Care-Arbeit ist noch immer Frauensache: „Der Staat setzt auf Töchter, die sich um ihre Eltern kümmern“

Care-Arbeit ist nicht nur Kindererziehung: Eltern, die gepflegt werden müssen, hat schließlich jeder, so „Gender Care Gap“-Expert:innen gegenüber BuzzFeed News.
Frauen verdienen im Schnitt weniger als Männer, das ist den meisten bekannt. Im Jahr 2017 war Deutschland beim „Gender Pay Gap“ sogar auf dem drittletzten Platz in Europa – nur Estland und Tschechien schnitten damals schlechter ab. Im Jahr 2021 verdienten Frauen laut Destatis 18 Prozent weniger als Männer. Doch es ist nicht nur der Verdienst, der zwischen den Geschlechtern noch nicht gleich fair ist: Auch die Zeit für unbezahlte Sorgearbeit (= Care-Arbeit) unterscheidet sich bei Männern und Frauen. Überraschenderweise ist das jedoch unabhängig vom Gehalt. Eine Studie ermittelte, dass Frauen sogar oft dann mehr im Haushalt machen, wenn sie mehr verdienen.
Sascha Verlan und Almut Schnerring überrascht das überhaupt nicht. Die beiden ziehen gemeinsam drei Kinder groß und beschäftigen sich seit Jahren mit dem sogenannten „Gender Care Gap“, also der Tatsache, dass Frauen mehr Care-Arbeit leisten als Männer. Sie haben zu diesem Thema bereits Bücher wie „Equal Care“ und „Die Rosa-Hellblau-Falle“ geschrieben, halten Vorträge und sind Mitveranstalter des „Goldenen Zaunpfahls“, eines Preises für klischeebehaftete Marketingideen. „Leider führt, beruflicher und damit auch finanzieller Erfolg seitens der Frauen nicht automatisch zu einer faireren Verteilung der Familienarbeit und Care-Aufgaben“, so Sascha Verlan gegenüber BuzzFeed News Deutschland.
Besonders den „Mental-Load“, also die Sorgeverantwortung, würden Männer selten übernehmen. Das habe aber weniger mit Bezahlung zu tun, als mit Rollenbildern. Problematisch sei, „wenn Töchter ganz selbstverständlich mehr in die Familienarbeit einbezogen werden und Verantwortung übernehmen für jüngere Geschwister und im Haushalt“, erklärt Verlan. Das sei nicht nur in den Familien so, sondern auch in Kitas, Schulen und Vereinen, erklärt er. Auch in Filmen, Büchern und in der Werbung, vor allem für Spielzeug, werde solch ein Frauenbild reproduziert – ein Grund, warum Spanien klischeebehaftete Werbung bei Spielzeug in Zukunft verbieten will.
Care-Arbeit: Nicht nur Kindererziehung, sondern auch Angehörigen-Pflege
Das Paar Schnerring und Verlan führte 2016 einen neuen Feiertag, den „Equal Care Day“, ein und legte ihn bewusst auf den 29. Februar. Dieser Tag werde nämlich, genau wie unbezahlte Care-Arbeit, die meiste Zeit (also in diesem Fall in drei von vier Jahren) einfach übergangen. Die Idee sei damals gut angenommen wurden – sowohl von den Medien als auch von der Politik, so nahmen es Schnerring und Verlan wahr. Sie gründeten zu dieser Zeit auch eine gemeinnützige Initiative, die 2020 ein „Equal Care Manifest“ mit 18 Forderungen auf die Beine stellte. Im Manifest geht es dabei nicht nur um Kindererziehung, sondern in mehreren Unterpunktenauch spezifisch um die Pflege von anderen Angehörigen.
„Die Diskussionen um Care-Arbeit und Mental-Load ist oft sehr verkürzt auf die Situation von Eltern mit (kleinen) Kindern, aber die Kümmer-, Sorge- und Versorgungsarbeit begleitet uns durch das ganze Leben: immer empfangen und leisten wir Care-Arbeit, je nach Lebensabschnitt mal mehr, mal weniger. Es beginnt vor der Geburt und endet noch nicht mit dem Tod, denn letztlich gehört auch die Grabpflege und das Gedenken und Erinnern an verstorbene Menschen dazu“, erklärt Verlan die Dimensionen der Care-Arbeit. Es sei die Basis des gesellschaftlichen Miteinanders, sich um sich selbst und um andere zu kümmern, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und eben nicht das wirtschaftliche Wachstum, finden Schnerring und Verlan.

„Vor allem Männer empfangen Sorgearbeit eher, als dass sie sie leisten.“
„Momentan ist es so, dass viel zu viele, vor allem Männer, Sorgearbeit eher empfangen und weniger selbst leisten. Das hat gravierende individuelle und gesellschaftliche Auswirkungen. Die Ablehnung von Sorgeverantwortung sich selbst und anderen gegenüber ist einer der Gründe dafür, dass Männer im Durchschnitt eine um fünf Jahre kürzere Lebenserwartung haben als Frauen“, so Verlan gegenüber BuzzFeed News Deutschland. Damit zusammen hängt wohl auch „toxische Männlichkeit“, die sich in den USA darin äußert, dass Männer in Bootcamps wieder „zur Bestie werden“ wollen.
Eltern hätten in Deutschland zwar keine Lobby, aber bei Menschen mit Pflegeverantwortung sei es noch viel schlimmer. Ihre Care-Arbeit werde überhaupt nicht gesehen, weiß Verlan. „Es ist an der Zeit, alle Care-Arbeit entlang des Lebenslaufs zusammenzudenken und sie in die Lebens- und Berufsplanung mit einzubeziehen, vor allem auch vonseiten der Arbeitgeber:innen!“ Die Betriebskita sei ein nettes Aushängeschild, aber warum sei dort keine Tagespflege für seine Mutter integriert, fragt der „Gender Care Gap“-Experte.
Werde ein Kind geboren, gebe es in mancher Stadt Gutscheinhefte und Willkommensbriefe – könne ein alter Mensch aber nicht mehr alleine wohnen, da, dann stünden die meisten völlig alleine da. „Der Staat setzt auf Töchter, die sich um ihre Eltern kümmern, im Pflegegesetz wird das Ehrenamt der professionellen Care-Arbeit vorgezogen. Solange es also eine Frau gibt, die ihre Erwerbsarbeitszeit reduziert und einspringt, hält das System die Füße still“, so der Autor für Geschlechtergerechtigkeits-Themen.
Hier teilen 32 Frauen Erfahrungen, die von der Gesellschaft als viel zu normal angesehen werden.
Tipp für gerechte Aufteilung der Care-Arbeit: miteinander reden
Ein Problem unserer Gesellschaft sei, dass wir glauben, es bräuchte im Care-Bereich nicht so viel Fachwissen. „Wie wäre es stattdessen, wir bilden endlich mehr Care-Fachkräfte aus, bezahlen sie entsprechend der wichtigen Rolle, die sie für die Gesellschaft spielen und beziehen sie überall da ein, wo Care-Arbeit geleistet wird?“, fragt Verlan. Er und seine Partnerin Schnerring seien kein perfektes Beispiel für immer ideal ausgeglichene Care-Arbeit – auch sie koste es Kraft, nicht in alte Muster zurückzufallen und auch sie müssten immer wieder über die Aufteilung ihrer Care-Aufgaben sprechen.
Genau das sei auch ihr Tipp, wenn es um eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit geht: miteinander reden. Und zwar nicht in der Situation, in der es schiefgehe, sondern dann, wenn alle gute Laune und einen freien Kopf hätten. Die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit sei einer der Hauptgründe für Unzufriedenheit und Trennung, deshalb lohne es sich, schon früh zusammen zu planen und tatsächlich aufzuschreiben, was alles ansteht und wie die Aufgaben verteilt werden könnten, weiß das Autor:innen-Paar.
Eine Einschätzung darüber, wer bei dir in der Familie den Mental-Load trägt, liefert hier vielleicht der „Mental Load Test“, den Schnerring und Verlan mitentwickelt haben. Einer der hilfreichsten Tipps sei, ganze Aufgabenbereiche zu verteilen, sagt Verlan: „Wer Wäsche wäscht, sammelt sie auch ein, hängt auf und räumt in die Schränke bzw. ist dafür zuständig und trägt den Mental-Load auch, wenn andere unterstützen. Wer fürs Kochen zuständig ist, kauft auch ein, räumt alles in die Küche und kümmert sich um Verpackungen, Müll und so weiter“, erklärt er die Strategie des Paares, um im privaten Bereich das „Gender Care Gap“ zu schließen.