1. BuzzFeed
  2. News

Sexarbeiter:innen fühlen sich innerhalb der queeren Community mehr respektiert

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Michael Schmucker

Kommentare

Pärchen liegt im Bett.
Sexarbeit bei Frauen findet immer mehr Zuspruch. © Eva Blanco/Imago

Deutschland debattiert über ein Sexkaufverbot. Doch jede Art der Kriminalisierung macht die Arbeit von Sexarbeiter:innen gefährlicher.

Ist Sexarbeit gleich Sexarbeit? Queere Sexarbeiter:innen würden dieser Aussage vehement widersprechen, obgleich sie in den aktuellen Debatten rund um ein mancherorts gefordertes Schwedisches Modell, das nicht die Sexarbeiter:innen bestraft, sondern den Kauf von Sex für die Freier:innen strafbar macht, stets ungehört bleiben. Dabei lohnt sich ein Blick in die Lebensrealität von queeren Sexarbeiter:innen gleich in mehrfacher Hinsicht. 

Täter-Opfer-Narrativ entfällt: Sexarbeit bei Frauen findet immer mehr Zuspruch

Andre Nolte, Pressesprecher vom Bundesverband Sexarbeit und selbst unter dem Namen Dominus als bisexueller Master tätig, erklärt gegenüber BuzzFeed News DE von Ippen.Media: „Die zahlenmäßig stärkste Gruppe in der queeren Sexarbeitswelt sind trans*-Frauen. Daneben sind zudem auch feminine sowie nicht-binäre Menschen im Fokus, die im Alltag als Mann gelesen werden. Androgynität oder das Spielen mit Geschlechterrollen und Stereotypen entdecken immer mehr Kund*innen für sich.“ Das Paradox dabei: Laut Nolte erfahren trans*-Menschen im Umfeld der Sexarbeit zumeist eine deutlich höhere Akzeptanz als im alltäglichen Leben, sodass überdurchschnittlich viele trans*-Menschen in der Sexarbeit tätig sind.

Die zweitstärkste Gruppe der queeren Sexarbeiter:innen bietet Sex unter Männern an. Weniger Raum nimmt bisher dagegen die Sexarbeit bei Frauen ein, die ausschließlich andere Frauen als Kundinnen haben. Ein Teil der queeren Sexarbeit, der allerdings in den letzten Jahren immer mehr an Zuspruch findet. Sexarbeiterin Kristina Marlen dazu: „Frauen fühlen sich nicht als Kundinnen für sexuelle Dienstleistungen angesprochen, ein Zeichen dafür, wie patriarchal die Branche größtenteils noch immer strukturiert ist. Frauen sind allerdings eine begeisterte Kundschaft, wenn sie das Angebot erst einmal auf sich beziehen.“ Die Angebotspalette reicht dabei dann von Tantra über BDSM bis hin zu rein sinnlichen Berührungen.

„Die Nachfrage ist erstaunlich hoch und Frauen nutzen das Angebot dann rege. Wenn weibliche Kundschaft sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt, zeigt sich, was eigentlich für jeden Sex gilt, ob bezahlt oder unbezahlt: wenn er einvernehmlich ist, ist er wunderbar!“ Zudem fällt ein Aspekt bei dieser queeren Sexarbeit weg, was viele Frauen besonders positiv bewerten, so Marlen weiter: „Wenn Frauen Kundinnen sind, entfällt das Täter-Opfer-Narrativ, das wir auf die Sexarbeit projizieren. Das irritiert viele, daher finden sie es undenkbar. Wie absurd es ist, dass wir Kunden sexueller Dienstleistungen per se Gewaltbereitschaft unterstellen, zeigt sich in diesem Moment.“

Sexarbeiter:innen innerhalb der queeren Community mehr respektiert

So wird offenbar für viele Kund:innen, die sich in die Welt der queeren Sexarbeit begeben, eine Tür aufgestoßen, die Raum für neue Erfahrungen und einen erweiterten Horizont bieten können. Diese Unterschiede zeigen sich auch beim bezahlten Sex zwischen zwei Männern, so Nolte weiter: „Mann-männliche Sexarbeit ist meiner Erfahrung nach in ihrer Form direkter oder abgeklärter, man ist eben unter Männern“.

Eine weitere Differenzierung findet sich in der Außenwahrnehmung – innerhalb der queeren Community sind Sexarbeiter:innen mehr respektiert als heterosexuelle Anbieter:innen in der breiten Gesellschaft. „Das liegt vielleicht daran, dass wir aufgrund der eigenen Entwicklungsgeschichte und Identitätsfindung unsere Sexualität häufiger und auch anders reflektiert haben beziehungsweise reflektieren mussten, als der durchschnittliche, heterosexuelle cis-Mensch“, so Nolte weiter.

Auch die Berliner Drag-Queen und Queer-Aktivistin Margot Schlönzke berichtet von eher positiven Erfahrungen mit der Szene: „Ich bin in der Nähe des Straßenstrichs aufgewachsen, also direkt in Berlin an der Kurfürstenstraße. Es gab mehr als genug Berührungspunkte bereits in der frühen Kindheit von mir und meiner Schwester mit der dortigen Sexarbeit. Die Sexarbeit erschafft keine Probleme oder verschlimmert sie. Probleme liegen in der Motivation, denn wenn zum Beispiel Geld für die Drogensucht organisiert werden muss, dann ist Sexarbeit oft die einzige Möglichkeit und dann sicher alles andere als ein wünschenswerter Lebensentwurf. Allerdings würde bei einem Verbot der Sexarbeit die Drogensucht bleiben.“

Berichterstattung über Sexarbeit einseitig und rassistisch

Ähnliches kritisiert auch Nolte vom Bundesverband, die Berichterstattung in den Medien sei meist sehr einseitig: „Vermeintliche Feministinnen, die ein Sexkaufverbot fordern, zeichnen immer wieder das gleiche stereotype Bild eines bestimmten Opfers: Die junge, unschuldige, ausländische Frau, die betrogen und zur Prostitution in Deutschland gezwungen wird.“ Durch diese Darstellungen würden nicht nur rassistische Erzählungen verankert, sondern allen Sexarbeiter:innen pauschal die Entscheidungsmacht abgesprochen. Sexarbeit wird so in einem Atemzug laut Nolte mit Menschenhandel verschmolzen. 

Die Frage nach der Freiwilligkeit beantwortet Nolte mit einer Gegenfrage, denn welche Arbeit in einer kapitalistischen Gesellschaft sei schon gänzlich freiwillig? Der manchmal erzwungene Sex auf dem Straßenstrich mache nur einen sehr kleinen Teil der Sexarbeit in Deutschland aus, die meisten Anbieter:innen treffen sich mit ihren Kund:innen in Hotels, Privatwohnungen und Bordellen.

Gerade in der queeren Sexarbeit habe sich dieser Trend ins Private seit der Pandemie immer weiter verstärkt. „In der mann-männlichen Sexarbeit beobachten wir laut einer Auswertung des Sexarbeiter:innen-Portals HUNQZ seit Covid einen Zuwachs von 20 Prozent. Die Zahl stieg auch 2022 weiterhin unverhältnismäßig stark an und das lässt den Schluss zu, dass Sexarbeit noch immer besonders dann an Bedeutung gewinnt, wenn sich Krisen anbahnen.“ 

Beratungs- und Schutzangebote für queere Sexarbeiter:innen gingen während der Corona-Pandemie zurück

An anderer Stelle hat sich das Leben von queeren Sexarbeiter:innen allerdings verschlechtert – seit der Pandemie sind Beratungs-, Schutz- und Aufklärungsangebote stark zurückgegangen. Und natürlich fand Sexarbeit auch während der Pandemie statt, wie auch Alva Träbert vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) gegenüber BuzzFeed News bekräftigt: „Gerade junge queere Sexarbeiter:innen waren durch den Verdienstausfall während des Lockdowns einem erhöhten Risiko von Wohnungslosigkeit ausgesetzt, von der junge queere und trans*-Personen sowohl in Deutschland als auch international ohnehin überdurchschnittlich häufig betroffen sind. Dasselbe gilt leider auch für das Risiko, körperliche Gewalt zu erleben.“

Inzwischen habe sich die Lage zwar wieder verbessert, doch die Zeit hat nicht nur Spuren in der queeren Sexarbeiter:innen-Community hinterlassen, sondern einmal mehr vor Augen geführt, wie vulnerabel diese Berufsgruppe durch fehlende Absicherung und anhaltende Diskriminierung und Stigmatisierung noch immer ist. 

Schwedische oder Nordische Modell stelle eine Form von gefährlicher Kriminalisierung dar

Der Kernaspekt an der Kritik eines Sexkaufverbots wie dem Schwedischen Modell ist dann auch genau jener, der auch während der Pandemie zutraf und sowohl von queeren Betroffenen als auch vom LSVD bestätigt wird:

Sexarbeit ist gesellschaftliche Realität, es wird sie vermutlich immer geben – die Kernfrage ist, ob sie im legalen oder illegalen Raum passiert. Von Sexarbeiter:innen selbst wissen wir, dass jede Art der Kriminalisierung ihre Arbeit gefährlicher macht und den Zugang zu gesundheitlicher Versorgung, Beratungsangeboten, aber auch Schutz gegen gewaltsame Übergriffe erschwert.

Alva Träbert

Nolte spricht von einem populistischen Gedankengut und dem Versuch, für komplexe Fragestellungen einfachste Lösungen zu finden: „Auch wenn sie nicht mehr direkt bestraft werden, würden Sexarbeitende hierdurch in die Illegalität getrieben. Wir sehen das Ergebnis des Sexkaufverbots in anderen Ländern. Sexarbeiter:innen werden aus Taxis geworfen oder müssen sich mit Kund:innen in dunklen Waldstücken treffen. Soll das echt jemandem helfen?“

„Migrant:innen werden durch ein Sexkaufverbot massiv in ihren Rechten geschwächt“

Zudem stimmen sowohl queere Vereine als auch die queeren Sexarbeiter:innen darin überein, dass auch der Grundgedanke, verletzliche Personen zu schützen, ad absurdum geführt werden würde. Diverse Studien der letzten Jahre belegten das Gegenteil, so Nolte: „Vor allem marginalisierte Menschen, zum Beispiel Migrant:innen, werden durch ein Sexkaufverbot massiv in ihren Rechten geschwächt und ihr Risiko, von Gewalt und Ausbeutung betroffen zu sein, erhöht sich massiv.“

Und mit einem Unterton ergänzt der Fachmann des Berufsverbandes weiter: „Das Einzige, was durch die Verbote vielleicht erfolgreich bekämpft wird, ist die Sichtbarkeit von Sexarbeit. Vielleicht reicht das bereits den Menschen, die sowas fordern, um so ihr, von Prüderie geprägtes Weltbild Wirklichkeit werden zu lassen.“ 

Sexarbeiter:innen müssen in Diskussion miteinbezogen werden

Sollten tatsächlich zukünftig neue gesetzliche Regelungen angedacht werden, sei eines besonders wichtig, so Träbert vom LSVD: „Bei der Erarbeitung entsprechender gesetzlicher Maßnahmen müssen Sexarbeitende auf Augenhöhe miteinbezogen werden, sie sind die Expert:innen für ihre eigene Lebens- und Arbeitsrealität. Eine moralisierende, stigmatisierende Haltung schützt niemanden, sie richtet aktiv Schaden an.“

Dem kann sich auch Nolte nur anschließen und ergänzt: „Ich wünsche mir generell mehr Toleranz und Respekt gegenüber anderen Lebensentwürfen. Missstände und Diskriminierung lassen sich nicht totschweigen oder durch Verbote regeln. Ich würde mir wünschen, dass es irgendwann möglich ist, ohne Scham oder Verachtung über Sexarbeit und mit Sexarbeitenden zu sprechen und unsere Rolle in der Entwicklung einer sexpositiveren Gesellschaft anzuerkennen.“

Auch interessant

Kommentare