klischees zu bedienen. Wie man jungen Männern konstruktive Angebote machen kann, um ihre Aggressionen auszuleben“, so Meffire. Das Offensive sei schließlich Teil der menschlichen Natur. „Nur wenn wir aufhören, das zu tabuisieren, schaffen wir es, dass der Hass kleiner wird.“

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