Mit Apps wie Stepn verdient man beim Laufen Kryptogeld – „wenig vertrauenerweckend“, findet Experte

In der App Stepn bekommt man für jeden gelaufenen Kilometer von der Kryptowährung Solana (GST). BuzzFeed News fragt einen User und Experten, was dahintersteckt.
Krypto ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Krypto-Milliardäre spenden 99 Prozent ihres Vermögens und sind quasi Helden der modernen Zeit. Doch die leuchtende Krypto-Fassade bröckelt: Bitcoin, Ether, Luna und viele andere verlieren massiv an Wert, Bitcoin fiel kürzlich auf den tiefsten Stand seit 2020: auf rund 23.300 US-Dollar. Den Grund dafür sehen Expert:innen in steigenden Zinsen, unter denen die digitalen Währungen besonders stark leiden. Dass Kryptowährungen keine laufenden Erträge abwerfen, komme noch dazu, berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Probleme beim Krypto-Kreditgeber Celsius Network würden die Situation momentan ebenfalls verschlimmern, sagte der Krypto-Experte Timo Emden gegenüber der dpa.
Trotz all dessen scheint der Hype um Kryptogeld noch nicht vorbei zu sein. In sogenannten Move-to-earn-Apps wie „Stepn“ laufen Menschen aus aller Welt immer noch minütlich neue Kilometer. Warum eigentlich? Weil sie für jeden gelaufenen Kilometer mit Kryptogeld, in Fall von Stepn mit GST der Währung „Solana“ belohnt werden. Ein paar 100 Euro für einen kleinen Powerwalk – klingt zu gut, um wahr zu sein. BuzzFeed News Deutschland hat mit einem Nutzer der App über seine Motivation gesprochen und beim Chaos Computer Club (CCC) nachgefragt, was hinter diesem Prinzip steckt. Wir wollten herausfinden, ob es einfach nur genial ist, sein Geld so anzulegen oder doch Abzocke.
Stepn: Solana Kurs fällt weiter – für das Laufen gibt es immer weniger Geld
Seit dem Launch der App Stepn im März 2022 sei der Kurs von „Stepn“ fast kontinuierlich in die Höhe gegangen, berichtete BTC Echo. Jetzt, Anfang Juni schon, wackelte der Kurs der App – die Coins verloren massiv an Wert. Am 17. Juni 2022 (15:18 Uhr) gibt BTC Echo den Solana Kurs mit aktuell 29,57 Euro an – also in diesem Monat ein Minus von 44,63 Prozent. Verwundern tut das nicht, denn aktuell fallen alle Kryptowährungen. Bei Stepn kommt nun aber noch das Problem hinzu, dass ab Juli 2022 der Betrieb in China eingestellt wird. Dort will die Regierung gegen Apps wie Stepn vorgehen – keine guten Nachrichten für den Kurs.
Navid lässt sich davon nicht beeindrucken. Er hat sich Stepn im April 2022 geholt – damals klang das alles aber noch vielversprechender, gibt er zu. Navid ist 28 Jahre alt und studiert Wirtschaft und IT in Mailand. Er kommt ursprünglich aus dem Iran. Dort sei die App sowieso viel sinnvoller, als zum Beispiel in Deutschland, erzählt er BuzzFeed News Deutschland. Denn der iranische Rial sei im Vergleich zum US-Dollar sehr wenig wert – da würde es natürlich Sinn ergeben, in Kryptowährung zu investieren, die sich dann in US-Dollar auszahlen lassen.
Trotzdem: Für das Laufen gibt es immer weniger Geld, erzählt uns Navid. „Vor zwei Monaten gab es noch ungefähr 40 US-Dollar pro Workout, das war schon was. Da sparte ich mir auch so viel mit den Gewinnen an, dass ich eine Urlaubsreise nach Cannes in Frankreich planen konnte“, sagt der 28-jährige Student. Jetzt gebe es pro 10-minütiger Jogging-Runde gerade mal zwei US-Dollar. Der große Crash sei vor etwa drei Wochen gewesen. Die Schuhe, die man in der App kauft, um zu laufen, wurden teilweise um fast das 10-fache günstiger, sagt Navid. Zu diesem Zeitpunkt habe er begonnen, sich das Geschäftsmodell von Stepn genauer anzuschauen.
Wie funktioniert Stepn?
Zuerst müssen Nutzer:innen über einen Aktivierungslink beitreten oder eingeladen werden. Dann müssen sie einen NFT-Schuh kaufen, der im April noch etwa 10 Solana (also um die 1.000 Euro) kostete. Jetzt liegt der Preis aufgrund des Krypto-Wertverfalls niedriger. Dieser muss täglich aufgeladen werden, damit er zum Laufen genutzt werden kann. Seine „Energie“ wandelt dann gelaufene Zeit in die Kryptowährung GST um. Die Energie ist aber nicht unendlich – sie geht irgendwann aus. Laut eines BTC Echo-Autoren, der die App testete, kämen alle sechs Stunden 0,5 Energiepunkte hinzu.
Ist genug Energie da, dann kann losgejoggt werden. Mit etwa zwei Minuten Joggen verdient ein:e User:in dabei um die 12 Euro. Den Sneaker kann er/sie an der Kryptobörse eventuell wieder verkaufen. Wer mehr als zwei Paar virtuelle Schuhe besitzt, kann laut BTC Echo mit seinen GMT und GST auch neue Sneaker erzeugen. Auch diese würden sich (gegen eine Gebühr an Stepn – beim Autor, der den Test machte, waren es 97 Euro) verkaufen lassen.
Chaos Computer Club: „Geschäftsmodell von Stepn ist wenig vertrauenerweckend“
Auch andere Leute schauen beim Geschäftsmodell von Stepn genauer hin. Als BuzzFeed News Deutschland eine Anfrage an den Chaos Computer Club (CCC) sendet, meldet sich Jochim Selzer zurück. Er ist Mathematiker und organisierte seit März 2013 als Mitorganisator um die 30 Kryptoparties im Raum Köln. Er sei zwar kein Ökonom, sagt Selzer, aber ihm erscheine „das Geschäftsmodell von Stepn wenig vertrauenserweckend.“
Er kommt auf die Gebühren und Reparaturkosten für die digitalen „Laufschuhe“ zu sprechen. Klar könne man die am Ende wieder verkaufen. „Aber die alles entscheidende Frage ist für mich: Wer kauft mir das ab? Im Zweifelsfall sind es Leute, die in das System neu oder wieder einsteigen. Das wiederum riecht für mich nach einem Pyramidensystem“, sagt er gegenüber BuzzFeed News Deutschland. Auch Krypto-Währungen wie Dogecoin wurden schon immer verdächtigt, Teil eines Schneeballsystems zu sein. Elon Musk, der Dogecoin beworben hatte, droht jetzt sogar eine Sammelklage durch einen Anleger.
Bei Stepn gebe es die „Gefahr einer Inflation“
Problematisch sei auch, dass das Geld im Stepn-Universum prinzipiell beliebig vermehrt werden könne. Es sei einzig durch die maximale Meilenzahl pro Schuh und Tag und maximal pro Tag neu hinzukommenden Teilnehmer:innen beschränkt. „Das birgt die Gefahr einer Inflation und kann meiner Einschätzung nach nur durch eine wachsende Teilnehmerinnenzahl sowie die Zunahme der durch die Währung erwerbbaren Güter kompensiert werden.“
Wenn der Wert der Währung vor allem darin bestehe, weiteren Mitspieler:innen die Teilnahme an Stepn zu ermöglichen, sei das aus seiner Sicht eine „wacklige Grundlage“. Der Mathematiker vom CCC ergänzt: „Ich gehe nicht so weit zu sagen, dass hier ein bewusster Betrugsversuch vorliegt, ich sehe aber keine solide wirtschaftliche Grundlage für das Funktionieren dieses Systems.“
Stepn selbst äußerte sich auf Anfrage von BuzzFeed News Deutschland bisher nicht zu den Vorwürfen.
Braucht Stepn weitere Einnahmequellen, um kein Pyramidensystem zu bleiben?
Auch der YouTuber @Jumperbillijumper greift das Thema „Stepn“ in einem Video auf (siehe unten). Wer Geld verdienen wolle, sei hier falsch, sagt er in seiner 17-minütigen Analyse der Krypto-Lauf-App. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich nur für die Leute lohne, die wirklich Spaß am Laufen und „Verdienen“ hätten. Navid ist einer von denen. „Ich finde auch einfach, die Motivation ist ein Grund, auf Stepn weiterzulaufen. Laufen ist was Gutes und wenn dann noch ein bisschen Geld bei rum kommt – warum nicht?“, sagt er.
Navid kam zu dem Schluss, dass sich Stepn wieder erholen kann. Er läuft weiterhin täglich mit der App und sammelt GST, die er aber erstmal in Kryptowährung liegen lässt. Ein Pyramidensystem kann er zwar momentan nicht ausschließen, er glaubt aber, dass Stepn sich in Zukunft weitere Einnahmequellen und Investoren suchen kann und damit komplett vom Pyramidensystem abweichen könnte. „Ich habe zwar um die 1000 US-Dollar verloren, aber am Anfang auch um die 1000 US-Dollar gewonnen. Es gleicht sich bisher also aus, und den Schuh habe ich ja noch.“ Dass der im Wert steigt, darauf spekuliert er – darauf, dass Solana und Krypto im Allgemeinen wieder steigen.
Laut BTC Echo steht die nächste „FitFi-App“ schon bereit. Sie heißt „Step App“ und funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Bald soll sie in App-Stores erhältlich sein. Auf der Website steht „Coming Sooooon“ – klingt auf jeden Fall motiviert, und das trotz eines FITFI-Kurses, der in den vergangenen Wochen (Stand 17. Juni 2022) kontinuierlich gefallen ist.
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