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Queer-Hass an deutschen Schulen: „Die Herausforderungen sind riesig“

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Von: Michael Schmucker

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Wer nicht heterosexuell ist, hat es in der Schule oft sehr schwer: Der Lehrerverband will etwas unternehmen.
Wer nicht heterosexuell ist, hat es in der Schule oft sehr schwer: Der Lehrerverband will etwas unternehmen. © Symbolbild: Wer nicht heterosexuell ist, hat es in der Schule oft sehr schwer: Der Lehrerverband will etwas unternehmen./K.Neudert

Nicht heterosexuelle Schüler:innen verheimlichen ihre Identität, „schwule Sau“ gilt als Schimpfwort. Schulen müssen etwas gegen Queer-Hass tun.

Bis heute hält sich an vielen deutschen Schulhöfen die “Schwule Sau“ als Schimpfwort, neuerdings werden auch gerne immer mehr queere und trans* Schüler:innen verbal angegriffen. Die Ampel-Koalition will dies ändern und versucht, mit einem nationalen Aktionsplan gegenzusteuern.

Doch bisher gibt es in puncto Schule noch keine großen Erfolge zu verzeichnen. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) hat deswegen jetzt das sogenannte Queer-Papier veröffentlicht, ein Ratgeber, wie Fachkräfte an Schulen mehr Regenbogenkompetenz erlangen und ein besseres Klima für queere Schüler:innen schaffen können.

Angst vor Hass: Zwei von drei deutschen LGBTQIA+-Schüler:innen verheimlichen ihre Sexualität

Wie dringend das nötig ist, belegen diverse Studien und Statistiken: Mehr als die Hälfte (54,8 Prozent) der queeren Jugendlichen haben in Bildungsstätten bereits Erfahrungen mit Beschimpfungen und Beleidigungen gemacht (Coming-out-Studie des Deutschen Jugendinstituts). Eine EU-weite Studie fand nach Angaben des LSVD auch heraus, dass zwei von drei deutschen LGBTQIA+-Schüler:innen (68 Prozent) ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität im Laufe ihrer gesamten Schulzeit verheimlichen. Laut der LSBTI-Umfrage der EU-Grundrechteagentur gab es sogar für die Hälfte aller queeren Schüler:innen (46 Prozent) während ihrer gesamten Schulzeit niemanden, der sie unterstützt oder verteidigt hätte.

Für den Verein ist klar: Jugendarbeit ist immer auch queere Jugendarbeit, wenn sie ihren Auftrag wirklich ernst nimmt. So muss in der allgemeinen Jugendarbeit ein Begegnungsraum geschaffen werden, in dem queere und nicht-queere Jugendliche gleichermaßen willkommen sind und sich wechselseitig anerkennen. Zentrale Leitprinzipien sollen dabei laut LSVD mehr Sichtbarkeit marginalisierter Sexualitäten und Geschlechter sowie die grundlegende Anerkennung und Akzeptanz sein. Das Schulzimmer muss zu einem Safe Space werden.

Queer-Feindlichkeit an deutschen Schulen: „Schwul“ und „Schwuchtel“ werden als Schimpfwörter benutzt

René Mertens vom LSVD sieht daher die Schulen und die Lehrkräfte in der Verantwortung, wie er gegenüber BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von Ippen.Media erklärt: „Schulen haben den Auftrag, Kinder und Jugendliche auf gesellschaftliche Vielfalt vorzubereiten. Dazu gehört auch, dass Lehrkräfte und Erziehende Schimpfwörter und Mobbing nicht ignorieren. Das betrifft auch homophobe, trans*feindliche Sprüche, die oft unreflektiert von Kindern und Jugendlichen ausgesprochen werden. Das pädagogische Personal schreitet zu selten ein. ‚Schwul´ oder ‚Schwuchtel´ wird etwa immer noch von 62 Prozent der Sechstklässler:innen und von 54 Prozent der Neunt- und Zehntklässler:innen als Schimpfwort verwendet.“ Mertens bezieht sich dabei auf eine Studie über die Akzeptanz der sexuellen Vielfalt an Berliner Schulen, durchgeführt von der Humboldt Universität.

Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, stimmt der grundsätzlichen Aufgabe der Schulen zu, gibt gegenüber BuzzFeed News aber zudem zu bedenken: „Leider machen immer noch viele Jugendliche Diskriminierungserfahrungen. Schule ist insofern immer ein Spiegelbild der Gesellschaft. Aber natürlich ist es Aufgabe der Schule gegenüber Mobbing sensibel zu sein und dies am ehesten im Vorfeld präventiv schon zu unterbinden. Bei der Sprache auf Schulhöfen muss man bedenken, dass Jugendliche gerne mit Tabubrüchen spielen, ohne dass dahinter sofort eine homophobe Einstellung stecken muss. Das heißt natürlich nicht, dass solche Schimpfwörter zulässig oder tolerabel sind.“

„LSBTIQ* sind meistens – wenn überhaupt – nur ein Thema im Biologieunterricht.“

LSVD beklagt heteronormativen Unterricht und Lern-Materialien.

Die Wahrnehmung von Meidinger und seinen Kolleg:innen ist, dass die Mehrheit der Jugendlichen inzwischen durchaus mehr Offenheit und Sensibilität für das Thema erübrigt. Allerdings gebe es jenseits der direkten Arbeit von Lehrer:innen noch weiteren Handlungsbedarf, so Mertens weiter: „Der Unterricht und die Lern-Materialien sind heteronormativ, das heißt, sie zeigen in der Regel kaum bis gar keine Vielfalt an Geschlechter-Rollen, Familien-Formen oder Lebensweisen. LSBTIQ* sind meistens – wenn überhaupt – nur ein Thema im Biologieunterricht. Daher ist es wichtig, dass die Akzeptanz von vielfältigen Identitäten und Lebensweisen als Querschnittsthema in Lehrplänen, Schulverfassungen und Leitbildern fest verankert wird.“

Regenbogenkompetenz: Lehrkräfte sollten über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sprechen

Das wiederum könne nur gelingen, wenn diese Vielfalt auch in den Unterrichtsmaterialien dargestellt wird und die Lehrkräfte flächendeckend dazu befähigt sind, professionell und diskriminierungsfrei über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu sprechen. Mertens nennt dies die sogenannte Regenbogenkompetenz.

Auch im Queer-Papier des Vereins findet sich dieses Konzept, entwickelt von Ulrike Schmauch (Frankfurt University of Applied Sciences). Besonders wichtig sei dabei, Diskriminierung im beruflichen Kontext zu verringern sowie Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken.

15-Punkte-Plan für weniger Diskriminierung: Lehrkräfte sollen Weiterbildungen bekommen

Die Regenbogenkompetenz setzt sich dabei aus vier Teilbereichen zusammen: Sachkompetenz (Wissen über Lebenslagen, Diskriminierungen und Ressourcen), Methodenkompetenz (Handlungsfähigkeit und Verfahrenswissen), Sozialkompetenz (Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit) und Selbstkompetenz (Reflexion eigener Gefühle, Vorurteile und Werte).

Dazu hat Schmauch einen 15-Punkte-Plan vorgelegt, wie dies bestmöglich funktionieren kann: Ein breit gefächertes Spektrum von einer offenen Willkommenskultur, über eine geschlechtergerechte Sprache, ausreichend Aufklärungsmaterial bis hin zum sofortigen Einschreiten bei Mobbing, dem Hinterfragen von Vorurteilen und Geschlechterstereotypen oder auch ausreichend Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte wird hier unter anderem aufgezeigt.

Lehrerverband skeptisch: „Entscheidend ist die Haltung, die eine Lehrkraft hat“

Meidinger vom Deutschen Lehrerverband dazu: „Bei solchen Methodensamplern bin ich immer etwas skeptisch. Entscheidend ist nicht die Kenntnis von x verschiedenen Methoden, sondern die Haltung, die eine Lehrkraft hat.“ Oftmals bekämen Lehrkräfte queer-feindliches Mobbing beispielsweise gar nicht mit, zudem bekräftigt der Lehrerverbandspräsident weiter: „Wenn queere junge Menschen in der Schule Unterstützung bei Konfliktsituationen vermissen, wäre es wichtig zu wissen, von wem sie Unterstützung in konkreten Fällen erwartet hätten. Ich glaube nicht, dass Lehrkräfte da bewusst wegsehen oder abtauchen.“

Denn klar sei laut Meidinger zudem auch: „Die Eltern haben eine Schlüsselrolle. Wenn sie als Stabilisatoren und Unterstützer ihrer Kinder ausfallen, wird es immer schwierig.“ Entwarnung kommt dazu seitens des LSVDs: „Es geht nicht darum, dass Lehrkräfte alles gleich umsetzen oder sich sofort bei allen Themen sicher fühlen, sondern darum, anzufangen und vor allem die ersten Schritte zu gehen. Diese Botschaft geben wir auch bei den Kickoff-Veranstaltungen zu unserem ‚Queer-Paket´ an die Fachkräfte weiter. Es geht vor allem auch um eine innere Haltung, bei Gewalt und Anfeindungen nicht einfach wegzuschauen, sondern Offenheit und Ansprechbarkeit zu signalisieren“, so Mertens. Das Interesse dafür sei bei vielen Lehrkräften auch vorhanden, es gebe aber noch einen großen Bedarf an Bildungsmaterialien und das flächendeckend in Deutschland.

„Gerade als Lehrerin kommt man da mancherorts an seine Grenzen, weil ein lautstarker Teil der Klasse sie als Autoritätsperson bereits ablehnt, nur weil sie zum Beispiel eine Frau sind.“

Tanja Höring über Unterrichtsprobleme beim Thema Vielfalt und Inklusion.

Das allein reicht an einigen Schulen aber bei weitem nicht aus, wie Tanja Höring gegenüber BuzzFeed News erklärt. Sie arbeitete früher kurzzeitig an Berliner Brennpunktschulen und ist vor einigen Jahren mit ihrem Mann und ihrem schwulen Sohn nach Bayern gezogen: „Mir ist das Thema Inklusion von homosexuellen und queeren Kindern immer wichtig gewesen, aber es gibt Klassen und ganze Schulen, da ist jedwede Form von Unterricht, der auf Vielfalt und Inklusion setzt, gar nicht mehr möglich. Gerade als Lehrerin kommt man da mancherorts an seine Grenzen, weil ein lautstarker Teil der Klasse sie als Autoritätsperson bereits ablehnt, nur weil sie zum Beispiel eine Frau sind.“

„Es klingt nicht so, als würde die Situation wirklich besser werden“ – Lehrerverband will nicht kapitulieren

Dabei betont Höring mehrfach gegenüber BuzzFeed News, dass sich die Situation nicht verallgemeinern lässt, stellt aber trotzdem klar: „Ich arbeite inzwischen nicht mehr an einer Schule, aber ich habe noch viele Kontakte zu Lehrern und vor allem Lehrerinnen. Es klingt nicht so, als würde die Situation wirklich besser werden.“

Meidinger stimmt dem zu und ergänzt: „Die Herausforderungen sind riesig und die Probleme gerade an Brennpunktschulen nehmen zu. Das kann aber nicht heißen, dass man sozusagen vorauseilend kapituliert. Es gibt durchaus positive Ansätze und Beispiele, auch an solchen Schulen ein gutes Miteinander in Achtung vor dem Mitmenschen zu verwirklichen.“

„Reparaturbetrieb der Gesellschaft“: Schulen können nicht alle Aufgaben stemmen

Damit das allerdings tatsächlich gelingen kann, müssen auch Eltern und die Politik mit ins Boot geholt werden – gerade mit Blick auf schwerwiegende Fälle und besonders problematische Schulklassen. „Schule ist keine Institution, die die Aufgabe von Jugendhilfeeinrichtungen übernehmen und ersetzen kann“, so Meidinger weiter. Viele Schulen seien zudem mittlerweile mit immer neuen Aufgaben und Herausforderungen überlastet und dadurch zu einem „Reparaturbetrieb der Gesellschaft“ degradiert worden.

Meidinger: „Mir scheint, dass die Politik all die Problemlösungen an die Schulen delegiert, an denen sie selbst gescheitert ist. Das kann dauerhaft nicht gut gehen.“ Auch Mertens sieht dieses Problem und bekräftigt: „Diese Aufgabe kann nicht von Schulen allein bewältigt werden. Es braucht ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern, Schulen, Universitäten, Schulbuchverlagen und auch von Erziehungsberechtigten.“ Ebenso mit angesprochen werden müssen Vertreter:innen von Religionsgemeinschaften, so Mertens vom LSVD weiter: „Wir brauchen vor allem auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, wie wir die Akzeptanz von Vielfalt in Schulen, Kitas und in der außerschulischen Bildungsarbeit fördern können. Dazu gehört auch der Dialog in und mit Religionsgemeinschaften.“

Nicht nur queere Jugendliche betrifft Vielfältigkeits-Thematik: Vorschläge können auch Rassismus verhindern

Das Thema Vielfältigkeit an Schulen ist dabei eines, das nicht nur queere Jugendliche betrifft – all die angedachten Maßnahmen und Vorschläge greifen genauso, wenn es um rassistische oder anderweitig menschenfeindliche Ressentiments geht, gerne auch vom politisch rechten Rand. Oftmals speisen sich laut dem LSVD die Diskriminierung und der Hass an Schulen aus denselben Quellen, wenngleich sie sich auch gegen unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen wenden.

„Sich selbst zu hinterfragen, ist immer sinnvoll. Wenn Lehrkräfte aufhören, ihr Denken und Tun kritisch zu reflektieren, findet auch keine positive Fortentwicklung mehr statt.“

Heinz-Peter Meidinger über die Entwicklung an deutschen Schulen.

So bekräftigt auch Meidinger: „Wir brauchen an den Schulen eine Atmosphäre und ein Klima der Toleranz, Angstfreiheit und eine Kultur des Hinschauens, die Jugendliche bei Problemen auffangen und ihnen helfen kann.“ Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes stimmt dabei auch dem Vorschlag des LSVDs zu, dass ein Schritt hin zu einem besseren Miteinander ist, dass auch Lehrkräfte ihre Denkweisen immer mal wieder reflektieren: „Sich selbst zu hinterfragen, ist immer sinnvoll. Nicht nur in dem hier angesprochenen Bereich. Wenn Lehrkräfte aufhören, ihr Denken und Tun kritisch zu reflektieren, findet auch keine positive Fortentwicklung mehr statt.“

Kinder und Jugendliche bringen Vielfalt mit in jede Klasse: Das Thema geht uns alle an

Der Kernansatz seitens des Vereins ist dabei, dass Lehrer:innen immer davon ausgehen sollten, dass auch queere Schüler:innen vor ihnen sitzen, selbst wenn sich noch niemand in einer Schulklasse geoutet hat: „Kinder und Jugendliche erleben schon heute tagtäglich Vielfalt und bringen diese auch mit. In jeder Klasse sitzen statistisch ein bis zwei Kinder, die jetzt oder später nicht cisgeschlechtlich beziehungsweise nicht heterosexuell sind. Auch wenn junge Menschen noch nicht geoutet sind, stärkt es sie, wenn unaufgeregt über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gesprochen und vor allem auch bei abwertenden Haltungen eine klare Grenze gezogen wird. LSBTIQ*-Feindlichkeit kann nicht nur Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche oder queere Menschen betreffen, sondern jede:n von uns: Alle, die von den vorherrschenden Geschlechtervorstellungen abweichen, indem sie sich nicht geschlechtskonform verhalten, kleiden oder lieben, können von LSBTIQ*-Feindlichkeit betroffen sein.“ Kurzum, das Thema sollte und muss uns alle angehen.

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