Grünen-Politikerin Tessa Ganserer: Diskussion über trans*-Rechte erinnert an „Achtziger- und Neunzigerjahre“

Wie geht es trans* Personen in Deutschland? Wir von BuzzFeed News haben mit der Grünen-Politikerin Tessa Ganserer über das neue Selbstbestimmungsgesetz gesprochen.
Die Ampel bringt das neue Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg, das trans*Personen in Deutschland vieles erleichtert, zum Beispiel die Namens- und Personenstandsänderung. Das veraltete Transsexuellengesetz soll abgeschafft werden, weil es trans* Personen diskriminiert. Tessa Ganserer bezeichnet es im Interview mit BuzzFeed News Deutschland als „entwürdigend“. Die Bundesabgeordnete ist selbst trans* Frau und setzt sich für transgeschlechtliche Menschen ein.
Auch bei der ZDF-Sendung „13 Fragen“ wurde zuletzt über das Selbstbestimmunggesetz diskutiert. GNTM-Siegerin Alex wurde dabei unsensibel auf ihr Leben als trans* Frau angesprochen. Das zeigt, wie wichtig Sensibilität und Akzeptanz gegenüber transgeschlechtlichen Personen und der LGBTQIA+-Community ist, das macht auch Ganserer im Interview mit BuzzFeed News deutlich.
Tessa Ganserer spricht darüber, was das Selbstbestimmungsgesetz für transgeschlechtliche Personen ändert
In den vergangenen Wochen ist viel passiert, was das Leben von trans* Personen betrifft. Einige Sportverbände gaben bekannt, dass sie die Teilnahme von trans*Frauen bei Frauen-Wettbewerben verhindern oder einschränken werden. Der Schwimmverband FINA und der Rugby-Verband schließen trans* Frauen von Frauen-Wettbewerben vollständig aus. Der Fußballverband FIFA stellt es transgeschlechtlichen Fußballer:innen in der Amateurliga wiederum frei, ob sie in der Frauen- oder Männermannschaft spielen wollen.
Am Donnerstag, 30. Juni, stellt die Ampel-Koalition im Bundestag die Eckpunkte des neuen Selbstbestimmungsgesetzes vor, das für viele transgeschlechtliche Personen ein wichtiger Schritt ist. So auch für die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer. BuzzFeed News Deutschland hat mit ihr darüber gesprochen, was das Gesetz für trans* Personen bedeuten wird, und was sie von den Entscheidungen der Sportverbände hält. Außerdem erzählt sie uns, welche Maßnahmen weiterhin notwendig sind, um trans* Personen ein diskriminierungsfreies Leben in Deutschland zu ermöglichen.
Frau Ganserer, was wird sich durch das kommende Selbstbestimmungsgesetz für transgeschlechtliche Personen in Deutschland ändern?
Das Gesetz wird das Verfahren für die Korrektur des Geschlechtseintrags vereinfachen. Nicht nur, dass das Verfahren unter dem gerade bestehenden Transsexuellengesetz entwürdigend ist, es ist außerdem sehr langwierig und aufwendig. Die Zeit, in der transgeschlechtliche Menschen schon geoutet sind, aber noch keine passenden amtlichen Dokumente haben, ist mit Belastungen und Diskriminierungen verbunden. Für cis-geschlechtliche Personen ist es kein Problem, einen Personalausweis vorzuzeigen, während sich transgeschlechtliche Personen jedes Mal erklären und rechtfertigen müssen – egal, ob es sich um die Polizeikontrolle handelt, man einen Flug bucht oder einen neuen Mietvertrag abschließt. Mit einem einfachen und unbürokratischen Verfahren könnten solche unangenehmen Situationen verhindert werden.
Kritiker:innen befürchten, dass das Selbstbestimmungsgesetz Männern Zutritt zu Frauenräumen ermöglicht. Was erwidern Sie dem?
Ich finde solche Aussagen fürchterlich. Sie erinnern mich an einen Diskurs aus den Achtziger- und Neunzigerjahren, als es darum ging, Homosexualität aus der internationalen Liste der psychischen Krankheiten zu streichen und später um das Recht auf eingetragene Partnerschaften. Es gab immer aus derselben Ecke fürchterliche Diffamierungskampagnen vorwiegend gegen homosexuelle Männer die als potentielle Straftäter dargestellt wurden. Genau diese Kräfte schießen sich jetzt auf transgeschlechtliche Menschen ein. Trans* weibliche Personen werden zu Unrecht als potenzielle Straftäter:innen dargestellt.
Aber geht es Kritiker:innen nicht einfach um Sicherheitslücken, die cis-Männer ausnutzen könnten?
Sexualisierte Gewalt ist ein massives Problem, das wir als Grüne schon immer adressiert haben. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass zum Beispiel Frauenhäuser bisher dermaßen unterfinanziert werden. Jedes Frauenhaus trägt jedoch selbst die Verantwortung dafür, welche Person sie dort aufnimmt. Daran wird das Selbstbestimmungsgesetz nichts ändern – weshalb der Bundesverband Frauenhauskoordinierung das Selbstbestimmungsgesetz auch befürwortet. Mit solchen pauschalen Befürchtungen werden nur Ängste geschürt und die Gesellschaft gespalten.
Wie schätzen Sie die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber trans* Personen ein?
Es ist ohne jeden Zweifel so, dass die Gesellschaft heute offener und toleranter geworden ist. Es besteht aber allgemein noch Unwissenheit über das Phänomen der Transgeschlechtlichkeit. Und diese Unwissenheit ist ein Nährboden für Vorurteile bis hin zu Menschenfeindlichkeit. In den letzten Jahren haben Hassverbrechen gegenüber queeren Menschen massiv zugenommen. Wobei Dunkelfeldstudien nahe legen, dass bis zu 90 Prozent der Straftaten nicht zur Anzeige gebracht werden. Die Studie „Out of Office“ hat außerdem herausgefunden, dass mehr als 50 Prozent aller transgeschlechtlichen Menschen im Beruf Diskriminierung erfahren.
Was muss vonseiten der Politik getan werden, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu verbessern?
In Deutschland haben wir das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das unter anderem festlegt, dass niemand aufgrund seines Geschlechts diskriminiert werden darf. Diskriminierung kann man aber nicht einfach mit einem Bundestagsbeschluss aus der Welt schaffen. Es ist notwendig, dass die Politik eine ganz klare Haltung einnimmt und gezielt auch Maßnahmen ergreift, um gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber transgeschlechtlichen Menschen zu fördern. Deswegen haben wir fest vor, einen nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt zu erarbeiten. Wir wollen damit unter anderem Organisationen, die Akzeptanzarbeit für queere Menschen leisten, finanzielle Ressourcen bereitstellen.
Der Schwimmverband FINA und auch die International Rugby League haben entschieden, trans* Frauen aus ihren Frauen-Wettbewerben auszuschließen. Auch der Leichtathletikverband hat angekündigt, diesen Bestimmungen folgen zu wollen. Was sagen Sie dazu?
Die Regeln sind eine Aufgabe der Sportverbände und nicht der Politik. Es ist wichtig, dass der Sport über faire Wettbewerbsbedingungen diskutiert. Ich finde es allerdings einseitig, dass die Debatte nur über transgeschlechtliche Personen geführt wird. Beim Basketball ist die Körpergröße zum Beispiel ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Gleichwohl kennen wir im Leistungssport nur die Einteilung in Männer und Frauen, nicht aber in Körpergrößen. Ich vermisse, dass die Diskussion über Wettbewerbsvorteile differenziert geführt wird.
Was halten Sie persönlich von der Entscheidung der FINA?
In meinen Augen ist der pauschale Ausschluss wissenschaftlich nicht tragbar. Der Leistungsunterschied zwischen Männern und Frauen liegt bei gerade einmal etwa zehn Prozent. Es ist aber Fakt, dass eine transweibliche Person, die angefangen hat, Hormone zu nehmen, schon nach wenigen Monaten im selben Umfang ihre individuelle Leistung einbüßt.
Das Internationale Olympische Kommittee (IOC) hat deshalb eingeführt, dass je nach Sportart eine bestimmte Höhe des Testosterongehalts über die Teilnahme von transgeschlechtlichen Athlet:innen entscheidet.
Das finde ich eine wissenschaftsbasierte Entscheidung – auch gegenüber intergeschlechtlichen Menschen. Ich möchte aber das Augenmerk auch auf den breiten Sport legen, wo es nicht um Hundertstelsekunden geht. Besonders für junge Menschen ist Sport eine Möglichkeit, Gemeinschaft zu erleben und Bestätigung zu erfahren. Gleichzeitig ist Sport aber ein Ort, wo transgeschlechtliche und non-binäre Menschen massivste Ausgrenzung erfahren. In einer Studie des Deutschen Jugendinstituts von 2017 wurde deutlich, dass trans* Jugendliche aufgrund ihrer Diskriminierungserfahrungen deutlich weniger Sport machen. Es ist dem guten gesellschaftlichen Miteinander absolut abträglich, die Diskussion im Sport so aufgeheizt zu führen. Das erhöht den Druck auf transgeschlechtliche und queere Menschen noch weiter.
Der Deutsche Fußballverband (FIFA) stellt es trans* und non-binären Fußballer:innen in der Amateurliga frei, in welcher Mannschaft sie spielen wollen.
Es freut mich, dass der Deutsche Fußballverband diesen Beschluss getroffen hat. Probleme mit Diskriminierung gibt es innerhalb des Sportes nicht nur aufgrund von Regelungen, sondern auch dem Umgang miteinander in Vereinen oder im Team. Der DFB ist sich hier seiner Pflicht bewusst, Diskriminierungen abzubauen und für Akzeptanz zu werben. Sport sollte ein Ort sein, bei dem alle willkommen sind.
Mehr Akzeptanz im Fußball ist wichtig, denn zahlreiche Fußballspieler:innen erhalten Hassnachrichten – viele sind homophob oder rassistisch.