1. BuzzFeed
  2. News
  3. Soziales

Armut in Deutschland: „Junge Erwachsene sind die Altersgruppe mit dem höchsten Armutsrisiko“

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Pia Seitler

Kommentare

Viele junge Menschen sich können nicht leisten, was für fast alle anderen Mitglieder der Gesellschaft im selben Alter als normal gilt.
Viele junge Menschen sich können nicht leisten, was für fast alle anderen Mitglieder der Gesellschaft im selben Alter als normal gilt. © Westend61/agefotostock/Imago

26 Prozent der jungen Menschen von 18 bis unter 25 Jahren sind von Armut betroffen. Die Quote ist laut Armutsforscher in keiner anderen Altersgruppe höher.

Date im Kino, mit den Kumpels ins Restaurant oder eine Freundin mit dem Zug in einem anderen Bundesland besuchen – für mehr als ein Viertel aller jungen Menschen in Deutschland ist das nicht selbstverständlich oder sie können es sich schlichtweg nicht leisten. Knapp 13 Millionen Kinder und Jugendliche waren in Deutschland 2020 laut dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamts armutsgefährdet. Das heißt, sie leben in Haushalten, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens auskommen müssen. Im Netz teilen Menschen, dass sie von Armut betroffen sind und erzählen aus ihrem Alltag.

Geht es um Armut in Deutschland, wird klar: Die Armutsrisikoquote bei jungen Menschen zwischen 18 und unter 25 Jahren ist noch höher, als bei Kindern. Sie erreichte im Jahr 2020 mit 26 Prozent ein Rekordniveau. „Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene sind die Altersgruppe mit dem höchsten Armutsrisiko, ohne dass dies von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wird“, sagt Christoph Butterwegge gegenüber BuzzFeed News Deutschland. Er ist Politikwissenschaftler und Armutsforscher.

Armut in Deutschland: Jugend von der Politik und Gesellschaft nicht beachtet?

Im Vordergrund stehe bei Armut in Deutschland häufig Kinderarmut und man könne nachvollziehen, warum diese Gruppe besonders viel Mitgefühl bekomme. Es sei es tragisch, wenn ein Kind in eine arme Familie hineingeboren werde, dann ein armer Erwachsener werde und womöglich wieder arme Kinder bekomme. „Ein Teufelskreis der Armut“, nennt Butterwegge das. 18- bis 25-Jährigen werde häufig unterstellt, sie könnten ja arbeiten oder sie würden nur deshalb in der Armutsstatik auftauchen, weil sie von zu Hause ausgezogen seien. Das hält er nicht für eine stichhaltige Argumentation: „Denn junge Menschen haben das Recht, allein zu wohnen, und die Gesellschaft muss dafür sorgen, dass sie gleichzeitig eine Hochschule besuchen oder ihre Ausbildung absolvieren können, und zwar ohne materielle Sorgen“, so der Armutsforscher. 

Was bedeutet Armut für junge Menschen? „Meistens handelt es sich dabei um relative Armut. Sie bedeutet, dass man sich vieles von dem nicht leisten kann, was für fast alle anderen Mitglieder der Gesellschaft im selben Alter als normal gilt“, erklärt der Experte. Gerade junge Menschen haben mehr Kontakte oder reisen intensiver, als Senior:innen, die auch häufig armutsbetroffen sind. Am Beispiel des 9-Euro-Tickets, dessen Start im Juni diese 13 Tweets perfekt beschreiben, erkenne man gerade, dass Mobilität ein wichtiger Aspekt bei Armut sei: „Wer arm ist, ist nicht mobil und kann nicht verreisen, oder Freunde in anderen Teilen Deutschlands besuchen.“ Butterwegge glaubt, dass Armut, also zum Beispiel wenig Geld für Handys, Hobbys oder Kleidung zu haben, gerade bei jungen Menschen das Selbstbewusstsein beeinflusst. „Materielle Defizite beeinträchtigen die psychische Gesundheit.“

Corona-Pandemie verschärft Jugendarmut in Deutschland

Die Corona-Pandemie verschärfte das Problem der Jugendarmut, da ist sich Butterwegge sicher, auch wenn es noch keine Zahlen dazu gebe. „Junge Menschen gehören zu den Hauptleidtragenden der Pandemie“, so der Armutsforscher. Hochschulen gehörten mit zu den Institutionen, die während der letzten zwei Jahre am längsten geschlossen waren, Studierende verloren ihre Nebenjobs in der Gastronomie, viele Schulabgänger:innen hatten Schwierigkeiten einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz zu finden. Möglichkeiten, sich einkommensmäßig abzusichern, seien gesunken.

Sollten ihm neue Zahlen nicht recht geben, könne das laut Butterwegge auch an einem „statistischen Dämpfungseffekt der Jugendarmut in Deutschland“ liegen, welcher daraus resultiere, dass junge Menschen während der Pandemie wieder nachhause gezogen seien. Aber auch das bedeute letztlich Armut: „Nicht mehr selbstständig zu sein, sondern den Bewegungsraum, den man sich erkämpft hatte, wieder eingeschränkt zu bekommen, ist auch eine Form von Verarmung.“

Armut in Deutschland: Was kann die Politik gegen Jugendarmut tun?

Um Jugendarmut in Deutschland einzudämmen, hat Butterwegge mehrere Ideen:

  1. Erster Ansatzpunkt sei der Arbeitsmarkt: Die Ausnahmen beim Mindestlohn für Menschen unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Kurzzeitpraktikant:innen zu streichen.
  2. Minijobs sozialversicherungspflichtig zu machen, denn sie hält der Experte ansonsten für eine „Armutsfalle, besonders für Frauen“.
  3. Mindestausbildungsvergütung und Bafög an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen. Und Freibeträge für das Einkommen der Eltern auszuweiten, damit wieder deutlich mehr als elf Prozent der Studierende Bafög beziehen.
  4. Sanktionen bei Hartz IV abzuschaffen und Regelbedarfe zu erhöhen.
  5. Die von der Ampel-Koalition versprochene Kindergrundsicherung nach Altersgruppen, Wohnverhältnissen und Lebensbedingungen zu differenzieren.

Auch interessant

Kommentare