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Das neue Selbstbestimmungsgesetz: zwischen „Meilenstein“ und Ernüchterung

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Ein Paar küsst sich, während Unterstützer und Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft gegen das Citipointe Christian College bei einem Protestmarsch durch das Hauptgeschäftsviertel protestieren.
Das Selbstbestimmungsgesetz soll in Deutschland kommen. © Darren England/dpa

Die Bundesregierung will das veraltete Transsexuellengesetz durch ein neues Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Aber viele Fragen sind noch offen.

Die jüngst vorgestellten Pläne der Bundesregierung, das veraltete Transsexuellengesetz durch ein neues Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen, haben in den letzten Tagen kurz vor der politischen Sommerpause in Berlin sowohl für Zustimmung wie auch für Kritik und Ernüchterung gesorgt. Bei der Präsentation der ersten Eckpunkte des Gesetzentwurfs erklärten Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sowie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), dass der Kern des Gesetzentwurfes eine vereinfachte Personenstandsänderung ist. Bisher müssen trans-Personen zwei psychologische Gutachten beim Amtsgericht vorlegen, bevor das Geschlecht juristisch geändert werden kann – diese, oftmals als entwürdigend empfundene Regelung soll nun 2023 fallen. 

Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, erklärte dazu: „Ein Meilenstein für die Menschenrechte!“ Ebenso begrüßten viele LGBTQIA+-Vereine die Pläne, beispielsweise Henny Engels aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD): „Damit ist der erste Schritt getan, um die geschlechtliche Selbstbestimmung von trans*- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen zu gewährleisten.“

Selbstbestimmungsgesetz: Noch Fragen offen

Allerdings gab es in einigen trans-Vereinen auch Ernüchterung – explizit geht es um die Frage, ob künftig Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr ohne Zustimmung der Eltern oder Sorgeberechtigten eine Personenstandsänderung vornehmen lassen können. Die letzten Pläne sowohl von FDP wie auch von den Grünen sahen dies vor. Bundesfamilienministerin Paus erklärte indes nun, dass Jugendliche dies nur mit Erlaubnis der Eltern oder bei Absage dieser über eine Klärung beim Familiengericht tun können. Für einige trans-Organisationen eine bittere Pille, ebenso wie für den LSVD: „Diese Lösung entspricht nicht der zunehmenden Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit, die Jugendlichen in anderen Rechtsbereichen, wie beispielsweise der Wahl der Religion oder der Wahl über einen Beruf zugetraut wird. Der Antrag beim Familiengericht stellt vor dem Hintergrund des familiären Zusammenlebens eine extrem hohe Hürde dar!“ Sven Lehmann hat daraufhin im Gespräch mit Tessa Ganserer und Nyke Slawik, den ersten beiden trans-Frauen im Deutschen Bundestag, erklärt, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. 

Von Seiten zahlreicher Feministinnen wurden derweil Stimmen laut, dass das Geschlecht mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz gänzlich abgeschafft und Frauenschutzräume obsolet werden würden. Sie stellten fest, dass die Präsentation des Gesetzentwurfes ein „schlechter Tag für die Frauenrechte“ gewesen sein soll. Bundesfamilienministerin Paus erklärte dazu: „Das Missbrauchsthema finde ich nicht nachvollziehbar. Trans-Frauen sind Frauen. Deswegen sehe ich da keinen weiteren Erörterungsbedarf.“

Selbstbestimmungsgesetz: „Eckpunkte zu vage und unvollständig“, sagt Jurist

Von juristischer Seite gibt es dabei ebenso noch offene Fragen, wie ein führender Verfassungsexperte gegenüber Buzzfeed News Deutschland bestätigte. Noch seien die Eckpunkte zu vage und unvollständig, sodass der Fachmann aktuell auch noch kein offizielles Statement abgeben möchte. Die Frage steht allerdings im Raum, was eine einfache juristische Geschlechtsänderung für all jene Gesetze in Deutschland bedeuten könnte, die bei ihrer Rechtsprechung bisher einen Unterschied zwischen Mann und Frau machen. Die bisherigen siebzehn Verfassungen der Bundesrepublik kennen zudem nur Frauen und Männer als juristische Personen und gehen aktuell davon aus, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Im Zweifel stünde also im Raum, dass auch die Verfassung selbst umfassend reformiert werden müsste. 

Ebenso noch unklar ist die geplante Ordnungswidrigkeit, die im neuen Selbstbestimmungsgesetz festgeschrieben sein soll. Kernaspekt ist dabei, dass künftig Menschen mit einem Bußgeld – voraussichtlich rund 2.500 Euro – belangt werden können, wenn sie den alten Vornamen einer trans-Person benennen (Deadnaming) oder bewusst falsche Pronomen bei der Ansprache verwenden. Mancherorts steht die Angst im Raum, dass jede falsche Ansprache künftig Geld kosten könnte. Bundesjustizminister Buschmann erklärte, dass es in erster Linie darum ginge, Menschen zu schützen, die ihre Geschlechtsanpassung nicht öffentlich machen möchten. Das Bußgeld greife so nur, wenn trans-Personen öffentlich und vorsätzlich vorgeführt beziehungsweise gegen ihren Willen zwangsgeoutet werden würden. Es bleibt abzuwarten, wie exakt dieser Passus ausgestaltet werden wird – werden am Ende die Gerichte von Einzelfall zu Einzelfall entscheiden müssen? Das zumindest befürchtet auch der transsexuelle Autor und Referent für Geschlechterforschung Till Randolf Amelung gegenüber Buzzfeed News Deutschland: „Ich gehe davon aus, dass sich mit so manchem Fall dann wohl die Gerichte befassen müssten, wie es nun auszulegen sein sollte.“ Bundesjustizminister Buschmann betonte indes abermals den Kern des neuen Gesetzes: „Das Selbstbestimmungsgesetz berührt eine grundlegende Frage unseres Zusammenlebens: Wie ernst meinen wir es mit dem Schutz der persönlichen Freiheit?“ (Autor: JHM Schmucker)

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